Streit über die Außenpolitik in der Opposition

Mission »R2G« ungewiss

Linkspartei, SPD und Grüne streiten über die Krim, die Ukraine und Russland. Für eine künftige rot-rot-grüne Koalition spricht derzeit wenig.

Die rot-rot-grüne Koalition besteht noch gar nicht, da droht ihr schon das Scheitern. Die Krim-Krise hat – zumindest vorläufig – alle Gedankenspiele erledigt, es könne nach der Bundestagswahl 2017 zu einem Regierungsbündnis links der Union kommen. Im Bundestag, in den Medien, auf Facebook und Twitter beschimpfen sich führende Funktionäre der drei Parteien. Von einem »Krieg zwischen Grünen, Linken und auch der SPD« spricht gar Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linkspartei: »Hasardeure haben Freigang.«
Dabei hatten es sich Linksparteiler, aber auch mancher Sozialdemokrat und Grüne so einfach vorgestellt: Nach dem Öffnungsbeschluss der SPD auf ihrem Bundesparteitag in Leipzig im November vorigen Jahres schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis das von ihnen erträumte Reformprojekt auf Bundesebene Gestalt annehmen würde. Mit allen möglichen Gesprächskreisen sollte die Annäherung organisiert und »R2G« – so das neumodische Kürzel für Rot-Rot-Grün – vorbereitet werden. Doch damit ist es vorerst vorbei. Mitte März lud die Strömung der »Netzwerker« der SPD-Fraktion den Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Gregor Gysi, mit dem sie eigentlich über »die Zukunft von Rot-Rot-Grün« hatten sprechen wollen, wieder aus. »Nach der Debatte im Bundestag über die Lage in der Ukraine sehen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Grundlage mehr für ein sachliches und ernsthaftes Gespräch«, befanden die »Netzwerker«.

Wie aus der Zeit gefallen erscheint da ein gemeinsames Strategiepapier, das Gysis Stellvertreter und potentiellen Nachfolger Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht beinahe gleichzeitig mit dessen SPD-Ausladung auf den Markt brachten. Unter der Überschrift »Wir sind DIE Opposition« beschreiben der Frontmann der sogenannten Reformer und die Ikone des linken Flügels ihre Vorstellungen über die strategische Ausrichtung der Fraktionsarbeit in der laufenden Legislaturpe­riode. Es ist ein intellektuell eher schlichtes Agitproppapier, das altbekannte Forderungen und noch mehr Phrasen enthält. (»Eine Bundesregierung des ›Weiter so!‹ erfordert starke Opposition.«) Interessant ist es nur in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist bemerkenswert, was bei den Themen fehlt, auf die sich die Linksfraktion in ihrer Arbeit konzentrieren soll: Ganz traditionslinks wird der gesamte Komplex der Grund- und Freiheitsrechte ausgespart. Zum anderen sind die Bemerkungen zur SPD interessant. Da wird »positiv zur Kenntnis« genommen, »dass die SPD eine Regierung mit uns auch auf Bundesebene nicht mehr ausschließt«. Registriert haben Wagenknecht und Bartsch jedoch auch, »dass die SPD in gleicher Weise mögliche Regierungsoptionen mit der FDP sondiert«. Beide bedauern denn auch, dass die Sozialdemokraten bislang »bei weitem noch kein inhaltliches Bekenntnis zu einem alternativen Politprojekt« abgegeben haben. Trotzdem wird als Marschroute ausgegeben: »In Ländern und Kommunen, in Ost und West müssen nun politische (rot-rote oder rot-rot-grüne) Bündnisse entstehen.« Auf Bundesebene sei »konsequente Oppositionspolitik (…) eine zentrale Voraussetzung für einen zukünftigen Politikwechsel mit der SPD, der durch eine breite Unterstützung in der Gesellschaft getragen sein muss«. Nun zeigt die Krim-Krise, dass die Welt komplizierter ist, es gibt einen Grundkonflikt, der nicht so einfach zu lösen ist.

Rein theoretisch sind die Voraussetzungen für Rot-Rot-Grün schon jetzt so gut wie noch nie. Nicht nur, dass ein solches Bündnis im Bundestag über eine – wenn auch äußerst knappe – rechnerische Mehrheit verfügen würde, auch im Bundesrat sähe es gut aus: Die Landesregierungen, die ohne Union und FDP regiert werden, kommen auf 36 von 69 Stimmen. Doch alltagstauglich sind solche Zahlenspiele nicht, sie gehen von einem Denken in politischen Lagern aus, die es so nicht gibt. Der Entschluss der SPD, im Bund lieber mit der Union zu regieren, hat nicht nur mit fehlendem Mut der Sozialdemokraten zu tun. Auch in keinem einzigen Bundesland regiert derzeit eine rot-rot-grüne Koalition. Vor die Alternative gestellt, im Dreierbündnis mit der Linkspartei oder alleine mit der CDU zu regieren, entschieden sich sowohl die SPD als auch die Grünen bisher stets für die zweite Variante. Das hat ra­tionale Gründe.
Es gibt kein links-alternativ-sozialdemokratisches Lager, das sich nur deswegen nicht machtpolitisch realisiert, weil auf der einen Seite angeblich skrupellose Parteiführungen von SPD und Grünen die Prinzipien ihrer Parteien verraten und auf der anderen Seite die Linkspartei zu sektiererisch agieren würde. Trotz etlicher Ähnlichkeiten in den jeweiligen Grundsatz- und den Wahlprogrammen, die eine politische Nähe suggerieren, besteht vielmehr eine elementare Differenz, die der divergierende Umgang mit den Umbrüchen in der Ukraine offenbart hat: Es gibt keine gemeinsame Gesellschaftskonzeption und ideologische Verortung. SPD und Grüne sehen sich als Teil jener »westlichen Wertegemeinschaft«, zu der die Linkspartei in Opposition steht.
Die linken Träume von einer Transformation der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft der Bundesrepublik in Richtung eines »demokratischen und grünen Sozialismus«, wie unlängst von Dieter Klein, einem Reformer vom Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, propagiert, sind keine sozialdemokratischen oder grünen. Das lässt sich besonders anschaulich festmachen an den spiegelbildlichen Haltungen von Linkspartei und Grünen gegenüber den Bewegungen, die sich gegen das Establishment in den Ländern Südeuropas und in der Ukraine richten. Während die heftigen und bisweilen militanten Proteste in Griechenland gegen die dor­tige Regierung und ihre von der EU verordnete exzessive Austeritätspolitik auf große Sympathie in der Linkspartei stießen, der Parteivorsitzende Bernd Riexinger auch selbst in Athen demons­trierte, konnten die Grünen mit der dortigen Bewegung nichts anfangen. Sie war ihnen schlichtweg zu links. In Hamburg sagte im September 2012 der grüne Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin sogar seine Teilnahme an einer Demonstration des gewerkschaftlich orientierten Bündnisses »UmFAIRteilen – Reichtum besteuern« nur deshalb ab, weil Alexis Tsipras, der Vorsitzende des oppositionellen Parteienbündnisses Syriza, ebenfalls eingeladen war.

Auf dem Maidan in Kiew geben sich grüne Spitzenpolitiker hingegen die Klinke in die Hand, Linksparteiler lassen sich nicht blicken. Für die Grünen handelt es sich in der Ukraine um eine »mutige Bürgerbewegung«, die »unsere Solidarität und unsere Unterstützung« verdient wie es der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter im Bundestag formulierte. »Wir haben die Werte zu verteidigen, nach denen auch die Maidan-Bewegung strebt: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat«, befand die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Demgegenüber ist der Linkspartei die Maidan-Bewegung suspekt, weil sie keine linke Bewegung ist. Für nicht wenige in der Partei handelt es sich mehr oder weniger um von dunklen westlichen Mächten ferngesteuerte und faschistisch unterwanderte Putschisten. »Präsident und Regierung der Ukraine sind mit einem Putsch aus dem Amt gejagt worden«, kritisiert der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gehrcke. Der anderen Oppositionspartei attestierte er im ZDF, sie sei momentan »der rechte Rand des Bundestags«.
Beide Blickwinkel sind ideologisch motivierte Zerrbilder, die aber den gleichen Ursprung haben. »Der Spalt verläuft zwischen dem homo sovjeticus und den Menschen, die sich zur westlichen Moderne und einer offenen Gesellschaft hinwenden wollen«, beschreibt die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck den gesellschaftlichen Konflikt in der Ukraine als eine Art Fortsetzung des alten Ost-West-Konflikts. Dabei ist die Positionierung der Grünen klar: Sie verorten sich auf der Seite des »freien Westens«. Ihre Ambitionen auf gesellschaftliche Veränderung beschränken sich daher auf jene Länder, die noch keine bürgerlich-kapitalistischen sind. Dass sie dabei bisweilen Bewegungen in diesen Ländern unterstützen, an denen auch Faschisten beteiligt sind, nehmen sie zwar mit leichtem Magengrummeln, aber gleichwohl billigend in Kauf. So fällt Göring-Eckardt auf den Vorhalt, dass die Swoboda-Partei mit mehreren Ministern an der ukrainischen Übergangsregierung beteiligt ist, nicht mehr als die lapidare wie geschichtsvergessene Aussage ein: »Damit wird eine Demokratie auch fertig.« Damit reproduziert sich in verschärfter Form eine fahrlässige Haltung, die es von Anbeginn in grünen Kreisen gab: Wenn es um den Widerstand gegen östliche Machtcliquen ging, schauten manche Grüne noch nie allzu genau hin. Insbesondere aus den K-Gruppen stammende Funktionäre, wie der heutige Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, blendeten schon in den achtziger Jahren bei der polnischen Solidarność um Lech Wałęsa nur allzu gern den starken Einfluss des klerikalen und nationalkonservativen Flügels aus.

Bei der Linkspartei sieht das schon traditionsbedingt anders aus. Wer in den achtziger Jahren in der SED oder – wie Wolfgang Gehrcke – in der DKP aktiv war, dem standen östliche Dissidenten fern. »Antiimperialistische« Befreiungsbewegungen konnten hingegen auf uneingeschränkte Solidarität hoffen. Das gilt heutzutage nicht mehr in gleichem Maße wie früher, aber die romantische Verklärung der Verhältnisse in Kuba oder Venezuela zeigt, dass der traditionslinke Geist in den Reihen der Linkspartei fortlebt. So problematisch das sein mag, ist es durchaus nachvollziehbar, hält die Linkspartei doch im Gegensatz zu den Grünen – und selbstverständlich der SPD – auch für die westlichen Staaten »an dem Menschheitstraum fest, dass eine bessere Welt möglich ist«, wie es in ihrem Grundsatzprogramm heißt.
Für Koalitionen auf kommunaler oder Länder­ebene muss das kein Hindernis sein. Problematisch wird es aber, wenn solche Bündnisse zu »alternativen Politikprojekten« aufgeblasen werden. Auf Bundesebene sieht das anders aus, denn hier sind die Erwartungen höher. »In einem Land wie Deutschland kann man nur eine Regierung mit Partnern bilden, mit denen außenpolitisch und europapolitisch ein Grundkonsens besteht«, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann am Samstag zum Abschluss einer Fraktionsklausur in Berlin. Das sei »derzeit bei der Linkspartei nicht der Fall«. Er halte »die außenpolitische Positionierung der Linkspartei für unverantwortlich, sie stellt die Westbindung in Frage«. Das ist der Knackpunkt: Wie einst die Grünen wird auch die Linkspartei sowohl ihren Frieden mit Nato und Krieg machen müssen als auch mit den bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen im »westlichen Lager«. In Athen werden sie nicht mehr mitdemonstrieren dürfen, auf dem nächsten Maidan schon. Die Grünen haben diesen Transformationsprozess wahlpolitisch überlebt. Bei der Linkspartei ist das nicht sehr wahrscheinlich. Auf jeden Fall werden Wagenknecht und Bartsch noch viele »Strategiepapiere« schreiben müssen.