Elmar Wigand im Gespräch über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen

»Es geht hier nicht um EU versus USA«

Gegen das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), über das seit 2013 zwischen der Europäischen Union und den USA verhandelt wird, richten sich verschiedene Kampagnen sozialer Bewegungen (Jungle World 4/2014). Das TTIP könnte auch Arbeitnehmerrechte einschränken, darauf wies unlängst die Ini­tiative »Aktion ./. Arbeitsunrecht« hin, die auf ihrer Website einen Aufruf gegen das TTIP veröffentlicht hat. Die Jungle World sprach mit dem Kölner Journalisten und Online-Redakteur Elmar Wigand, neben Werner Rügemer Initiator des Aufrufs und Betreiber der Website, über die negativen Folgen des TTIP für Lohnabhängige und Gewerkschaften.

Ihr Aufruf »Arbeitsrechte verteidigen: Freihandelsabkommen zwischen USA und EU stoppen!« startete am 15. Januar mit 61 Erstunterzeichnern. Wie war die Resonanz bisher?
Wir haben jetzt über 2 000 Unterschriften. Das ist, verglichen mit den Zahlen, die Campact mit ihrem Aufruf gegen das TTIP erreichen kann, sicherlich eine sehr bescheidene Summe. Ich bin damit trotzdem zufrieden, weil unser Aufruf ganz anders funktioniert: Da werden nicht leicht zu verstehende Beispiele in den Vordergrund gerückt, etwa Chlorhühnchen oder Genmais, sondern wir präsentieren einen komplexen Sachverhalt, der erst einmal verstanden werden will. Was mit den Unterschriften am Ende passiert, wissen wir noch nicht. Ich überlege, ob man sie an einem geeigneten Ort übergeben und eine Busreise hin zu den Orten des EU-Lobbyismus nach Brüssel machen könnte. Aber das ist noch in der Planung.
Sie fordern den Abbruch der TTIP-Verhandlungen. Was genau kritisieren Sie?
Wir schließen uns zum einen der Kritik an, die auch andere äußern. Dass also die privaten Schiedsgerichte, bei denen Firmen im Grunde staatliche Souveränität erhalten und gegen staatliche Entscheidungen klagen können, eine Gefahr darstellen. Unsere besondere Kritik ist, dass die USA die Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nicht ratifiziert haben, dass also mit einem Partner verhandelt wird, der sich abseits des internationalen Rechts stellt. Man darf dabei nicht vergessen: Geltendes Recht und durchgesetztes Recht sind immer noch zwei verschiedene Dinge. Wir halten diese Kernnormen dennoch für wichtig und versuchen zu betonen, dass die arbeitende Bevölkerung sich auf Menschenrechte beruft und darauf pochen kann, dass Arbeitsrechte tatsächlich Teil der Menschenrechte sind.
Zweitens weisen wir darauf hin, dass sowohl in der EU als auch in den USA bereits Sonderzonen existieren, die weiter ausgebaut werden sollen. Solche Sonderzonen, die etwa in Europa durch Sparmaßnahmen entstehen, in deren Folge Tarifverträge aufgelöst und Arbeitsstandards angegriffen werden, sind bevorzugte Orte für Investitionen und Auslagerungen. Während GM und Ford die Werke in Bochum und Genk schleifen, investieren sie Milliarden in Spanien. 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit sind eine gute Grundlage für Profite. In den USA wären vergleichbare Zonen die Bundesstaaten, in denen das right to work law gilt. Sie sind seit den neunziger Jahren bevorzugte Ansiedlungsziele für deutsche Firmen, dort gibt es fast keine Gewerkschaften und Tarifverträge. Inzwischen haben 24 von 50 Bundesstaaten solche Gesetze. Wir befürchten, dass es ein transatlantisches Rattenrennen um die Senkung von Arbeits- und Lohnstandards geben wird.
Inwiefern unterscheidet sich das right to work law von Regelungen in der Bundesrepublik oder in Frankreich, wo Streikposten den Zutritt von Arbeitswilligen zum Betrieb ebenfalls nicht verhindern dürfen? In welcher Hinsicht geht es über europäische Regelungen hinaus?
»Right to work« bedeutet nicht etwa ein »Recht auf Arbeit«, sondern das Recht darauf, unbehelligt von Gewerkschaften zur Arbeit zu gehen. Dahinter steckt die Idee, dass kollektive Vereinbarungen und Organisation den freien Willen des Einzelnen behindern. Das ist natürlich am meisten der Fall, wenn gestreikt und verhindert wird, dass Streikbrecher in die Fabrik geschleust werden. Das ist seit Beginn der Industrialisierung Grund für Konflikte und mitunter militante Auseinandersetzungen. Es geht also um Streikbruch, und in den Staaten mit einem right to work law sind die Rechte, zu streiken und Tarifverträge abzuschließen, stark eingeschränkt. Der Bürger­aufstand in Milwaukee zum Jahreswechsel 2010/11 drehte sich eben um die Einführung eines right to work law in Wisconsin. Aber die Gesetze unterscheiden sich von Bundesstaat zu Bundesstaat. Generell ist die Lage in den USA mit der in Deutschland kaum zu vergleichen, weil es in den USA überhaupt keine Betriebsräte gibt. Die Gewerkschaften verankern sich über eine Gewerkschaftsbasis und Anerkennungswahlen direkt in den Betrieben.
Schlimmer noch ist, dass dieses right to work auch eine Kultur darstellt. In diesen Bundesstaaten, die überwiegend im Süden der USA liegen – hier reproduziert sich noch die Spaltung des Landes, die sich im Amerikanischen Bürgerkrieg manifestierte –, gelten Gewerkschaften als überflüssige, korrupte Organisationen, denen man keinen Fußbreit entgegenkommen darf. Man kann das studieren an dem Versuch von Volkswagen, in Chattanooga im Bundesstaat Tennessee Mitbestimmung nach deutschem Vorbild zu installieren – eine außergewöhnliche Initiative angesichts des union busting, das Mercedes-Benz, Siemens, die Telekom und Thyssen-Krupp in den USA betrieben haben. Dahinter steht ein ganzes Räderwerk, das eine gewerkschaftsfeindliche Grundstimmung fördert.
Ihr Aufruf kritisiert die USA, weil sie sechs der acht Kernnormen der ILO nicht unterzeichnet haben. Sieht man sich nun an, dass die EU wirtschaftlich – und daher wohl auch politisch – mehr Gewicht hat, sollte man nicht eher die EU ins Zentrum der politischen Kritik rücken?
Von dieser Vorstellung muss man sich komplett lösen, dass es hier um EU versus USA geht. Das ist im Grunde altes Denken, das heutzutage mehr denn je überholt ist, weil die Konzerne – besonders zwischen Deutschland und den USA – längst miteinander verwoben sind. Wir argumentieren von einem kosmopolitischen Arbeitnehmerstandpunkt aus.
Dass die EU ein größeres Gewicht hat, würde ich übrigens bezweifeln; das ist in Hinblick auf Rating-Agenturen, Hedgefonds und Finanzinvestoren überhaupt nicht der Fall. Es geht beim TTIP nicht nur um Produktionsverlagerungen in gewerkschaftsfreie Sonderzonen, es geht auch um die Erleichterung von Investitionen, also darum, Unternehmen aufzukaufen, zu verschmelzen, zu zerschlagen. In diesem Bereich sind die USA absolut dominant mit ihren Wirtschaftsprüfern, Unternehmensberatern, Wirtschaftskanzleien, PR-Agenturen, Finanzinformationsdiensten – die ganze Human-Resources-Branche. In den USA werden die Konzepte entwickelt, daran orientieren sich die europäischen Eliten.
Bereits seit Ende 2013 liegt ein Positionspapier der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor, in der das TTIP ebenfalls kritisiert wird. Sind Sie mit der seitens der DGB-Gewerkschaften formulierten Kritik am TTIP unzufrieden?
Wie sich die einzelnen DGB-Gewerkschaften zum TTIP stellen, ist im Moment überhaupt noch nicht ausgemacht. Die treibenden Kräfte der deutschen Industrie im TTIP-Prozess dürften in der Metall- und Automobilbranche und auch in der Pharma- und Chemieindustrie zu suchen sein. Es ist zu befürchten, dass Teile der Gewerkschaften ihren Unternehmen hier zur Seite stehen oder sich aus standortpatriotischen Gründen nicht aus der Deckung wagen. Bei Verdi sieht das zum Beispiel anders aus: Das erwähnte Papier ist sehr zufriedenstellend. Wir würden das vielleicht etwas schärfer formulieren, aber unsere Argumente mit den ILO-Kernnormen haben darin bereits Eingang gefunden. Genau das ist das Ziel unserer Initiative, dass wir ein Bewusstsein schaffen für die Zusammenhänge zwischen TTIP, Arbeitsrecht und Arbeitsstandards.
Ihre Rolle im »Widerstand«, zu dem Sie aufrufen, ist es also, einen Diskussion anzustoßen? Denn die Proteste scheinen trotz eines breiten NGO-Bündnisses namens »TTIP – unfairhandelbar« und trotz der Erklärungen großer Gewerkschaften nicht so recht in Gang zu kommen.
Das sehe ich gar nicht so. Ich glaube, der Widerstand ist schon recht gut in Gang gekommen. Damit es zu Großdemonstrationen kommt, muss Vorarbeit geleistet werden. Beim Thema GATT und WTO waren es in Deutschland zunächst sehr wenige Leute, die sich damit beschäftigten, was da eigentlich verhandelt wird. Ihre Berichte klangen immer wie Märchen aus einer anderen Welt, die aber trotzdem wahr waren. Es dauert, bis die Informationen ankommen, kann dann aber mitunter sehr schnell gehen, dass sich solches Wissen verbreitet. Von der Gründung der WTO 1995 bis zur »Battle of Seattle« dauerte es vier Jahre.
Der Aufruf von Campact und Attac hat doch eine sehr große Resonanz gehabt. Ich würde das nicht immer nur in Demonstrationen messen. In Brüssel hat im vergangenen Jahr bereits ein internationales Koordinierungstreffen von Gewerkschaftern und Arbeitsrechtlern stattgefunden. In den USA gibt es das Seattle to Brussels Network, zu dem wir jetzt Kontakt aufnehmen. Das alles ist noch im Werden, aber es läuft schon ganz gut. Ich halte es für absolut realistisch, dass die Verhandlungen scheitern und auf Eis gelegt werden. Auch weil die Aufdeckung der NSA-Spionage den Prozess zusätzlich torpediert hat.
Die Teilverhandlungen zu den privaten Schiedsgerichten sollen bereits ausgesetzt werden. Ist das nur eine Finte oder ernst gemeint?
Damit müsste ich mich genauer beschäftigen. Jedenfalls ist es wichtig festzuhalten: Sie zeigen Reaktionen. Es ist nicht so, dass die Gegenseite sich hinstellen kann und die Kampagnen ignoriert, sondern sie muss sich bewegen oder immerhin den Anschein erwecken.

http://arbeitsunrecht.de/ttip-stoppen