Care-Debatte und Feminismus

Take care!

Seit ein paar Jahren wird in der feministischen Szene unter dem Schlagwort »Care-Debatte« wieder verstärkt über das Verhältnis von Produktions- und Reproduktionsarbeit diskutiert. Auch in Abgrenzung zu bestimmten queerfeministischen, als identitär kritisierten Positionen fordern Linke wie das Bündnis »Ums Ganze« nun, wieder stärker die Zusammenhänge von kapitalistischer Ökonomie und Geschlechterverhältnissen zu thematisieren.

Wenn die Bundesarbeitsministerin erklärt, dass sie Feminismus braucht, »weil nur eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind, eine moderne Gesellschaft ist«, dann zeigt dies deutlich, dass das F-Wort etwa so viel politischen Sprengstoff wie eine Luftpumpe birgt. Die Debatte, die unter dem Hashtag »#Aufschrei« Alltagssexismus sichtbar machte, die Kampagne Pinkstinks, die sich gegen hellblaue und rosa Geschlechterstereotype wendet, und der zuletzt viel diskutierte Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung in Friedrichshain-Kreuzberg, keine sexistische Werbung mehr auf den bezirkseigenen Werbeflächen zuzulassen: Sie alle fanden größtenteils ohne wahrnehmbare theoretische oder praktische Beteiligung linksradikaler Gruppen statt. Klassische feministische Interpretationen und antisexistische Interventionen werden weitgehend dem bürgerlichen Lager überlassen. Obwohl sich von der SPD über die Linkspartei bis zu den Grünen, von den Stadtverwaltungen bis zu den Unternehmen (fast) alle auf den Feminismus einigen können, scheint dieser tatsächlich kaum noch geeignet, eine radikale Kritik der Verhältnisse voranzubringen.

Besonders eindrucksvoll lässt sich dies an der Professionalisierung und Institutionalisierung feministischer Ansätze beobachten, die von Frauenförderung über Gleichstellungsindikatoren bis zu Gender Mainstreaming reicht. Ihnen geht es dabei allerdings nicht primär um Gleichberechtigung, sondern um die Nutzbarmachung weiblicher Humanressourcen. Ähnlich wie beim Diversity Management wird die strukturelle Ungleichheit der Geschlechter neoliberal gewendet und in ein Leitbild kapitalistischer Modernisierung verkehrt, die kein Potential ungenutzt lassen darf.
Zwar bleibt finanzielle Unabhängigkeit innerhalb des Kapitalismus eine notwendige Grundlage der Befreiung aus patriarchalen Herrschaftsverhältnissen. Faktisch entsteht in der Regel jedoch eine Doppelbelastung für erwerbsarbeitende Frauen*, solange sich die Verteilung der Haus- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern nicht ändert. Frauen*, die Karriere machen, müssen die Reproduktionsarbeit entweder einkaufen. Diese wird dann von anderen, deklassierten und meist migrantischen Frauen* verrichtet. Oder sie müssen auf Kinder und Familie verzichten – eine Entscheidung, die Männern* nicht abverlangt wird. Abgesehen davon basiert bereits die Vorstellung, Erwerbsarbeit für Frauen* sei gleichbedeutend mit ihrer Emanzipation, auf einem idealisierenden und kruden Verständnis von Arbeit, das den kritischen Blick auf die kapitalistische Ausbeutung ideologisch verstellt.
Dass Feminismus und Gleichberechtigung niemals Mainstream sein können, solange der ka­pitalistische Malestream auf Ausbeutung, Konkurrenz und Unterdrückung beruht, ist keine neue Erkenntnis, sondern so alt wie die Frauen*bewegung selbst. Seit Beginn der Finanz- und Staatsschuldenkrise und der damit verstärkt drohenden ökonomischen Unsicherheit – auch in Westeuropa und den USA – ist das Thema Ökonomie in der Geschlechterforschung wieder en vogue. Interessanterweise zu einem Zeitpunkt, an dem das gesamte Feld durch die Kulturwissenschaft überrollt worden ist und damit eine »Butlerisierung« deutscher Universitäten bis hin zu queeren Szenepolitiken stattgefunden hat.
Das von Judith Butler angestoßene »Queer-Theorem« hat – zumindest in Deutschland – fast alle bisherigen Debatten auf den Müllhaufen der Geschichte verfrachtet. Zwar ist der dekonstruktivistischen Intervention von Butler und anderen Theoretiker_innen in die Frauen*- und Geschlechterforschung die radikale Kritik an Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität und dem Objektivitätsanspruch der (Natur-)Wissenschaft, vor allem in Gestalt von Biologie und Medizin, zu verdanken. Es war wohl eine der wichtigsten Einsichten der Gender Studies, dass Frau­en*bewegung und Geschlechterforschung durch ihren Fokus auf Geschlecht diese Kategorie selbst hervorhoben, anstatt auf dessen Überwindung hinzuarbeiten. Allerdings hat die Konzentration der Gender Studies auf die Diskursivität und Performanz von Geschlechtlichkeit umgekehrt oft konkrete Analysen der materiellen Bedingungen von Normen und Ungleichheiten übersprungen. Die Frage, wie Geschlechtlichkeit als soziales Verhältnis entsteht und warum es beständig (wieder-)hergestellt wird, wurde aus dem Blick verloren – und so ihre Strukturierung in und durch kapitalistische Verhältnisse und nationale Interessen ignoriert.

Für eine linksradikale Perspektive bietet die aktuelle Care-Debatte Anknüpfungspunkte. Unter diesem Schlagwort wird die Bedeutung und Funktionsweise gesellschaftlicher Reproduktion – von der Hausarbeit bis zur Kindererziehung und Altenpflege – untersucht. Die Erkenntnisse daraus sind aufschlussreich, wenn auch nicht überraschend: Dass Reproduktionsarbeit zu Niedriglöhnen oder umsonst quasi »nebenbei« verrichtet werden muss, ist kein Zufall, sondern lässt sich mit der Produktions- und Regulationsweise des kapitalistischen Systems erklären. Wie dies im Einzelnen geschieht und nach welcher Logik der gesamte Care-Sektor funktioniert, dokumentiert die Debatte eindrucksvoll. Wenn es allerdings um konkrete Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge geht, muss meistens der gute alte Sozialstaat herhalten. In sozialdemokratischer Manier wird dann argumentiert, dass der Staat gegensteuern und seiner Verantwortung für die gesellschaftliche Reproduktion nachkommen muss, wo die Benachteiligung von Frauen* offenbar noch ihren wirtschaftlichen Nutzen hat.
Die ganze Care-Debatte deshalb über den Haufen zu werfen, wäre aber zu kurz gedacht. In der Analyse ist einiges zu holen, nur muss die Konsequenz eine andere sein. Schließlich war es die Care-Debatte selbst, die staatliche Interessen an der Steuerung von Care-Work in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellte. Sorgetätigkeiten werden sowohl marktförmig als auch privat organisiert und unterliegen staatlicher Regulation. Es ist nationales Interesse, dass diese Tätigkeiten bis über die Grenzen der individuellen Belastbarkeit der Sorgenden hinaus nationalökonomisch so günstig wie möglich ausgeübt werden – zum Wohl des Standorts. Den Nationalstaat zu bitten, seine Politik an der sorgeökonomischen Entlastung der Einzelnen auszurichten, ist ebenso realitätsfern wie die Forderung nach einem menschlichen Kapitalismus. Ein radikaler Feminismus sollte deshalb nicht nur antikapitalistisch, sondern auch antinational und gegen den Staat gerichtet sein. Da er gleichzeitig die Verschränkung mit strukturellem Rassismus mitdenken muss, kommt er auch um eine antirassistische Perspektive nicht herum. In der Frage nach der Reproduktion liegt aber nicht nur ein Mehrwert für die Analyse von Ungleichheit im Kapitalismus, sondern auch für die eigene politische Praxis.

Wie sieht es also mit der antisexistischen feministischen Praxis im eigenen Sumpf aus? Die marxistische Theoriebildung blieb auf dem Geschlechterauge meistens blind. Es war häufig der Ignoranz und Abwehr männlicher Theoretiker geschuldet, dass Geschlechterverhältnisse keinen nachhaltigen Eingang in die marxistische Theoriebildung fanden oder gar als Nebenwidersprüche abgetan wurden und werden. Auch unsere antikapitalistischen und antinationalen Interventionen scheitern meist an dem Anspruch, Geschlechterverhältnisse in Theorie und Praxis mitzudenken. Wie soll es also weitergehen? Der erste Schritt ist die altbekannte Erkenntnis, dass unser politisches Engagement nicht jenseits der herrschenden Verhältnisse stattfindet. Wir sind zwar unterschiedlich aufgewachsen, wurden aber alle in einer patriarchal geprägten Welt sozialisiert und reproduzieren deshalb, ob bewusst oder unbewusst, stereotype Geschlechterbilder und Sexismen durch unser tägliches Handeln. Die notwendige Auseinandersetzung fängt daher bei unserem Theorie- und Praxisverständnis selbst an und geht über Verhaltensweisen und Habitus bis zu den Codes und Kategorien, in denen wir denken, urteilen und fühlen. Dabei muss es auch darum gehen, wie wir unsere eigene Reproduktion in unserer politischen Praxis organisieren, und es darf beim sogenannten Privatleben noch lange nicht aufhören.
Durch Selbstreflexion wird die politische Praxis auch nicht weniger radikal, ganz im Gegenteil. Die befreite Gesellschaft entsteht nicht nur jenseits ökonomischer Zwänge, sondern ebenso ­abseits jeder Form von Rassismus und Sexismus. Kommunismus kann nur die Aufhebung aller hierarchischen Arbeitsteilung und aller Formen der Herrschaft von Menschen über Menschen sein. Für dieses Projekt gilt es, an allen Fronten entschieden zu kämpfen. Immerhin geht es um nichts Geringeres als das schöne Leben für alle.

Anmerkung der Autoren: Wir haben die Begriffe »Frau« und »Mann« mit Sternchen* markiert. Wie auch der Gender_Gap soll das Sternchen zugleich darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Identitätskonzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie Menschen gibt, die sich nicht in der Zweigeschlechtlichkeit wiederfinden. Zugleich ist Zweigeschlechtlichkeit als soziales Verhältnis wirkmächtig und muss benannt werden. Die Begriffe »Frau« und »Mann« bezeichnen nichts Natürliches, sondern sind Positionen in diesem Verhältnis.