Neue Proteste der Kulturprekären in Frankreich

Kulturtempel besetzt

In Frankreich protestieren prekär beschäftige Kulturschaffende gegen die Abschaffung ihres sozialrechtlichen Sonderstatus.

Am Montag drohte die Leitung des jährlich im Juli stattfindenden und europaweit bekannten Theaterfestivals in Avignon damit, an einen anderen Ort auszuweichen, falls die Stadt künftig vom Front National (FN) regiert werde. Am Vorabend war die rechtsextreme Partei aus den Rat­hauswahlen in Frankreich unter anderem in Avignon als stärkste Kraft hervorgegangen. Erst am kommenden Wochenende wird sich im zweiten Wahlgang entscheiden, ob der Kandidat des FN Bürgermeister wird.
Doch nicht nur rechte Ideologie bedroht das Festival, auch die Sparpolitik der französischen Regierung macht dem Kulturbetrieb zu schaffen. Es zeichnet sich dort ein Streik ab, wie es ihn bereits 2003 mehrere Monate lang gegeben hat. Die Proteste der Kulturschaffenden mehren sich. Vergangene Woche kam es etwa zu Demonstra­tionen in Caen, Rennes, Toulouse, Valence, Besançon und anderen Städten. In Dijon und Chalons-sur-Saône wurden Filialen des Unternehmerverbands Medef besetzt. In Marseille kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Tränengas einsetzte. In Paris wurde am Donnerstag voriger Woche das historische Opernhaus besetzt, am Freitag der Carreau de temple, ein seit etwa einem Jahr bestehendes Kulturzentrum in einer ehemaligen Markthalle nahe der Place de la République. Nach der Besetzung wurde das Gebäude von Einheiten der Bereitschaftspolizei CRS umzingelt, die jeden Zugang verwehrten. Am Samstag wurde dabei eine Aktivistin verletzt und selbst Journalisten der bürgerlichen Presse wurde jeder Kontakt mit den Eingeschlossenen verwehrt. Als Antwort darauf hielten Unterstützerinnen und Unterstützer, darunter andere Kulturprekäre, Zeitarbeiter, sans papiers und Antiautoritäre, am Sonntag morgens und spätnachmittags zwei Vollversammlungen vor den Toren des besetzten Zentrums ab, parallel zu Vollversammlungen im Carreau de temple. Um 19 Uhr riefen sich die Teilnehmer der beiden Versammlungen per Megaphon gegenseitig ihre Beschlüsse und den Stand ihrer Diskussionen zu, über die Polizeikette hinweg.
Beendet wurden die Debatten dann jedoch von der Polizei. Sie räumte das Gebäude am Sonntag um 22 Uhr. Wie von Besetzern und Unterstützern erwartet, geschah dies kurz nach der Schließung der Wahllokale für die Rathauswahlen, als die Medien anderweitig beschäftigt waren und die Auseinandersetzung nicht mehr den Wahlausgang zu beeinflussen drohte. Trotz der Räumung organisieren die Protestierenden weitere Vollversammlungen.

Wie bereits 2003 kämpfen die intermittents du spectacle, die prekär Beschäftigten des Kulturbetriebs, um ihr soziales und ökonomisches Überleben. Die Besonderheit ihres Status liegt darin, dass die intermittents in »beschäftigungslosen Zeiten« Unterstützung aus der Arbeitslosenkasse erhalten. Dabei täuscht jedoch die Kategorie »beschäftigungslos«. Denn bezahlt werden Tänzer, Schauspielerinnen, Sänger und Zirkuskünstlerinnen meist nur für die Zeit ihres Auftritts. Aber wenn der Musiker nicht am Klavier sitzt oder vor dem Mikrophon steht, sondern Stücke schreibt und einübt, und wenn die Regisseurin ihr Drehbuch verfasst und monate- oder jahrelang Vorarbeiten für die Drehperiode leistet, wird in aller Regel keine Bezahlung fällig. Der in den dreißiger Jahren geschaffene Status der intermittents, der damals eine wichtige soziale Errungenschaft bildete, erlaubt die Überbrückung dieser Perioden. Doch seit einigen Jahren wird dieser besondere sozialrechtliche Status in der Öffentlichkeit als teurer Luxus dargestellt, durch den Faulenzer durchgefüttert würden.
Die Regeln für alle Sozialversicherten und ihren Zugang zur Arbeitslosenkasse werden jährlich neu ausgehandelt. Die Besonderheit dabei ist, dass die französische Arbeitslosenkasse Une­dic paritätisch durch Gewerkschaften und Kapitalverbände verwaltet wird, wobei jeweils eine Organisation den Vorsitz führt. Seit Jahren ist dies in dem Fall die CFDT, der sozialdemokratisch geführte, zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich.
Anfang dieses Jahres verkündete der größte Unternehmerverband Medef lautstark, er wolle endgültig den »kostspieligen« Sonderstatus der intermittents restlos abschaffen und werde in den Verhandlungen darauf drängen. Tatsächlich ging es dem Medef jedoch darum, andere und nicht gar so spektakuläre Veränderungen durchzusetzen.

Die vieldiskutierte Abschaffung des Status der intermittents blieb zwar aus, als in der Nacht zum Samstag ein neues Abkommen abgeschlossen wurde, gegen das die CGT als stärkste Gewerkschaftsorganisation opponierte, während andere Gewerkschaften unterzeichneten. Dennoch wird es einigen prekären Kulturschaffenden nun erneut wirtschaftlich an den Kragen gehen. So wird eine »Karenzzeit« eingeführt, während derer die betreffende Person ohne Unterhalt bleibt und von eigenen Ersparnissen leben muss. »Bei einem realen Monatsverdienst von 1 200 Euro wird etwa eine Wartefrist von anderthalb bis zwei Monaten entstehen«, wie die linke Basisgewerkschaft Sud vorrechnet.
Viele Kulturprekäre droht dies auf Dauer zu ruinieren. Hinzu kommt unter anderem eine Anhebung ihrer Sozialbeitragssätze. Aufgeteilt zwischen abhängig Beschäftigten und Arbeitgebern, wozu im Kulturbereich mitunter kleine Bühnen und Veranstaltungsorte zählen, die oft selbst unterfinanziert sind, werden diese von bislang 10,8 auf rund 13 Prozent steigen. Noch härter getroffen werden jedoch Leiharbeiterinnen und -arbeiter. Auch sie haben, da sie wie die intermittents nicht kontinuierlich beschäftigt sind, einen Anspruch auf spezifische Versorgungsregeln gegenüber der Arbeitslosenkasse. Sie könnten künftig zwischen 200 und 400 Euro monatlich an Ansprüchen verlieren. Das könnte viele in ihrer Existenz bedrohen.