Berlin Beatet Bestes. Folge 228.

Mit dem Alter kommt die Geduld

Berlin Beatet Bestes. Folge 228. Karl Dall: Der älteste Popper der Stadt (1981).

Wenn du plötzlich allergisch gegen Hamburger bist,/aber gerne mal Eisbein mit Sauerkraut isst/und dabei sogar die schlanke Linie vergisst,/bist du der älteste Popper der Stadt./Wenn die Mädchen flüchten,/weil sie deinen Bauch seh’n,/die Jeans nicht mehr zu und die Schuhe nicht aufgeh’n,/kleine Kinder deinetwegen im Bus aufsteh’n, bist du der älteste Popper der Stadt./Gib nicht auf,/du bist gut drauf./Bei einem, der deinen Durchblick hat,/da ist der alte Schwung noch lange nicht hin./Du bist der älteste Popper der Stadt./Wenn du wochenlang nicht in den Spiegel schaust,/weil du nach und nach an den Schläfen ergraust,/dich deshalb nicht mehr in die Disco traust,/bist du der älteste Popper der Stadt./Wenn du merkst, dass die Eltern von dem steilen Zahn/mit der tollen Figur und den roten Haar’n/mit dir damals in einer Klasse war’n,/bist du der älteste Popper der Stadt./Gib nicht auf (…)/Wenn dein Sohn in deinem besten Zwirn vor’m Spiegel steht,/weil er damit als Punker zum Karneval geht,/und sich dann vor Entsetzen dein Magen umdreht,/bist du der älteste Popper der Stadt.«
Als diese Single 1981 erschien, habe ich sie kaum registriert. Aber der Text richtete sich auch nicht an 15jährige, sondern an ältere Leute, die sich noch für ziemlich cool hielten. Heute fühle ich mich direkt angesprochen. Karl Dall war damals 40, ich werde 48. Ich bin alt. Reiche Männer kaufen sich in dieser Situation einen Sportwagen, ich habe angefangen, Swing zu tanzen. Die Swing-Musik der dreißiger Jahre von Willie Bryant, Andy Kirk und Erskine Hawkins begeistert mich derzeit sehr. Das sagt ja wohl alles. Vor einigen Jahren hätte ich nichts uncooler gefunden! Das schöne am Älterwerden ist aber, dass einem Trends egal werden. Sie rauschen vorbei und ändern sich, noch bevor ich Zeit hätte, sie überhaupt wahrzunehmen.
Was ist eine App und wofür ist sie gut? Keine Ahnung. Egal. Junge Menschen halten sich ja immer für so rebellisch. Tatsächlich sind sie viel gefallsüchtiger, angepasster und unterliegen stärkeren Gruppenzwängen als ältere. Immer sind sie Spielball der Moden und Strömungen. Als älterer Mensch trage ich meine Hosen, so lange ich will. Allerdings stehen alte, kaputte Klamotten leider auch nur jungen Leuten. Alte Leute sehen in alten, kaputten Klamotten aus wie Penner. Ich muss mir also wohl oder übel regelmäßig neue Klamotten kaufen. Beim Swingtanzen treffe ich auf junge Männer mit Bärten und Undercut, die zwar nur halb so alt wie ich sind, aber doppelt so schnell lernen. Das ist zwar bitter, aber zum Ausgleich bin ich auch nicht mehr so ehrgeizig. Und habe viel mehr Zeit und Geduld. Es ist also nicht alles schlecht am Älterwerden.
Während Karl Dall sich als Popper verkleidete, trat der damals 45jährige Dieter Hallervorden als Punk auf. Seine 1980 erschienene Parodie auf Roland Kaisers »Santa Maria« ist allerdings reiner Nonsens: »Punker Maria,/ich hab meine Nadel verloren … Aua Aua«.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.