Die Sterbehilfe wird neu geregelt

Die Einsamkeit der letzten Dinge

In Deutschland wird erneut über eine gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe diskutiert.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) machte den Anfang für die erneute Debatte um Sterbehilfe, indem er eine klare Regelung forderte. »Ich wünsche mir, dass wir jede geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellen«, sagte er der Rheinischen Post. Gröhe sprach damit eine Gesetzeslücke an, die bislang nicht mit der nötigen parlamentarischen Mehrheit geschlossen werden konnte. Gewerbsmäßige Sterbehilfe oder deren organisatorische Vermittlung ist nicht verboten. Bisher ist nur die aktive Sterbehilfe, also das Töten auf Verlangen, verboten und somit strafbar. Darüber, dass die aktive Sterbehilfe verboten bleiben soll, sind sich auch eigentlich alle Parlamentarier einig. Nicht geregelt sind hingegen der Bereich der passiven Sterbehilfe und die Beihilfe zur Selbsttötung. Wer einem anderen ein tödliches Medikament überlässt und bei der Einnahme nicht zugegen ist, kann nach derzeitiger Gesetzeslage nicht belangt werden. Verbleibt er im Raum, macht er sich möglicherweise jedoch der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Gröhe beabsichtigt diese Lücke zu schließen. Denn mittlerweile haben sich in Deutschland mehrere Ver­eine angesiedelt, die im Graubereich der Sterbehilfe agieren und dabei sukzessive die Akzeptanz erhöhen – oder die Grenze zugunsten der schnellen Lösung, dem »assistiertem Freitod«, verschieben.
Der Gründer des Vereins »Sterbehilfe Deutschland«, der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch, hat erklärt, sein Verein habe im vergangenen Jahr 40 Menschen beim Suizid geholfen. Die Organisation agiert in eben jenem rechtlichen Graubereich, indem sie vordergründig als mildtätiger Verein Menschen bei ihrem Freitod assistiert, andererseits aber auch – vorsichtig ausgedrückt – profilierungssüchtig daherkommt. Die Mitgliedsbeiträge sind hoch. Aufgrund der vielen neuen Anträge auf Mitgliedschaft, so ist auf der Homepage zu lesen, könne man nur noch eine »Lebensmitgliedschaft« für die einmalige Zahlung von 2 000 Euro abschließen. Der Verein hat 2012 einen Sitz in Zürich eröffnet, die Schweiz hat eine sehr liberale Rechtsauffassung zur Sterbehilfe. Der Schweizer Verein »Dignitas« ist auch in Deutschland aktiv. Doch macht er hierzulande nur Werbung für sein Angebot, die Sterbewilligen fahren zum assistierten Freitod in die Schweiz.

In der vergangenen Legislaturperiode gab es bereits einen Vorstoß, die Sterbehilfe gesetzlich umfassend neu zu regeln. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte in einem Gesetzentwurf das Verbot der gewerblichen, auf Gewinn orientierten Sterbehilfe. Bis zu drei Jahre Haft sollten bei Zuwiderhandlung angedroht werden. Angehörige, Ärzte und andere den Sterbewilligen nahestehende Personen sollten sich weiterhin nicht strafbar machen, wenn sie Hilfe zum Suizid leisten. Kritik kam damals von der Union. Sie wollte die organisierte Sterbehilfe grundsätzlich verbieten, nicht nur jene, bei der Geld verdient wird. Es war unter anderem strittig, ob Sterbehilfevereine, die sich über Mitgliedsbeiträge finanzieren, überhaupt belangt werden könnten.
Da sich keine Einigung abzeichnete, wurde der Entwurf fallengelassen. Kurze Zeit nach dem Regierungsantritt der Großen Koalition kommt nun der Vorschlag von Gröhe. Das ist erstaunlich, denn für eine gesetzliche Regelung ist das Bundesjustizministerium zuständig. Doch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gilt eher als Befürworter der Sterbehilfe, zum Vorschlag Gröhes hielt ­er sich bislang zurück. Ausdrücklich begrüßt wur­de der Vorstoß von der Bundesärztekammer und der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Nun ist das Parlament gefragt, es zeichnet sich ab, dass es im Bundestag zu einer Debatte ohne Fraktionszwang kommen wird, schon in der Vergangenheit wurden ethische Fragen offen und über Parteigrenzen hinweg diskutiert. Ein solches Vorgehen favorisiert auch Maas, wie er der FAS mitteilte. Zu erwarten sind verschiedene Gruppenanträge zum Thema, die dann zur Abstimmung stehen werden.

Aktuellen Umfragen zufolge würden viele Deutsche die Legalisierung der Sterbehilfe begrüßen, entgegen den Forderungen des Gesundheitsministers. Dabei wird leider oft übergangen, dass niemand weiß, was am Lebensende auf ihn zukommt. Die Haltung zur Sterbehilfe ist häufig von Angst geprägt, beispielsweise vor dem Leiden, dem Alleinsein oder einer entwürdigenden Pflege. »Damit Menschen in Würde sterben können, braucht es eine professionelle, umfassende Sterbebegleitung – und zwar flächendeckend in Deutschland. Aktuell wird nur jedem sechsten Sterbenskranken diese Hilfe zuteil. Das entspricht 16 Prozent. 84 Prozent, das sind 437 000 der Menschen, die diese Hilfe brauchen, erhalten sie nicht. Das Zwei-Klassen-Sterben muss aufhören«, sagt Eugen Brysch, der Vorsitzende der Deutsche Stiftung Patientenschutz, im Gespräch mit der Jungle World. In Würde sterben können Menschen im Hamburger Hospiz »Leuchtfeuer« im Stadtteil St. Pauli. Das ist jedenfalls der Anspruch, den das 1998 eröffnete Hospiz an sich selbst erhebt. »Wir begleiten die Menschen auf der letzten Etappe ihres Lebens, sind für sie da, versuchen Ängste zu minimieren und schauen immer, was der einzelne Bewohner gerne möchte«, sagt die Leiterin des Hospizes, Mareike Fuchs. Seit zehn Jahren arbeitet die studierte Sozialpädagogin im Hospizwesen. Sie erlebt täglich Menschen am Ende ihres Lebens. Die durchschnittliche Verweildauer im Hospiz beträgt drei bis vier Wochen. Viele Menschen kommen mit großen Ängsten und äußern mitunter auch den Wunsch nach Sterbehilfe. Durch die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft wollen immer weniger Menschen jemandem zur Last fallen. Doch durch ihre Tätigkeit hat Fuchs erlebt, dass es den betroffenen Menschen oft nicht darum geht, ihr Leben zu beenden, sondern einen bestimmten, nicht mehr haltbaren Zustand in ihrem Leben.

»Das ist die Angst vor dem Alleinsein, das sind die Schmerzen. Die Mehrzahl der Bewohner möchte den Zustand beenden, nicht das Leben. Und dabei helfen wir«, sagt die 35jährige. Durch gezielte Schmerzmittelgabe, einen guten Personalschlüssel und viel Zeit für den Einzelnen gelingt es den Hospizmitarbeitern immer wieder, den letzten Lebensabschnitt zu erleichtern. Ursprünglich als Hospiz für HIV-Infizierte gegründet, sind es heute zu 95 Prozent Krebspatienten, die als ihre letzte Station das Hospiz wählen. In den deutschen Großstädten ist die Wahl des Hospizes als Ort der letzten Lebensetappe mittlerweile leichter geworden. Allein in Hamburg gibt es sieben Hospize. »Im ländlichen Raum sieht die Versorgung ganz anders aus. Dort gibt es noch Ausbaubedarf«, sagt Ulf Bodenhagen, Geschäftsführer von »Leuchtfeuer« und Vorstandsmitglied des Hospiz- und Palliativverbands Hamburg. Er begrüßt Gröhes Initiative ausdrücklich. Die Angst vor einer schlecht finanzierten Pflege kann er ebenfalls gut verstehen. Und hier liegt auch ein Schwachpunkt des deutschen Gesundheitssystems. Während das medizinische Niveau hoch ist, herrscht ein Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal. Insofern ist es mit einer reinen Gesetzesinitiative nicht getan. Der Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung ist ebenso nötig wie eine ausreichende Finanzierung der Pflege.