Josie Thaddeus-Johns im Gespräch über das Leben der Expat-Community in Berlin

»Berlin ist eine normale Stadt«

Berlin ist vorbei? So what? Während die einen dem ranzigen Hinterhof-Charme vergangener Jahrzehnte nachtrauern, feiern andere das neue Berlin als offene, kosmopolitische, glitzernde Trend-Metropole. Wie sich junge Expats auf der bunten Spielwiese namens Berlin tummeln, beschreibt das englischsprachige Blog »When You Live In Berlin« auf eine ganz besondere Art. Mit GIF-Animationen, bei denen Filmsequenzen mit Überschriften zum Thema »Wenn du in Berlin lebst« kombiniert werden, illustriert die 25jährige Bloggerin aus London humorvoll das, was sie als »typisch Berlin« wahrnimmt. Vor allem das ironische Spiel mit den bei vielen verhassten Berlin-Klischees zwischen Hipster-Terror, Partyrausch, Wohnungssuche und dem schwierigen Umgang mit den Germans, die alles immer allzu ernst nehmen, haben sie in der Expat-Community bekannt gemacht.

Warum haben Sie sich entschieden, nach Berlin zu ziehen?
Als ich darüber nachgedacht habe, wohin ich gehen will, habe ich Berlin zunächst nicht in Betracht gezogen, weil die Stadt einfach überlaufen ist. Dann hat mir ein Freund ein Zimmer in Berlin für die Hälfte meiner Miete in London angeboten und ich habe mir gedacht: Vielleicht versuche ich es doch. Ich wollte nicht dem Mainstream folgen, aber als ich dort ankam, merkte ich, dass Berlin etwas Besonderes hat. Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass viele Menschen in meinem Alter sich entscheiden, eine Zeitlang in Berlin zu leben. Es ist nicht nur Propaganda, es ist nun mal Fakt, dass Berlin trotz immer höher werdender Mieten im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen am bezahlbarsten ist, und es macht die Sache unheimlich viel einfacher, wenn sich die Lebenskosten in Grenze halten, da kann man sich mehr auf den Lifestyle konzentrieren. Daraus ist ein Mythos geworden: Berlin als die »Hauptstadt des schönen Lebens«.
In Ihrem Blog geht es um ein bestimmtes Soziotop: jung, nicht deutschsprachig, ohne festen Job, aber mit durchgeplanten Wochenenden, irgendwie mit Kunst, Film und Medien beschäftigt. Was macht Berlin so besonders für diese Menschen?
Man kann es sich in der hedonistischen Blase Berlins sehr gemütlich machen. Das mag klischeehaft klingen und vielleicht wird es auch bald vorbei sein, es ist aber ein Aspekt, den man in den meisten westeuropäischen Metropolen nicht hat. Hier wird es dir einfach gemacht, dich zu amüsieren: Man kann zu jeder Uhrzeit Alkohol kaufen oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln von einem Club zum nächsten ziehen, was woanders nicht selbstverständlich ist. Ich finde, was diese Blase so attraktiv macht, ist auch der Umstand, dass man darin scheitern kann, ohne dass es große Konsequenzen hat. Der Leistungsdruck ist nicht so hoch. Man hat hier eine andere Einstellung zum Vergnügen.
Mit diesem Image hat sich Berlin auch selbst vermarktet. Ist diese Einstellung, wie Sie sie nennen, nicht eher eine gelungene Marketing-Strategie?
Bestimmt, aber ich finde, dieses Besondere an Berlin ist nicht nur ein Konstrukt. Ich meine, dieses Lifestyle-Ding hat auch etwas Authentisches. Das haben nicht die Partytouristen oder das internationale Hipstertum in die Stadt gebracht. In den neunziger Jahren, als Berlin noch kein trendiger Hotspot war, waren es eher junge Menschen aus Deutschland, die hier das »schöne Leben« gesucht und sich dafür ihre Nischen geschaffen haben. Man hat Freiräume genutzt, die es damals tatsächlich gab. Das ist auch ein Teil des heutigen Hypes um die Stadt: Egal wann du gekommen bist, dir wird immer gesagt: »Vor zehn Jahren war es hier viiiiel cooler.« Man muss sich ständig mit dieser Art Trauer für das »Berlin, wie es früher war« auseinandersetzen.
Eine Einstellung, die bei manchen sogar Aggressionen auslöst. Sind Ihnen die mittlerweile international gefürchteten »Touristenhasser« schon mal begegnet?
Ja, manchmal werde ich auf meinem Blog attackiert, da bekommt man Hass-Posts nach dem Motto: »Scheiß Touristen, ihr macht unsere Stadt kaputt.« Von Auseinandersetzungen oder gar Angriffen habe ich bisher nichts gehört, aber viele Leute, die ich kenne, sind mindestens einmal irgendwie verbal angemacht worden. Der Trigger ist oft auch nur, dass man Englisch spricht, schon da rasten manche aus … Mir ist das bereits auf einer Party passiert. Ich wurde auf sehr freundliche, aber bestimmte Weise dazu aufgefordert, Deutsch zu sprechen.
Kann sich Berlin jetzt entspannen, nachdem US-Medien erklärt haben, die Stadt sei »vorbei«? Kann Berlin jetzt überhaupt eine »normale« Stadt werden, Berghain hin oder her?
Diese ganze Debatte fand ich sehr merkwürdig. In keinem der Artikel, die ich zum Thema gelesen habe, wurde behauptet, dass Berlin vorbei ist! Die Texte im Rolling Stone und in der NYT beziehen sich bloß auf die Clubszene, die zwar sehr wichtig ist für das Selbstbild der Stadt, aber Berlin ist viel mehr als das. Warum die deutschen Medien ein Riesending daraus gemacht haben, bleibt mir schleierhaft. Als bräuchte man eine Bestätigung von außen, wie cool, angesagt, oder »in« man sei. Ob Berlin normal werden kann? Aber Berlin ist eine normale Stadt! Es bietet ein Lebensgefühl, das einzigartig ist.
Ein Lebensgefühl, die »When You Live In Berlin« zu beschreiben versucht …
Ja, aber mit Ironie. Der Blog ist nicht entstanden, um irgendwelche tiefgründigen gesellschaftlichen Statements abzugeben, genau deshalb habe ich die Form der animierten GIF gewählt. Sonst hätte ich vermutlich Artikel geschrieben. Die GIFs sind eher als ein ironisches Spiel mit den Klischees über die Berliner Coolness gedacht. Die meisten verstehen das auch. Die Witze werden von vielen verschiedenen Leuten gemacht, sie schicken sie mir und ich entscheide, welche ich veröffentliche. Sie schicken meist Gags über ihren eigenen Alltag: Party, WG-Leben, aber auch manchmal »echtes Leben« wie Jobsuche, den ewigen Winter oder den Umgang mit den Deutschen. Das Hauptmittel ist die Ironie und die funktioniert natürlich am besten, wenn man dabei auch ein wenig über sich selbst lachen kann.
Für Sie ist Berlin also weiterhin angesagt?
Für mich bleibt Berlin ein schöner Ort zum Leben. Diejenigen, die nach zwei Artikeln in den US-Medien groß aufschreien, sollten das Ganze vielleicht nicht allzu ernst nehmen.

www.whenyoulivein.berlin