Die Entwicklungen in der Ukraine

Iron Maidan

Die Proteste in der Ukraine zeigten Wirkung, doch ein emanzipatorischer Wandel ist nicht in Sicht.

Zwei Monate »Euromaidan« auf den Straßen Kiews haben der ukrainischen Führung stark zugesetzt. Ihr übereiltes Vorgehen Mitte Januar, als sie mit repressiven Gesetzen de facto oppositionelle Handlungen kriminalisierte, bescherte ihr lediglich eine Radikalisierung der Proteste. Prompt folgten Teilzugeständnisse. Aber weder die Kabinettsauflösung noch die Rücknahme einiger der umstrittenen Gesetze vom Januar und die in Aussicht gestellte Amnestie für alle an den gewaltsamen Ausschreitungen Beteiligten mit Ausnahme jener, denen schwere Vergehen vorgeworfen werden, treffen bei der Opposition auf volle Zustimmung – zumal die Erfüllung der an die Amnestie geknüpften Bedingungen, nämlich die Beendigung der Besetzungen staatlicher Verwaltungsgebäude, einer Kapitulation gleichkäme.
Derweil geht der Machtkampf um die Ukraine weiter. Während die russische Regierung nach einer ersten Zahlung mit der weiteren Gewährung der von ihr zugesagten Kredite in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar bis zur Ernennung einer neuen ukrainischen Regierung warten will, locken die Europäische Union und die USA mit einem Hilfspaket. Kurzfristige Finanzhilfen sollen unter einer Übergangsregierung für wirtschaftliche Stabilität sorgen. Mit der Unterstützung der EU wird die parlamentarische Opposition zwar gestärkt, aber sie erhält im Land selbst weitere Konkurrenz, und zwar von rechts.
Ende Januar machte der »Rechte Sektor« erstmals Ansprüche geltend, als dritte Verhandlungspartei anerkannt zu werden. Andernfalls behalte sich der rechtsextreme Zusammenschluss weitere Maßnahmen vor, die deren Sprecher Dmitrij Jarosch von Tryzub nicht weiter erläuterte. Ob sich der »Rechte Sektor«, der unter anderem eine Legalisierung paramilitärischer Gruppen fordert, als eigenständige politische Kraft etablieren wird, ist fraglich. Die Linke macht ihm jedenfalls keine Konkurrenz, auch wenn zeitweilig sogar im liberalen Lager der Ruf nach aktiver Beteiligung von Gewerkschaften laut wurde, ohne die ein Generalstreik als mögliches Durchsetzungsmittel für politische Forderungen undenkbar ist.
Die Frage ist, ob sich angesichts des wirtschaftlichen Drucks aus Russland, aber auch seitens der EU, in absehbarer Zukunft überhaupt eine klare Entscheidung hinsichtlich der politischen Zugehörigkeit der Ukraine treffen lässt. Unzweideutige Slogans der Opposition wie »Ukraine über alles!« wirken gelegentlich wie eine trotzige Antwort auf die Erkenntnis, dass die Ukraine trotz ihrer formalen Unabhängigkeit und ihres derzeit demonstrierten Widerstandspotentials ihre Nachbarn um Erlaubnis fragen muss, nur um fest­zustellen, dass die Grenzen des Möglichen durch bezahlbare Gaspreise und Kreditrückforderungen definiert werden. Es wäre die Aufgabe emanzipatorischer Kräfte, jenem im Nationalismus verhafteten Denken eine Alternative entgegenzusetzen.
So bleibt ein kompletter Richtungswechsel in der Ukraine unwahrscheinlich. Zu erwarten ist eher, dass die kommende Regierung zwar einen europafreundlichen Weg einschlägt, aber Russland wirtschaftlich dominant bleibt. Bestenfalls könnte das Land wieder zu einer parlamentarischen Demokratie ohne übermäßig starke Bedeutung des Präsidenten übergehen. Damit könnte unter Umständen auch Russland leben.