Die Berichterstattung über den NSU-Prozess

Das Diddelmaus-Projekt

Der NSU-Prozess wird noch längere Zeit dauern. Doch er wird bereits zu Unterhaltung verkitscht.

Es muss Spaß machen, bei der Süddeutschen Zeitung zu arbeiten. Morgens modernisiert man das Layout, mittags ist man ein wenig empört, nachmittags trinkt man ein Weißbier, zwischenzeitlich ruht man sich auf seinem guten Ruf aus. Und manchmal, aber nur manchmal, wagt man auch etwas. Dann schmiedet man Allianzen mit der Bild-Zeitung, um aufsässige Bundespräsidenten zu stürzen, oder druckt antisemitische Gedichte ab. Nun hat sich jene größte deutsche Zeitung, die Artikel über Israel mit Bildern allesverschlingender Ungeheuer illustriert und deren Leitartikler Peter Münch sich weniger »Selbstherrlichkeit« und mehr Demut vom Judenstaat wünscht, gefragt, woher denn eigentlich der Hass kam, der die als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bekannte Mörderbande zu ihren Taten brachte.

Als Ergebnis präsentierten die SZ-Autoren Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz und Rainer Stadler im Januar »Der NSU-Prozess. Das Protokoll des ersten Jahres«, einen Film, der die schönsten Protokolle aus dem Prozess in einer quälend langen szenischen Lesung vereint. Eine Qual, die nötig ist, geht es doch um die Frage, warum Beate Zschäpe und ihre Mannen »sich so sehr in ihren rechtsradikalen Hass verrannten« – und ihn nicht, wie hierzulande üblich, in Internetkommentaren oder beim Fußball abführten, wo er dem Ausland nicht unangenehm auffällt. Die Gerichtskorrespondentin der Süddeutschen, Annette Ramelsberger, hat dafür ihre eigenen Protokolle gespendet. Rechtschaffen erregt blitzt sie in der zugehörigen Kurzdokumentation mit jenen Äuglein, denen sich der Mordprozess nach eigenem Bekunden »intensiver als ein Kinoabend« darstellte. Finanziert wurde der Film vom Chefproduzenten deutscher Unschuld, Nico Hofmann (»Unsere Mütter, unsere Väter«, »Rommel«), in Auftrag gegeben, präsentiert und beworben schließlich vom Süddeutsche-Magazin, der strohbunten Analphabetenbeilage des Blatts.
Dieses Land hat eine eigenwillige Art, mit rechtsextremen Verbrechen umzugehen. Geheimdienste schreddern Akten, Richter sprechen NPD-Leute frei, die nach Ankündigung versuchen, Antifaschisten totzufahren. Die allergrößten Verbrechen werden an höhere Stellen weitergeleitet: an die Presse, die sie mittlerweile routiniert in Unterhaltung verwandelt. Als »sehr lang, sehr schmerzhaft, sehr herausragend« lobte der unermüdliche Faselhans Sascha Lobo den Film und tatsächlich: Keiner, der noch ein wenig Schmerzempfinden oder Selbstachtung hat, kann sich mehr als fünf Minuten anschauen. Da sitzen einige niedliche, rührend ungepflegte und schon jetzt absolut hoffnungslose Jungschauspieler schwarzweiß in einem Studio herum, gucken aus ihren Pullovern und sagen zu klischeehafter Filmmusik die Gerichtsprotokolle auf – mit Grabesstimme, grimmig gerunzelten Stirnen, weich schmollenden Mündern, artig gestriegelten Mähnen und dem aus jeder Pore tropfenden Wissen, das man hier nicht nur Kunst, sondern etwas gesellschaftlich Hochrelevantes, ja Grundgutes produziert.
Erkennbar orientiert man sich am »Himmler-Projekt« Romuald Karmakars aus dem Jahr 2000. In dem Film hatte Manfred Zapatka ton- und ausdruckslos die Posener Reden des Reichsführers SS verlesen. Durch bewussten Minimalismus versuchte Karmakar, das Banalböse in Himmlers Rhetorik zu akzentuieren. Doch bei den Bemühungen der Süddeutschen entsteht genau das Gegenteil: Alles wird mit Ähnlichkeit geschlagen, die Aussagen von Zschäpes Angehörigen erhalten dieselbe Bedeutung wie verfahrenstechnische Details und privater Schwachsinn: »Hatte Frau Zschäpe einen Spitznamen?« – »Ja, Diddelmaus.« Weil alles austauschbar ist, können die Schauspieler auch wechselnde Rollen einnehmen, sie sind gleichzeitig Richter und Zeugen, Angehörige von Opfern wie von Tätern: Es stecken ja alle irgendwie mit drin. Auf wirklich jede nur denkbare Weise wird die Rätselhaftigkeit der Taten unterstrichen. Es ist letztlich unverständlich, wie man in diesem schönsten aller Länder rechtsextrem werden konnte, und auch die Presse kann nur ins Gewusel der Aussagen und Schuldzuschreibungen blicken und staunen. Es ist ja auch ein Durcheinander: Nazis, Ausländer, Anwälte, wer soll die nur alle verstehen? Bewusst enthalten sich die Macher jedes Erklärungsversuchs, denn insgeheim lassen sie wissen, dass die Zwickauer Zelle mordete, weil ihre Mitglieder verrückt waren. Menschlicher Erkenntnis sind ihre Motive unzugänglich, ist die Botschaft. Verstärkt wird dies durch die ostentative Zähigkeit und Stupidität der Inszenierung, samt wichtigtuerischem Kameragewackel – jaha, der Film ist genauso unbequem wie die ­gesellschaftliche Wirklichkeit und wer sich diesen eitlen Unfug nicht ansehen will, steht wohl schon selbst mit einem Fuß im Blumenbeet des Faschismus.

Das wird die Hinterbliebenen freuen: dass die Ermordung ihrer Liebsten, in Windeseile schwarzweiß historisiert und zum ästhetischen Erlebnis veredelt, einem Haufen geltungssüchtiger Journalisten und Theaterleute den Lebenslauf aufhübscht. Nicht minder freut es die geschichtsverarbeitende Industrie sowie ihren Gottkönig Nico Hofmann: Mittlerweile kommt man in diesem Land historischer Schuld anscheinend nur noch mit schmalziger Doku-Fiction bei, eine andere Form gibt es dafür offenbar nicht mehr, und je mehr Unrecht bewältigt werden muss, umso praller werden sich die Auftragsbücher dieser Industrie füllen. Dass in den Schulklassen, die zweifelsohne nun zu Hunderten mit diesem Rührstück gepeinigt werden, manch einer aus schierer Langeweile rechtsextrem wird – das haben Ramelsberger und ihre Freunde vom süddeutschen Theaterstadl wahrscheinlich nicht bedacht.