Eine neue linke Partei in Spanien

Digital demokratisch

Eine neue linke Partei will in Spanien die Protestbewegungen vereinen und »echte Demokratie« durch digitale Partizipation schaffen.

Die sozialen Proteste in Spanien reißen nicht ab. Täglich wird gegen Sparpolitik, Korruption, zunehmende Repression und die rechtskonservative Regierungspartei Partido Popular (PP) demonstriert. Dabei hat sich die Wirtschaftslage offiziellen Verlautbarungen zufolge eigentlich verbessert. Seit Beginn des Jahres hat Spanien die Rezession überwunden, die 40 Milliarden Euro schwere Bankenrettung ist abgeschlossen. »Manche glaubten, die Krise würde Spanien hinwegfegen«, sagte Ministerpräsident Mariano Rajoy (PP) Anfang Februar. Doch durch die »gemeinsame Anstrengung« sei es nun »Spanien, das die Krise hinwegfegt«. Die Bevölkerung ist jedoch unverändert hart von der Krise, die mittlerweile ins siebte Jahr geht, betroffen. Noch immer ist jeder Vierte arbeitslos, weiterhin werden täglich Hunderte Wohnungen zwangsgeräumt. Der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CIS zufolge schätzen 87 Prozent der Spanierinnen und Spanier die wirtschaftliche Situation als schlecht bis sehr schlecht ein, 82 Prozent fällen das gleiche Urteil über die politische Situation. Das Vertrauen in die herrschende Politik ist an einem neuen Tiefpunkt.

In dieser Situation ist vor kurzem eine neue politische Initiative entstanden, die all die Indignados (Empörten) mit Blick auf die Europawahl im Mai vereinen will. Mitte Januar verkündete Pablo Iglesias Turrión, Politikdozent an der Universität Madrid, bekannter Linksintellektueller und Fernsehmoderator, die Gründung des neuen politischen Projektes Podemos (Wir können es). Der Gründung vorausgegangen war ein Manifest von 30 bekannten linken Personen, Kulturschaffenden und sozialen Aktivisten. Es trägt den Titel: »Die Empörung in einen politischen Wechsel umwandeln.« Podemos sieht sich als Teil der Protestbewegungen 15M und Democracia Real Ya, die 2011 durch Platzbesetzungen und Massendemonstrationen weltweite Bekanntheit erlangt hatten. Mit ihnen teilt sie auch die Forderungen nach »Wiederaneignung der Volkssouveränität« und »wirklicher Demokratie«. Im Manifest wird sich auf die Proteste gegen Zwangsräumungen, die feministischen Kämpfe gegen das neue Abtreibungsgesetz, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung sowie auf Antirassismus, Antimilitarismus und Umweltschutz bezogen. Wichtiger als die politischen Inhalte ist der Partei die Art und Weise, wie diese zustande kommen. Die Schlagwörter sind Partizipation und Demokratie. Sowohl das zukünftige Parteiprogramm als auch die Listen für die Europawahl werden in einem kollektiven digitalen Diskussionsprozess erstellt. Die Hürde ist bewusst niedrig gelegt: Alle, die »gegen die sozialen Kürzungen und für die Menschenrechte« eintreten, sind aufgerufen, sich zu beteiligen.
Seit ihrer Gründung vor einem Monat hat die Partei – die sich nicht als Partei, sondern als »Methode der Bürgerbeteiligung« versteht – für großen Aufruhr gesorgt. Insbesondere in den Medien findet Podemos viel Beachtung, Politikwissenschaftler und Soziologen reichen fast täglich Analysen zu dem neuen Projekt nach. Im ganzen Land finden Gründungstreffen von Circulos Podemos, lokalen Ablegern der Partei, statt. Die Säle sind immer brechend voll, vielerorts müssen Menschen vor der Tür bleiben. Allein in Valencia kamen über 1000 Interessierte. Innerhalb von zwei Wochen hatte Podemos mit über 100 000 likes mehr Facebook-Freunde als die beiden großen spanischen Parteien, der PP und die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PSOE), zusammen. Offenbar spricht die Nicht-Partei viele an, für die aufgrund des Legitimationsverlusts der politischen Parteien sowie der repräsentativen Demokratie parteipolitisches Engagement keine Möglichkeit mehr darstellt. Marea Blanca (Die weiße Flut), die Protestbewegung der Beschäftigten des Gesundheitssystems, hat sich bereits hinter das neue Projekt gestellt. Die 2013 gegründete Partei X, ein erster Steckling der Protestbewegung, der »echte Demokratie« durch pausenlose digitale Partizipation (»Wikiregierung« und »Wikilesgislative«) erschaffen will, wird Podemos ihre Infrastruktur zur Verfügung stellen.

Zugleich wird in der spanischen Linken die neue Initiative heftig diskutiert. In radikalen Kreisen sorgt unter anderem die Fokussierung auf alle »Bürger« (Ciudadanos) und damit das Aussparen sozialer Ungleichheit sowie marxistischer Klassenanalyse für Unmut. Zudem wird kritisiert, dass bereits vor der Krise keine »echte Demokratie« herrschte und dies im Kapitalismus auch nicht möglich sei. Wie schon die Protestbewegung hält sich auch Podemos bezüglich der Systemfrage zurück. »Die guten Absichten ziehen sich durch den gesamten Text, aber über die Ursachen der Krise des Systems wird ebenso wenig gesprochen wie darüber, wie man es überwinden kann«, wird in einem Beitrag auf der linksradikalen Plattform kaosenlared das Manifest kritisiert. Die neue Initiative verortet sich zwar im linken Spektrum und es gibt enge Verbindungen zur Partei »Antikapitalistische Linke«, zugleich aber will sie sich vom linken »Fetisch« lösen. Begriffe wie Revolution, Sozialismus und Kapitalismus werden bewusst vermieden. So erinnert Podemos bisweilen an eine Erlösungsbewegung: »Mit Hoffnung, guten Ideen, Transparenz und Ehrlichkeit werden wir die Dinge ändern« oder »Wir glauben an ­
die Partizipation und an die Demokratie«, läuft in Dauerschleife auf der Homepage. Kritik richtet sich auch gegen die Medienperson Iglesias und das durchorganisierte PR-Konzept. Die Führer­figur und der strategische Mediencoup, mit dem Podemos in die Öffentlichkeit getreten ist, passen nicht wirklich zum Selbstbild der Protestbewegung.

Das linkssozialistische Parteienbündnis Vereinigte Linke (IU), mit acht Abgeordneten die stärkste linke Kraft im spanischen Parlament, wurde von der Gründung von Podemos überrumpelt. Dabei stammt Iglesias aus dem Umfeld der Partei und ist mit Tania Sánchez Melero, Madrider Abgeordnete und Vorstandsmitglied der IU, liiert. Die IU hatte erst im Januar eine eigene Kampagne für die »demokratische Revolution« begonnen. Sie versucht, ihre Verärgerung über die neue Konkurrenz nicht offen zu formulieren und betont stattdessen die Gemeinsamkeiten und Möglichkeiten zukünftiger Zusammenarbeit. Der Vorwurf der Spaltung der spanischen Linken taucht jedoch in vielen Kommentaren auf, schließlich existieren zwischen IU und Podemos bezüglich Inhalten und Zielgruppe kaum Unterschiede. Diego Farpón von der Kommunistischen Partei der Völker Spaniens (PCPE) bezeichnete Podemos als »konterrevolutionäres« Projekt, das die Arbeiterklasse verwirre.
Podemos will aber auch kein revolutionäres Projekt sein, sondern eine Bürgerbewegung. Sie will die basisdemokratischen Strukturen der mittlerweile aufgelösten Protestcamps im Internet zu neuem und dauerhaften Leben erwecken. Sie zeichnet sich – sei es aus Taktik oder Überzeugung – durch politische Unbestimmtheit aus, auch wenn Podemos in ihrem Manifest wichtige Standpunkte benennt, die über vieles, was die Protestbewegung bisher formuliert hatte, hinausgehen. Ihr bisher größter Verdienst ist wohl, dass sie innerhalb der spanischen Linken eine große Diskussion über Möglichkeiten und Hindernisse für eine linke Organisation als Antwort auf die Krise entfacht hat.