In Bayern sollen rechtsextreme Motive von Tötungsdelikten geprüft werden

Verharmlosung hat Tradition

Allein in Bayern werden nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« im Rahmen einer bundesweiten Prüfung 40 Tötungsdelikte erneut auf einen rechtsextremen Hintergrund untersucht. Bei mindestens vier dieser Fälle wird ein fragwürdiges Vorgehen der Staatsregierung bei der Einordnung rechtsmotivierter Morde deutlich.

Als Reaktion auf die Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« im November 2011 ordnete die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung die Überprüfung von ungeklärten Tötungsdelikten auf einen rechtsextremen Hintergrund an. Bundesweit betraf dies 3 300 vollen­dete oder versuchte Tötungsdelikte sowie jene 137 Fälle, die nach Recherchen des Tagesspiegel und der Zeit ebenfalls einen Neonazi-Hintergrund haben, bislang aber nicht anerkannt wurden. Nach einer »ersten Überprüfung« sind der Bundesregierung zufolge noch 745 Tötungsdelikte zwischen 1991 und 2011 übriggeblieben, davon entfallen 40 sogenannte »Prüffälle« auf Bayern – dazu zählen unter anderem auch die vier von Medien recherchierten Morde im Bundesland.

Seit die Bundesregierung nach dem Mauerfall rechtsextrem motivierte Morde in einer Statistik erfasst, hat es in Bayern angeblich erst ein Tötungsdelikt mit nazistischem Hintergrund gegeben. Offiziell gelistet wird – mit Ausnahme der fünf bayerischen Todesopfer des NSU – lediglich der Mord an Carlos Fernando, der am 15. August 1999 im oberbayerischen Kolbermoor von dem Neonazi Roman G. totgeprügelt wurde, nachdem sich dieser energisch darüber echauffiert hatte, dass der PKW seiner Freundin angeblich von »Afrikanern« zugeparkt worden sei.
Bereits vier Jahre zuvor, am 7. September 1995, wurde in Amberg in der Oberpfalz jedoch der Busfahrer Klaus-Peter Beer getötet. Die beiden Neonazi-Skinheads Richard L. und Dieter M. griffen den 48jährigen an, weil sie ihm wegen seiner Homosexualität »einen Denkzettel« hätten »verpassen« wollen. Brutal traten sie ihn unzählige Male mit ihren Springerstiefeln, ehe sie ihr Opfer in die Vils warfen. Bedingt durch die grausame Attacke konnte sich Beer nicht mehr aus dem Wasser retten, qualvoll ertrank er schließlich im Fluss. Als der Richter die 18 und 21 Jahre alten Täter zu zwölf beziehungsweise acht Jahren Haft verurteilte, sprach er von einer »Scheußlichkeit und Menschenverachtung«, die ihn an die »düstersten Zeiten der deutschen Geschichte« erinnere. Trotzdem erkennt die Staatsregierung kein politisches Motiv an, der Fall gilt als »Hasskriminalität«.

Nicht weniger umstritten sind drei weitere Fälle aus den Jahren 1999, 2006 und 2008. Am 1. November 1999 tötete Martin Peyerl bei einem Amoklauf seine Schwester Daniela, Karl-Heinz Lietz sowie das Ehepaar Horst und Ruth Zillenbiller; sechs weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Der erst 16jährige Täter tötete sich am Ende selbst.
Obwohl die Polizei neben gewaltverherrlichenden Videos auch Hitler-Bilder, rassistische Notizen und Hakenkreuze im Zimmer des Jugendlichen fand, wird ein rechtsextremer Hintergrund ausgeschlossen. Die Motivation sei vielmehr »in der Persönlichkeit« des eher »verschlossenen und unauffälligen Täters« zu suchen, ein rechtsextremes Motiv könne nicht »abgeleitet« werden.
Besonders in der Kritik steht die Staatsregierung für die Einordnung im Fall des 2006 im niederbayerischen Plattling getöteten Andreas Pietrzak. Der 41jährige Obdachlose deutsch-polnischer Abstammung war am 6. Mai zunächst mit dem Täter gemeinsam trinken gewesen, bevor dieser ihn mit einem Holzpflock attackierte, mit Springerstiefeln gegen seinen Kopf trat, ihn ausraubte, mit Spiritus übergoss und anschließend anzündete. Zuvor hatte ein Bekannter des Neonazis noch gesagt, man müsse »dem Polen eine Abreibung verpassen«.
Dennoch ließ sich nach Angaben der Staatsregierung kein rassistisches Tatmotiv erkennen, immerhin sei mit »Pole« nicht die »Volksgruppe« gemeint. Viel eher handele es sich um den »Spitznamen« des Opfers, rechtfertigte sich das Innenministerium. Außerdem habe eine »Forderungssache« im Mittelpunkt gestanden, da das Opfer ausgeraubt wurde.
Ebenfalls umstritten ist die Entscheidung bei der Ermordung von Peter Siebert in Memmingen. Der 40jährige wurde von einem polizeibekannten Neonazi mit einem Bajonett niedergestochen, nachdem er sich wiederholt über dessen Rechtsrock-Musik beschwert hatte. Vor Gericht gab der Täter an, mit dem Opfer in Streit geraten zu sein, »weil ich rechts war«. Ohne die neonazistische Motivation zu berücksichtigen, verurteilte das örtliche Landgericht den Neonazi wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten.
Erst zwei Jahre nach der Tat räumte der stellvertretende Landgerichtspräsident ein, dass eine Verurteilung eventuell zu schnell erfolgt sei und ein rechtsextremes Motiv als »wahrscheinlich« angesehen werden könne. Die bayerische Staatsregierung listet den Fall trotz dieser Aussage weiterhin nicht als »politisch-motivierte Kriminalität – rechts« auf.

Initiativen gegen Rechts und Opferverbände kritisieren seit langem, dass die Fälle trotz ihrer Eindeutigkeit nicht anerkannt worden sind. Derweil wird am 30. April vor dem Landgericht Kempten der Prozess gegen einen Thüringer Neonazi eröffnet, der in Kaufbeuren im Juli 2013 einen Spätaussiedler aus Kasachstan zu Tode geprügelt hat. Auch in diesem Falle konnte der Staatsanwaltschaft zufolge ein »rassistisches Motiv bis dato nicht beweiskräftig festgestellt werden«.