Alexandra Pavlou im Gespräch über den Zusammenbruch des griechischen Gesundheitssystems und solidarische Kliniken

»Es ist eine politische Tat«

In Griechenland ist unter dem Druck der verordneten Austeritätsmaßnahmen das Gesundheitssystem zusammengebrochen. Wer nicht krankenversichert ist, muss die Kosten einer Behandlung vor Ort in bar bezahlen oder sie werden am Ende des Jahres über die Steuer eingezogen. Vor kurzem wurden erneut Kliniken geschlossen und weitere 8 500 Beschäftigte entlassen. Um dennoch eine Behandlung von Armen, Migranten und Nichtversicherten gewährleisten zu können, sind in ganz Griechenland solidarische Kliniken eingerichtet worden. Die Jungle World sprach mit Alexandra Pavlou (49). Als Kind lebte sie in München, in Griechenland arbeitete sie als Übersetzerin, bevor sie vor zwei Jahren arbeitslos wurde. Sie ist in der solidarischen Klinik K.I.F.A. in Athen aktiv.

Was bedeutet K.I.F.A. und wie kam es dazu, dass Sie sich dort engagieren?
K.I.F.A. bedeutet »Soziale Arztpraxis und Apotheke Athen«. Die Praxis besteht seit Februar 2013. Ich engagierte mich dort von Anfang an, weil es wirklich notwendig ist. Im Moment sind in Griechenland offiziell 3,5 Millionen Menschen nicht krankenversichert. Inoffiziell sind es mehr. Freiberufler können beispielsweise gar nicht offiziell gezählt werden und das sind sehr viele. Sie können ihre Krankenversicherung nicht mehr bezahlen. Und viele haben auch ihre Familien mitver­sichert. Das heißt also, die Zahl der Nichtversicherten ist in Wirklichkeit viel höher.
Wie viele Menschen arbeiten bei K.I.F.A.? Machen sie das ganztägig oder halbtags und womit verdienen die Mitarbeiter ihr Geld zum Leben?
Wir alle helfen in der Klinik freiwillig, wir werden nicht bezahlt. Wir sind ungefähr 100 Menschen, die sich dort engagieren. Viele von uns haben noch eine Arbeit, andere nicht, so wie ich. Die meisten, die dort mitmachen, arbeiten etwa zwei bis vier Stunden in der Woche. Aber es gibt auch andere, die zwei- oder dreimal pro Woche kommen. Ich zum Beispiel komme zweimal pro Woche. Ich habe aber auch zu Hause für die K.I.F.A. zu tun, ich übernehme eine Art Koordination. Wir haben Ärzte, die unsere Patienten in ihren Praxen behandeln. Und dann haben wir natürlich auch einige Ärzte, die in Krankenhäusern arbeiten und dort helfen. Aber es gibt Untersuchungen, die wir nicht machen können, die außerhalb gemacht werden müssen und dabei helfen uns auch inoffiziell viele Ärzte in Krankenhäusern, zum Beispiel beim Röntgen oder bei Blutuntersuchungen.
Wie sind Sie ausgestattet?
Die Klinik ist in zwei Wohnungen untergebracht. Wir haben zwei Zahnarztstühle, bei Zahnbehandlungen wird fast alles hier gemacht. Und letztens haben wir auch ein Ultraschallgerät aus Deutschland bekommen. Inzwischen arbeiten wir außerdem mit einem privaten Diagnostikzentrum zusammen, das im Monat ungefähr 15 Untersuchungen für uns kostenlos macht. Wir versuchen, noch weitere Diagnostikzentren zu finden, weil es in den Krankenhäusern sehr schwierig ist. Da gibt es keine Möglichkeiten für offizielle Untersuchungen. Es werden auch einige kleine Operationen bei uns gemacht, wenn keine Narkose gebraucht wird, also wirklich kleine Sachen.
Wir haben außerdem eine Apotheke. Die Medikamente werden zu 99 Prozent von einfachen Menschen gebracht. Das Problem sind ja inzwischen nicht mehr nur die Behandlungen, sondern auch die Medikamente. Viele Menschen können ihre Medikamente nicht mehr bezahlen, das betrifft vor allem Nichtversicherte, aber auch Versicherte, denn sie müssen einen Teil zuzahlen, da die Krankenkasse nicht alles übernimmt. Deshalb kommen inzwischen sogar Versicherte zu uns.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie Menschen nicht helfen können?
Das ist eine sehr harte Sache, Menschen wegschicken zu müssen. Krebskranke sind in einer äußerst schwierigen Lage. Wir hatten in einer anderen Solidarklinik den Fall, dass ein Krebskranker gestorben ist, weil er seine Medikamente nicht kaufen konnte. Das Problem betrifft auch Aids-Kranke. Wir machen Mobilisierungen. Alle solidarischen Kliniken werden entweder von Privatleuten finanziert oder durch Spenden von verschiedenen Gruppen und Gewerkschaften auch aus dem Ausland. Das Geld von »Solidarität für alle« (solidarity4all) wird von den Abgeordneten der Partei Syriza bezahlt und geht an verschiedene solidarische Einrichtungen. Vor kurzem hatten wir eine Demonstration vor zwei Krankenhäusern in Athen, die auf Krebserkrankungen spezialisiert sind. Wir demonstrierten zusammen mit den dortigen Ärzten und anderem Klinikpersonal.
Gibt es Konflikte mit den Krankenhäusern?
Ja, da helfen uns nur wenige. Die meisten Ärzte, aber nicht die Verwaltung. Die Verwaltung hat ja die Order, dass, wer nicht zahlen kann, nicht behandelt wird. Oder es wird eben danach Geld verlangt. Die Person wird vielleicht behandelt, bekommt aber dann vom Finanzamt eine Rechnung über 5 000 Euro.
Haben Sie Prinzipien oder eine gemeinsame Idee, nach der Sie handeln und behandeln?
Die Kliniken sind offen. Wir machen keinen Unterschied, ob es um Griechen oder Ausländer geht. Das ist selbstverständlich. Der Grund für die Gründung solidarischer Kliniken ist diese Krise, in der viele Menschen keinen Zugang mehr zum Gesundheitswesen haben. Alle solidarischen Kliniken in Griechenland arbeiten zusammen. Unser Ziel ist es nicht, den Staat zu spielen, wir sind der Meinung, dass der Staat für die Krankenversorgung zuständig ist. Wir machen das nur, solange der Staat sich dieser Verantwortung entzieht. Unser Ziel ist es, dass wir bald nicht mehr nötig sind. Wir machen das auch nicht nur aus Menschenfreundlichkeit. Es ist eine politische Tat. Wir bieten nicht nur Hilfe an, so wie die Kirche, sondern unser Ziel ist es auch, die Menschen zu stärken, damit sie gegen die Situation kämpfen können. Dass wir alle zusammen dagegen kämpfen können. Deshalb organisieren wir auch Demonstrationen, wie zum Beispiel jetzt vor den Krankenhäusern. Unser Prinzip ist Solidarität, nicht Wohlfahrt. Mit dieser Hilfe unterstützen wir den Kampf gegen die Ursachen, die uns bis hierher gebracht haben.
Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat gemeinsam mit dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit eine Gesamtstrategie für den strukturellen Umbau der Gesundheitsversorgung in Griechenland erarbeitet. So wurde unter anderem das umstrittene Modell der Krankenhausabrechnungen nach Fallpauschalen exportiert. Gleichzeitig wirbt die deutsche Bundesregierung im Ausland, auch in Griechenland, um Fachkräfte. Wie bewerten Sie diese Situation?
Diese Änderungen werden viel rigider durchgesetzt als in Deutschland. Unser Gesundheitssystem wird bald an das der USA erinnern. Gesundheitsversorgung erhält letztlich nur noch, wer dafür bezahlen kann. Die größte Krankenkasse mit vielen Polikliniken soll jetzt auch geschlossen werden, die Ärzte streiken deswegen. (Sie wurde am 18. Februar geschlossen, Anm. Gruppe polar.) Wenn die zu sind, heißt das für die Menschen, dass sie dann bezahlen müssen. Und die verbliebenen Kliniken behandeln nach Fallpauschalen. Das ist ja nicht nur in Griechenland so, sondern auch in anderen südeuropäischen Ländern. Die Krankenhäuser leiden zudem immer mehr unter Personalmangel. Ich nenne das immer »Verblutung«. Das betrifft nicht nur Ärzte. Wir haben bisher immer noch freie, kostenlose Universitäten. Man bezahlt jungen Menschen das Studium, damit sie ihr Wissen an die Gesellschaft zurückgeben. Aber in den vergangenen Jahren sind Hunderttausende junger Menschen ausgewandert.
Wie kann man Sie unterstützen?
Außer Spenden von Geld oder Medikamenten ist es für uns wichtig, dass im Ausland und auch in Deutschland bekannt wird, was hier vor sich geht. Es für uns sehr wichtig, dass die Menschen erfahren, wie die Situation hier ist und dass das nicht an den »faulen Griechen« oder »faulen Spaniern« liegt, sondern dass es an einer bestimmten Politik liegt, die in den vergangenen Jahren immer aggressiver geworden ist.

Die gruppe polar (Dresden) sammelt Spenden für Solidarkliniken, informiert über die Situation in Griechenland und kritisiert die hegemoniale Rolle Deutschlands in Europa. Eine längere Version des Interviews und der Spendenaufruf »Krank gespart!« sind nachzulesen auf http://gruppe-polar.org/krank-gespart/