Die NPD freut sich auf die Europawahl ohne Dreiprozenthürde

Nazis ohne Hürde

Der Wegfall der Dreiprozenthürde für die kommenden Europawahlen lässt auch die NPD jubeln.

»Ein guter Tag für die Demokratie.« So kommentierte der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, auf Facebook die Ende Februar verkündete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Dreiprozenthürde bei den Wahlen für das EU-Parlament für verfassungswidrig zu erklären. Ähnlich zufrieden über den Richterspruch äußerte sich allerdings auch Patrick Wieschke, der Wahlkampfleiter der NPD für die im Mai anstehenden Europawahlen, auf der Website seines Thüringer Landesverbands: »Den etablierten Parteien zum Trotz hat die Demokratie heute gesiegt. Ich danke den Richtern des Bundesverfassungsgerichts für diese mutige Entscheidung.« Im vergangenen Jahr hatten 19 Klein- und Kleinstparteien wie die Freien Wähler, die Piratenpartei, die Tierschutzpartei, die Ökologisch-Demokratische Partei, die Rentnerpartei, die Republikaner und die NPD Klage gegen ein Gesetz zur Einführung einer Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen eingereicht, das kurz zuvor von einer parteiübergreifenden Koalition aus CDU, CSU, SPD, Grünen und FDP verabschiedet worden war. Nur die Fraktion der Linkspartei und Hans-Christian Ströbele von den Grünen hatten damals gegen das Gesetz gestimmt, das den Befürwortern zufolge eine drohende Zersplitterung der Sitzverteilung im EU-Parlament verhindern sollte, nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2011 die damals bestehende Fünfprozenthürde bei Europawahlen für nichtig erklärt hatte. Ohne die Klausel ist nun davon auszugehen, dass nach den kommenden Wahlen einige der 96 deutschen Abgeordneten in Brüssel euroskeptischen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien angehören werden. Denn nun wird ungefähr ein Prozent der Wählerstimmen für die Entsendung eines Abgeordneten nach Brüssel ausreichen. So sieht eine große Koalition vormals chancenloser Parteien ihrem ersten Einzug ins EU-Parlament entgegen, es herrscht dementsprechend Euphorie. Das Urteil bedeutet beispielsweise nach Ansicht der NPD die Gewissheit, dass ihr ehemaliger Vorsitzender Udo Voigt ein Comeback als erster deutscher Neonazi im EU-Parlament feiern darf. Voigt hatte sich auf dem Bundesparteitag im Januar überraschend gegen den Parteivorsitzenden Udo Pastörs durchgesetzt und führt die NPD nun als Spitzenkandidat in den Europawahlkampf. Im Gespräch mit der FAZ gab er sich bester Dinge: »Die Stimmung ist jetzt natürlich hervorragend, die Wähler haben jetzt endlich den Eindruck, die NPD wählen zu können, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Stimme verschenkt ist.« In einer Stellungnahme des Bundespressesprechers Frank Franz zum Urteil ist von einem »phänomenalen Sieg für die Nationaldemokraten« und einem »herben Schlag gegen das antidemokratische Gebaren des Berliner Politkartells« die Rede. Tatsächlich ist das Urteil ein Geschenk für die NPD, die ein desaströses Jahr hinter sich hat. Nach dem erneuten Verbotsantrag gegen die Partei beim Bundesverfassungsgericht, einem enttäuschenden Abschneiden bei der Bundestagswahl, dem skandalösen Abgang von Holger Apfel als Parteivorsitzendem, schweren finanziellen Problemen sowie zahllosen Querelen und Intrigen zwischen den verschiedenen Parteiflügeln besteht nun die Möglichkeit, die NPD durch einen Erfolg bei den Europawahlen zu einen. Mit der Parole »Keine %-Hürde, keine Stimme verschenkt« sollen nun »alle Kräfte mobilisiert« werden, wie es auf der Website der Partei heißt. Ziel ist es, genügend Stimmen zu sammeln, um auch dem sächsischen Historiker Olaf Rose als zweitplatziertem Kandidaten einen Sitz im EU-Parlament zu verschaffen. Deshalb läuft nun die Facebook-Kampagne »Ein Mann in Europa ist gut, zwei sind besser«. Vor allem Stimmen für andere rechtsex­treme und rechtspopulistische Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) und die Republikaner könnten dies jedoch verhindern. Nicht von ungefähr warnt der Pressesprecher Franz davor, »bei der anstehenden Europawahl ein Pla­giat zu wählen und seine Stimme an halbgare Pseudopatrioten zu verschwenden«. Darum gelte es nun, »das einzige heimattreue Original zu unterstützen und zu wählen«. Während die AfD es nach derzeitigen Umfragen sogar bei einer Fünfprozenthürde ins EU-Parlament schaffen würde, sind die Aussichten anderer rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien weitaus trüber. Die Republikaner, die mit ihrem Europawahlergebnis von 1,3 Prozent im Jahr 2009 nach der neuen Regelung einen Europa­abgeordneten stellen könnten, bewegen sich derzeit im nicht messbaren Bereich. 2009 war die NPD aber auch nicht angetreten. Außerdem sehen sich die Republikaner dem Verdacht ausgesetzt, im nordrhein-westfälischen Solingen Unterschriften für die Zulassung zur Europawahl gefälscht zu haben, wie das Solinger Tageblatt berichtete. Ähnliche Vorwürfe gibt es auch gegen Pro NRW. Bereits an den nötigen Unterschriften von Unterstützern ist auch die von dem Kameradschaftsaktivisten Christian Worch ins Leben ­gerufene Partei »Die Rechte« gescheitert, wie sie auf ihrer Homepage unter der Überschrift »Kleiner Rückschlag« zerknirscht eingestehen musste. Die für die Zulassung zur Europawahl benötigten 4 000 Unterschriften wurden nicht einmal annähernd erreicht. Wegen der Anziehungskraft, die die AfD nach ihrem Erfolg bei der Bundestagswahl entfalte, habe man keine Chance gehabt, die Unterstützer zu mobilisieren. In den Kommentaren auf dem rechtsextremen Portal »Altermedia« überwiegt die Schadenfreude über das klägliche Scheitern der Partei Worchs, die mit dem Anspruch angetreten war, der NPD Konkurrenz zu machen. Wie viele andere Nazis sieht auch ein Kommentator mit dem Pseudonym »BdU« »Die Rechte« als »Spalter«: »Allein die Tatsache, dass die NPD zum ersten Mal wirklich eine Chance hat, einzuziehen ohne Fünf-Prozent-Hürde, man also wirklich jede Stimme für die NPD mit dem Gewissen abgeben kann, die ist nicht verschenkt, macht den Wahlantrittsversuch der ›Rechten‹, die nicht den Hauch einer Chance gehabt hat, zu einem ziemlich üblen Manöver.« Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird dafür sorgen, dass sich der »politische Wille« der deutschen Wähler genauer in der Sitzverteilung des EU-Parlaments niederschlägt. Dass ohne die Sperrklausel bei allen vergangenen vier Europawahlen rechtsextreme Parteien wie Republikaner, DVU und NPD ins EU-Parlament eingezogen wären, verdeutlicht, was das bedeutet. Euphorisierte NPD-Kader können sich nun berechtigte Hoffnungen auf ein ausreichendes Ergebnis für das EU-Parlament und gute Ergebnisse bei den in zehn Bundesländern parallel stattfindenden Kommunalwahlen machen. »Ein guter Tag für die Demokratie« ist in Deutschland noch lange kein guter Tag für den Antifaschismus.