Home Story

Große Zeitungen führen Listen mit den im jeweiligen Jahr anstehenden Geburtstagsjubiläen und Todestagen bedeutender Persönlichkeiten. Die Jungle World verfügt über so etwas nicht, und da unsere Mitarbeiter lebende Symptome des Verfalls bürgerlicher Bildung sind, bereichert auch niemand unsere Konferenzen mit Hinweisen wie: »Die Empfindsamkeitsautorin Christina von Brühl ist in diesem Jahr 198 Jahre tot, da könnte man doch was drüber machen!« An den 100. Geburtstag Arno Schmidt konnten wir mit dem Dossier der vergangenen Nummer noch rechtzeitig erinnern, entgegangen ist uns aber einer, der am 15. Januar seinen 125. Geburtstag gefeiert hätte: Walter Serner, Autor von Detektivgeschichten, Dadaist, Hochstapler und Jurist. Der Titel seiner 1913 vorgelegten Dissertation, »Die Haftung des Schenkers wegen Mängel im Rechte und wegen Mängel der verschenkten Sache«, lässt bereits den Hang zum höheren Blödsinn erkennen, dem er später kompromisslos frönte. Bekannt sind sein dadaistisches Manifest »Letzte Lockerung« und seine Kriminalnovelle »Die Tigerin«, Zeugnisse einer Zeit, in der das Leben in Berlin oder Paris offenbar ebenso abenteuerlich wie urban war und die Angehörigen der sogenannten Intelligenz spielerisch miteinander umgingen, statt sich mit ihren Verstocktheiten auf den Senkel zu gehen. Aber vielleicht ist das nur ein Romantizismus. Für Serner, der eigentlich Walter Eduard Seligmann hieß, wurden deutsche Städte wegen des alltäglichen Antisemitismus früh zum Feindesland. Seit 1914 lebte er in der Schweiz, führte aber ein Reiseleben, das 1933 mit dem Verbot seiner Schriften in Deutschland schwieriger wurde. Seit 1939 wohnte er in Prag und erwog, nach Shanghai auszuwandern. 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er im selben Jahr ermordet wurde. Von ihm stammt die treffendste Bestimmung des Begriffs der Globalisierung, lange bevor dieser erfunden wurde: »Die Welt wird kleiner. Vergiss es nicht. Sonst kann es dir passieren, dass du meinst, weit vom Schuss zu sein, und du stehst vor dem Pistolenlauf.« Seine Bücher, unterhaltsamer als jede Unterhaltungsliteratur, sind fast nur noch antiquarisch zu erwerben.

kreuzworträtsel
Konzentration und Konzentrationslager. Judith Butler hat nicht geschrieben, dass im Westjordanland und in Gaza »die Lebensumstände nach dem Modell der Konzentrationslager beengt und verarmt sind«, das ganze Zitat lautet: »Die Verwendung des Wortes ›Konzentration‹ in den frühen 1940er Jahren muss angesichts der deutschen Konzentrationslager erschreckende Asso­ziationen wachgerufen haben und wird noch beängstigender, wenn wir den ›Erfolg‹ des konzentrierenden Kolonialismus im Westjordanland und vor allem in Gaza betrachten, wo die Lebensumstände ganz nach dem Modell der Konzentration beengt und verarmt sind.« (»Jungle World« 3/2014, S. 9 und 11)