Abhörskandal in Frankreich

Mit Diktaphon beim Präsidenten

Patrick Buisson, die graue Eminenz Sarkozys mit rechtsextremer Vergangenheit, hat jahrelang dessen Gespräche mitgeschnitten. Es ist nicht der einzige Skandal, der Sarkozy derzeit in Bedrängnis bringt.

Äußerlich könnte er als eine Art älterer Bruder von Inspektor Kojak durchgehen. Nur stand er noch nie auf der Seite des Guten. Bekannt wurde er zuerst durch glorifizierende Bücher über die »Organisation geheime Armee« (OAS) – eine rechte Terrororganisation, die 1962 mit Bombenanschlägen und Massakern gegen den französischen Rückzug aus Algerien kämpfte. Und durch ein merkwürdiges Buch über »1940–1945, Erotische Jahre«, das die Zeit der deutschen Besatzung in Frankreichs und die Ära des Vichy-Regimes primär unter dem Gesichtspunkt einer vorgeblichen erotischen Erfahrung behandelt.
Patrick Buisson, der Mann mit dem glänzenden Schädel, der in diesen Tagen im Mittelpunkt eines Skandals steht, galt in den Jahren der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys als dessen graue Eminenz. Er war nur einer von dessen Beratern, neben der katholisch-wirtschaftsliberalen Verwaltungsrichterin Emmanuelle Mignon und dem in gaullistischen Mythen und patriotischem Pathos schwelgenden Redenschreiber Henri Guaino. Aber Buisson hatte eine strategische Stellung inne. Er war für die Auswertung der öffentlichen Meinung zuständig – dafür gab er Umfragen in Auftrag, an denen er selbst rund anderthalb Millionen Euro im Jahr verdiente, weshalb gerichtlich ermittelt wird –, für die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen und die Festlegung einer ideologischen Linie. Und diese fiel immer gleich aus: stramm rechts.
Buisson war der Mann, der Sarkozy im Jahr seiner Wahl 2007 zur Schaffung eines »Ministeriums für nationale Identität« inspirierte. Auf ihn geht die landesweite »Debatte zur nationalen Identität« im Winter 2009/10 zurück, und er beeinflusste 2012 den Wahlkampf der bürgerlichen Rechten in Frankreich erheblich –überwiegend mit nationalistischen und rassistischen Tönen.
Der politische Werdegang Buissons lässt keine Zweifel offen. Nach einem längeren Geschichtsstudium begann er seine Karriere bei der bekannten rechtsextremen Wochenzeitung Minute, für die er Parlamentskorrespondent und in den Jahren 1986/87 auch Chefredakteur war. 1988 saß er bei der zentralen Wahlkampfveranstaltung des Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen in der ersten Reihe. Dessen Partei, dem Front National, arbeiteten Buisson und seine Zeitung damals in jeglicher Hinsicht zu. Später wechselte Buisson des Öfteren die Arbeit- und Auftraggeber. Als Journalist ging er zum Kabelfernsehsender LCI, inzwischen ist er der Chef eines eigenen Fernsehsenders namens Histoire. 2005 schloss er sich politisch dem Rechtskatholiken Philippe de Villiers an, der eine Scharnierposition zwischen Konservativen und Rechtsextremen besetzte, kurz darauf dem aufstrebenden damaligen Innenminister Sarkozy.
Dies war bekannt. Neu war, was am 16. Februar erstmals das konservativ-wirtschaftsliberale Wochenmagazin Le Point schrieb, damals noch ohne Beweise zu präsentieren: Buisson habe Gespräche seines damaligen Chefs Sarkozy über Jahre hinweg mitgeschnitten, mit einem dictaphone, einem kleinen Aufnahmegerät, das er stets in der Westentasche verborgen habe. Buisson dementierte energisch und kündigte eine Strafanzeige gegen das Wochenmagazin an. Zwei ­Wochen später hörte sich dies bereits anders an. In den ersten Märztagen publizierte zunächst die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné, kurz darauf auch die rechtsliberale Website Atlantico Auszüge aus von Buisson mitgeschnittenen Gesprächen im Umfeld des damaligen Prä­sidenten Sarkozy. Dieses Mal dementierten Buisson und sein Anwalt Gilles-William Goldnadel nicht, sondern bestätigten nacheinander die Authentizität der Aufnahmen.
Die Auszüge im Canard sind eher politischer Natur, die im Atlantico betreffen dagegen eine private Kommunikation zwischen Sarkozy und seiner Ehefrau Carla Bruni, unter anderem über Immobiliengeschäfte und über ihre Einkünfte als Sängerin. Die Auszüge sind insgesamt noch relativ harmlos, aber – fast – niemand kann wissen, was alles noch publik werden könnte. Das Ehepaar Sarkozy ist dem Vernehmen nach jedenfalls »wutentbrannt« und kündigte mehrere Strafanzeigen an.

Patrick Buissons Motivation für die Aufnahmen ist dagegen nach wie vor ungeklärt. Mit seiner Persönlichkeit Vertraute behaupten allerdings, er sei chronisch misstrauisch und neige dazu, alles kontrollieren zu wollen. Sein einziger Sohn Georges sagte öffentlich, seit seiner Kindheit habe er seinen Vater stets mit Aufnahmegeräten hantieren sehen. Dieser hat inzwischen der Presse seine eigene Version mitgeteilt: Er habe sich gegen spätere Infragestellungen von Beschlüssen schützen und ferner ein Buchprojekt über »die Sarkozy-Jahre« vorbereiten wollen. Nur wussten jene, deren Gespräche mitgeschnitten wurden, anscheinend nichts von ihrem Glück, so in die Geschichte einzugehen. Georges Buisson wird verdächtigt, der Urheber der Veröffentlichungen zu sein, die Presse also auf die Spur gebracht zu haben. Er selbst hat dies dementiert.
Bereits nach dem ersten Artikel in Le Point von Mitte Februar kommentierte die Presse, Patrick Buissons Stern sei im Sinken begriffen, Sarkozy wolle sich inzwischen von ihm lösen: Buisson könne Sarkozys Image für dessen geplantes Comeback vor dem Präsidentschaftswahlkampf 2016/17 zu einseitig prägen. Buisson erschien Sarkozy ­allerdings auch deswegen seit einiger Zeit als Belastung, weil jener sich dessen Unterstützung für die ehemalige Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet als Kandidatin für das Rathaus in Paris widersetzte. Diese zählt zum moderaten Flügel ihrer gemeinsamen Partei. Sie soll in Paris um linksliberale Stimmen werben, wird aber voraussichtlich als Kandidatin bei der Kommunalwahl Ende März scheitern.
Auch wenn Buisson seine politische Karriere bei der UMP wohl hinter sich hat, verbreiten sich seine Ideen dort nach wie vor. Zwei Strömungen, die weitgehend von Buissons Ideen inspiriert und eher nationalkonservativ bis national-identitär ausgerichtet sind, bilden seit Herbst 2012 die beiden stimmenstärksten Blöcke im UMP-Vorstand: die Droite populaire und die Droite forte. Letztere wird von zwei weit rechts stehenden Jungpolitikern geleitet, Guillaume Peltier und Geoffroy Didier. Peltier begann seine Karriere beim Front National.

Die politische Zukunft Sarkozys sieht nicht rosig aus. Mehrere juristische Verfahren sind gegen ihn anhängig, unter anderem wegen der Verwicklung in illegale Waffengeschäfte – der sogenannten Karatschi-Affäre – und wegen gesetzwidriger Wahlkampffinanzierung durch das Regime Muammar al-Gaddafis. Am Freitag voriger Woche wurde bekannt, dass Untersuchungsrichter bereits seit April vorigen Jahres die Kommunikation Sarkozys mit seinem Anwalt Thierry Herzog abhörten. Das Mitschneiden der Kommunikation mit dem Anwalt ist nur unter engen Voraussetzungen rechtlich zulässig – bei einem konkreten Verdacht auf das Vorliegen einer Straftat auch seitens des Anwalts. Dieser scheint zu existieren, es handelt sich um den Verdacht, einen Richter am Obersten Gerichtshof, Gilbert Azibert, korrumpiert zu haben. Ihm sollen Herzog und Sarkozy einen lukrativen Altersposten in Monaco versprochen haben, im Tausch gegen Informationen aus dem Intranet des Obersten Gerichtshofs über Sarkozy betreffende Verfahren. Am Montag hieß es, Azibert habe einen Suizidversuch begangen und befinde sich seit dem Vortag in einem Krankenhaus in Bordeaux. Seine Familie dementiert jedoch und spricht von einem unglücklichen Sturz.
Die Gefahr des Strauchelns auf politischem Gebiet scheint allerdings vor allem für Sarkozy und einige konservative Spitzenpolitiker zu bestehen.