Berlin Beatet Bestes. Folge 226.

Das Getüdel mit dem Büdel

Berlin Beatet Bestes. Folge 226. Plattenladenplastiktüten.

Unlängst sah ich in Hamburg vor dem Plattenladen Cool & Crazy zwei junge Burschen stehen. Beide waren schwer tätowiert, wie alte Seebären, die schon ein Dutzend Mal auf großer Fahrt gewesen sind – aber an ihren Schultern hingen so olle Jute-Büdel! Diese Büdel (plattdeutsch für Beutel), das geht ja gar nicht, dachte ich. In den achtziger Jahren hatten nur Ökoheinis Jutebeutel, und da konnte von Style nicht die Rede sein, denn die Teile waren immer total verkeimt und dreckig. Außer ein paar Poppern brauchte damals trotzdem kein Mensch Markenkleidung. Coole Leute trugen billige Second-Hand-Klamotten. Popper und Anhänger der Jungen Union hatten Aktenkoffer als Schultaschen. Die Coolen hatten Plastiktüten. Aber natürlich ging nicht irgendeine Aldi-Tüte, es musste schon eine Tüte von einem coolen Platten-, Comic- oder Klamottenladen sein. Coole Plastiktüten konnten geklebt, mussten aber immer wieder ausgetauscht werden, wenn sie allzu abgerockt aussahen. Besonders beliebt war in Hamburg zu dieser Zeit die orange­farbene Plastiktüte des Schallplattenladens Michelle, mit der stilisierten Figur Duane Eddy, und die des Klamottenladens Charmeuse, die ein tanzendes Paar zeigte. Beide Läden eröffneten übrigens 1977 und bestehen noch heute. In Berlin waren Tüten von Blue Moon, Market und City Music gefragt. Martin hat auf seinem Brotbeutel-Blog sogar mal eine kleine Sammlung von Plastiktüten alter Hannoveraner Schallplattenläden präsentiert. Damit kann ich nicht dienen, denn ich sammle zwar neben Tonträgern auch vieles andere, das mit Popkultur zu tun hat: Punk-Flyer, Musikzeitschriften, Bücher und Fanzines. Aber Plastiktüten gehören zum Glück nicht dazu. Irgendwo muss die Sammelsucht Grenzen haben. Wenn ich auch noch Plastiktüten sammeln würde, würde mich meine Freundin erwürgen.
Trotzdem irgendwie schade, denn Plattenläden huldigen dem Tonträger, dem Kult um die Musik und den Musikern selbst oft mehr als Plattenlabels. Plattenladenbesitzer sind fast immer selbst Fans und versierte Sammler und das schlägt sich natürlich auch in ihrer Gestaltung der Werbung nieder. Womit wir wieder bei der Plastiktüte wären. So eine Plastiktüte eines coolen, längst vergessenen Plattenladens ist in gutem Zustand heute noch schlechter zu bekommen als jede Platte, die dort jemals gekauft wurde. Zum Glück gibt es noch keinen Markt für coole alte Plastiktüten, aber ich wette, das ist nur eine Frage der Zeit. Die einzige Plattentüte, die ich besitze, ist eine kleine Papiertüte aus den fünfziger oder frühen sechziger Jahren, die ich mal zusammen mit einem Stapel Singles in einem Trödelladen bekommen habe.
Aber nochmal zurück zu den tätowierten Jungs. An ihnen vorbei verschwand ich in den herrlich gut sortierten Laden Cool & Crazy, stöberte stundenlang und kaufte dann einen Haufen Platten. Gratis bekam ich dazu: einen schönen Cool & Crazy-Jute-Büdel! Und mit dem stolzierte ich anschließend noch stundenlang durch Hamburg und fühlte mich ganz schick und modern damit.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.