Die Linkspartei vor den Kommunalwahlen in NRW

Überraschungen von links

In Nordrhein-Westfalen finden im Mai Kommunalwahlen statt. Die Linkspartei hat unter großem Hauen und Stechen ihre Kandidaten aufgestellt.

Wer am 25. Mai in Gelsenkirchen die Linkspartei wählt, braucht sehr großes Vertrauen. Die nach den Kommunalwahlen 2004 und 2009 von der »Linken« in den Rat der maroden Ruhrgebietsstadt entsandten Fraktionen traten beide Male geschlossen aus der Partei aus. Die 2009 gebildete Fraktion nennt sich mittlerweile »Bürgerbündnis Gelsenkirchen« und wird von Marion Strohmeier geführt. Deren politischer Werdegang ist bemerkenswert: In den Neunzigern wechselte sie von der CDU zur PDS. Als sie feststellte, dass dort ihrer Ansicht nach »Links­radikale« am Werk waren, trat sie wieder aus.

Nach einer kurzen Zeit, die sie dem Kampf gegen die Verschärfung der Kampfhundegesetze widmete, trat sie in die Partei »Fakt« ein. »Fakt« wurde von dem ehemaligen Landtagsabgeordneten der Grünen Jamal Karsli gegründet, der wegen antisemitischer Sprüche die Grünen verlassen musste, zur FDP wechseln wollte, dort nicht mitmachen durfte, aber maßgeblich zum Sturz seines Fürsprechers Jürgen Möllemann beitrug. Von »Fakt« ging Strohmeier zur WASG, die in der Linkspartei aufging, und nun zum »Bürgerbündnis«. Das kämpft zwar immer noch gegen Hartz IV, aber auch gegen »Armutszuwanderung«.
Wer in Gelsenkirchen die Linkspartei wählte, wusste also nie genau, was er bekam. »Nach der Fusion von PDS und WASG traten viele in die Partei ein, die etwas werden wollten«, sagt Jörg Bütefür, derzeit Fraktionsgeschäftsführer der »Linken« in Essen und vormals Mitglied des Landesvorstands der WASG in Nordrhein-Westfalen. »Und viele Mitglieder ließen sich von guten Rednern oft zu leicht beeindrucken. Das ist heute anders.« Seine Partei habe sich in Nordrhein-Westfalen »vor den Kommunalwahlen gut aufgestellt«. Bütefür ist sich sicher: »Wir sind in einer ganz anderen Situation als vor fünf Jahren.«
In vielen Städten verlor die Linkspartei damals ganze Fraktionen. In Soest lief die Fraktion zur Piratenpartei über, in Herne taten dies ebenfalls einige Mitglieder der Fraktion, in Bocholt wurde aus der Linkspartei die »Soziale Liste«. 298 Ratsmandate erhielt die »Linke« 2009, nahezu die Hälfte davon verlor sie in den vergangenen fünf Jahren – und das aus eigener Kraft.
Bei der Aufstellung der Listen in diesem Frühjahr gab es in vielen Städten erneut Konflikte zwischen den unterschiedlichen Gruppen. Häufig ging es darum, künftig stabile Fraktionen zu gewährleisten, ebenso häufig aber um die Macht der verschiedenen Seilschaften, die manchmal noch aus ergrauten Kadern der K-Gruppen der siebziger Jahre bestehen.
In Köln setzte sich der derzeitige Fraktionsvorsitzende Jörg Detjen bei der parteiinternen Wahl um den ersten Listenplatz gegen Claus Ludwig durch, der auch bei der Wahl um den vierten Platz unterlag und nicht auf die Kandidatenliste kam. Detjen, der ehemalige Vorsitzende des Bundes Westdeutscher Kommunisten (BWK), hat allerdings kaum ideologische Differenzen mit Ludwig, der als SAV-Mitglied in Köln nicht nur die Fahne der Weltrevolution hochhielt, sondern sich in erster Linie um das Thema Wohnungsnot kümmerte. Der frühere Maoist Detjen gilt als Pragmatiker, der zum Beispiel vor Konflikten mit der in Köln mächtigen Kirche zurückschreckt. Ludwig ist hingegen streitbar – und Streitbarkeit stört offensichtlich.

Dass auch einstige Trotzkisten sogenannte Realos sein können, zeigt sich einige Kilometer rheinabwärts in Duisburg. Dort gelang es dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Hermann Dierkes, der selbst nicht mehr für den Rat kandidiert, eine ihm genehme Liste durchzusetzen. Dierkes ist als einer der fanatischsten Israel-Hasser in der Linkspartei bekannt. Das Simon Wiesenthal Center nahm ihn 2011 in die Liste der Top-Ten-Antisemiten auf, unter anderem hatte er das Existenzrecht Israels als »läppisch« bezeichnet.
In der Lokalpolitik ist Dierkes jedoch ein Pragmatiker. Er brachte die einzige Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei in Nordrhein-Westfalen zustande und befürwortet die Politik der Ratsmehrheit. Seine Fraktion unterstützt den Abriss einer Arbeitersiedlung, um dort von einem Investor ein Factory-Outlet-Center bauen zu lassen. Gegen den »linken« Flügel seiner Partei sorgte er dafür, dass diese Politik auch nach der Wahl im Mai fortgeführt werden kann. Journalisten des Neuen Deutschland und der Taz, die mit einer Mischung aus Kritik und Ironie über das Wahlverfahren berichteten und angemerkten, dass pünktlich zur Abstimmung über die Liste in großer Zahl neue Mitglieder eingetreten waren, beschimpfte Dierkes in einer internen Mail als Linkenhasser.
Auch in Bochum gab es Streit: Die alte Fraktion – darunter Wolfgang Wendland, der Sänger der Punkband »Die Kassierer« – trat nicht mehr an, das neue Programm erschien ihr zu utopisch. Sevim Dağdelen, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei aus Bochum, die wegen antiisraelischer Sprüche Hausverbot in einigen Veranstaltungsorten in Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund hat, setzte sich damit inhaltlich und personell durch.

Die Linkspartei in Bochum geht unter anderem mit der Forderung in den Wahlkampf, Ökologie müsse immer den Vorrang vor Ökonomie haben. Wie viele Lohnarbeiter sich dieser Forderung, deren Verwirklichung aus Bochum die Armutsvariante des Prenzlauer Bergs in Berlin machen würde, anschließen werden, bleibt abzuwarten. Zwar schwärmen Listenkandidaten auf Facebook von einer »Revolution der Arbeiterklasse«. Sie meinen damit aber wohl eher die Latte-Macchiato-Schwenker in den Szenecafés der Stadt.