Umstrittene Gedenkpolitik in Ungarn

Orbán lässt gedenken

Geschichtspolitisch laviert die ungarische Regierung zwischen dem Bestreben, ihr Image zu verbessern, und völkischer Propaganda.

In der Mitte von Budapest – nicht weit vom Denkmal der sowjetischen Befreier und der Horthy-Büste entfernt – soll ein Gedenkstein zur Erinnerung an die vor 70 Jahren erfolgte deutsche Besatzung errichtet werden. Dies soll wohl davon ablenken, dass Ungarn ein treuer Verbündeter Deutschlands unter Hitler war, dass die meisten Regierungsmitglieder auch nach dem Einmarsch der Wehrmacht am 19. März 1944 weiter amtierten und die ungarische Verwaltung bereits zuvor mit der ständigen Erörterung der »Lösung der Judenfrage« und mit diskriminierenden Gesetzen alles in ihrer Macht stehende getan hatte, um dann in kürzester Zeit eine maximale Zahl von Menschen zu deportieren.
Der Historiker Krisztián Ungváry bemerkte, man könne das Bonmot von Generalfeldmarschall Maximilian von Weichs in Stein meißeln, der auf die Frage, wie lange seine Truppen brauchen werden, um Ungarn zu besetzen, antwortete: »24 Stunden.« Wie lange würde die Aktion dauern im Fall eines Widerstands? Weichs erwiderte: »Zwölf Stunden, denn in diesem Fall gäbe es keine Begrüßungsreden.«
Den ungarischen Widerstand – der nur marginal und zumeist links war – wird diese Regierung kaum darstellen. Dafür aber die wenigen Gerechten, die Juden gerettet hatten. István Bibó, einer der ersten nichtjüdischen Intellektuellen, der sich kurz nach der Shoah als gläubiger Protestant mit der Schuld der Ungarn auseinandersetzte, verglich die Lage eines um Hilfe bittenden Juden in Dänemark mit der verzweifelten Lage eines Juden in Ungarn, der nur »als unerwartetes, kaum erhofftes Glück (…) mit Hilfe rechnen« konnte.

Die Errichtung dieses Denkmals ist eine von mehreren fieberhaften, nicht gründlich durchdachten und mangelhaft koordinierten geschichtspolitischen Aktivitäten, mit denen Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Partei Fidesz versuchen, ihr schlechtes Image im Ausland zu verbessern. Man möchte den Eindruck erwecken, Ungarn sei ein demokratisches Land wie andere EU-Staaten. Doch gleichzeitig möchte man auch die zahlreichen Wählerinnen und Wähler, die zwischen Jobbik und Fidesz schwanken, an sich binden.
Deswegen gedenkt man offiziell des 71. Jahrestags des sowjetischen »Durchbruchs am Don«, als die Rote Armee im Januar 1943 die zweite ungarische Armee angriff und viele der schlecht ausgerüsteten 200 000 ungarischen Soldaten ihr Leben verloren. Am 10. Januar hielt Tamás Vargha, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, eine Rede, in der er unter anderem behauptete: »Der damalige Generalstab sprach es aus: Man muss den Kriegseintritt vermeiden.« Das ist eine krude Geschichtsklitterung. Niemand zwang Ungarn, in den Krieg gegen die Sowjetunion einzutreten. Gerade der damalige ungarische General­stabschef Henrik Werth legte in seiner Denkschrift vom 14. Juni 1941 Ministerpräsident Bárdossy nahe, dass sich ungarische Truppen an einem deutschen Angriff beteiligen sollten – eine katastrophale Fehleinschätzung. Vargha weiter: »Viele, Zehntausende ungarische Menschen fielen als Opfer am Don, doch nicht nur für fremde Interessen, sondern um ihre Heimat zu verteidigen, haben diese ungarischen Soldaten gekämpft und sind den Heldentod gestorben auf den weiten russischen Schlachtfeldern.«
Solche Ansichten werden in der EU in der Regel von Rechtsextremisten vorgebracht, in Ungarn jedoch von staatstragenden Politikern. Andere wiederum gestehen die Schuld Ungarns für die Deportation von Hunderttausenden ein, was von der eigenen völkischen Politik ablenken soll. Im April wird Ungarn der Shoah vor 70 Jahren gedenken, mit einem schnell gebauten weiteren Holocaust-Museum, dem »Haus der Schicksale«, mit dem an Zehntausende ungarische Kinder erinnert werden soll, die 1944 nach Auschwitz-Birkenau abtransportiert wurden. Der Verband der jüdischen Gemeinden hat seine Bedenken geäußert, weil nirgendwo sonst auf der Welt eine derartige Institution ohne Mitarbeit der jüdischen Gemeinde entsteht und auch nicht der Anschein erweckt werden sollte, dass alles erst mit der deutschen Besatzung angefangen habe.

Eine ganz andere Tradition pflegt das staatliche Duna TV. »Der Halbjude, der Selbstmord beging und dunkle linke Pläne schmiedete«, konnte man 1943 in regierungsnahen Zeitungen in einer Polemik über den unter Studenten beliebten proletarischen Dichter Attila József geschrieben, der 1937 gestorben war. Mehr als 70 Jahre später, im Januar 2014 strahlt Duna TV einen Film aus, der »dokumentiert«, wie die destruktiven Freimaurer, Sozialdemokraten und Kommunisten aus diesem Dichter einen Gegner seiner Nation gemacht hätten. Einer der Eigentümer der Firma, die diesen Film produzierte, hatte 2011 im Internet N1TV an Hitler erinnert und beklagt, dass man das Andenken an ihn durch eine ständige Hexenjagd anschwärze. So lief im Duna TV auch ein Film der gleichen Firma über die ungarische Gendarmerie, in dem unter anderem Péter Ákos Kosaras zu Wort kam, der bereits zuvor in einer SS-Uniform posiert und dieses Bild mit dem Text »Ein gutherziger SS-Offizier« ins Internet gestellt hatte. Über die Verantwortung der Gendarmerie für die Deportation der Juden bemerkte er, dass diese nur Befehlen gefolgt sei und die meisten nicht hätten wissen können, was mit den Deportierten geschehen werde.
Orbán sprach im Dezember vorigen Jahres von der »ungarischen Rasse«, um seine Wähler mit völkischer Rhetorik bei der Stange zu halten. Im Ausland jedoch verbirgt er die »faschistoide Mutation« (Rudolf Ungváry) hinter einem »menschlichen Antlitz« und vermarktet dies als »konservativ« und »christlich«. Im April wird ein neues Parlament gewählt und entschieden, ob der postkommunistische Mafiastaat bestehen bleibt oder die soeben vereinigte demokratische Opposition das Land zurück in einen Rechtsstaat führt.