Yevgenie Belorusets im Gespräch über die Situation in der Ukraine

»Die Rechten bedienen sich der sozialistischen Rhetorik«

Yevgenia Belorusets lebt als Autorin und Künstlerin in Berlin und Kiew. Im Dezember 2013 hat sie Demonstranten auf dem Maidan in Kiew fotografiert.

Machen Sie sich in diesen Tagen Sorgen um Ihre Freunde in der Ukraine, wo extrem rechte Parteien an der Regierung beteiligt sind und die Nationalistenbewegung »Rechter Sektor« in manchen Teilen des Landes die Straße beherrscht?
Der »Rechte Sektor« macht mir tatsächlich Angst, weil ich dessen Ideen und politische Vorstellungen ablehne. Ich mache mir aber keine Sorgen, dass ich oder meine Freunde in der Ukraine gegenwärtig von ihm angegriffen werden. Insgesamt waren die rechten Gruppen auch auf dem Maidan eindeutig eine Minderheit. Allerdings ist es diesen Gruppen in der letzten Zeit gelungen, unpolitische Menschen anzuziehen.
Wieso findet die rechte Ideologie bei diesen Menschen solche Zustimmung?
Sie denken nicht in den Kategorien »rechts« oder »links« und »Faschismus« oder »Antifaschismus«. Für sie sind andere Fragen wichtiger, etwa die Frage, ob die Ukraine zu Europa gehören oder weiter im Einflussbereich Russlands bleiben soll. Wichtig ist, zu verstehen, dass es eher um die ukrainischen Vorstellungen von Russland und Europa, autoritären und demokratischen Regierungsformen geht. Die proeuropäische Wahl stört die rechte Idee nicht. Die ukra­inischen Rechten bedienen sich ohnehin einer sozialistischen Rhetorik und locken damit viele Menschen an. Viele Menschen leben in der Ukraine unter der Armutsgrenze, da kann eine populistische Mischung von rechten Ideen und sozialistischen Versprechungen erfolgreich sein.
Was haben rechte Parteien und Organisationen anderes anzubieten als den Na­tionalismus?
Es ist eine populistische Strategie, die vieles vereint: das Versprechen eines gerechteren und sichereren Lebens, von Bildung und Bewahrung der ukrainischen Kultur. Nationalistische Ansichten erzeugen die Illusion von Ehrlichkeit und Treue. Das sind bekannte rechtspopulistischer Diskurse in vielen Ländern.
Besteht da nicht die Gefahr, dass die in der Vergangenheit marginalen rechten Gruppen politischen Einfluss in der Ukraine gewinnen?
Meine Hoffnung ist, dass viele Menschen die rechten Gruppen wieder verlassen, weil sie deren populistische Ideen nicht teilen und diese sich als hohl herausstellen.
Worauf stützen Sie Ihren Optimismus?
Die rechte Swoboda-Partei gewann nach den letzten Kommunalwahlen in mehreren Städten Parlamentssitze, beispielsweise in Lwiw. Auch in diesem Fall teilt ein Großteil ihrer Wähler deren Ideen nicht. Aber das propagandistische Versprechen einer Stadtverwaltung ohne Korruption kam bei ihnen gut an. Nun stellte sich in kurzer Zeit heraus, dass die Swobada-Politiker mindestens genauso korrupt sind wie die der anderen Parteien. Dadurch haben sie bei den Wählern stark an Sympathie eingebüßt. Solche rechts­populistischen Parteien wie die Swoboda sind in der Tat ein Problem, aber das gilt nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa.
Könnte die Abspaltung der Krim rechten Gruppen mit ihrem antirussischen Nationalismus Zulauf bringen?
Ich denke, dass sie von diesen Ereignissen nicht profitieren können. So verbietet es die politische Situation in der Ukraine, über kriegerische Lösungen der Krim-Frage nachzudenken. Das ist auch eine Folge des Schocks, den die Todesopfer der Proteste auf dem Maidan in großen Teilen der ukrainischen Gesellschaft ausgelöst haben. Diesen Stimmen müssen auch die rechten Kräfte Rechnung tragen, wenn sie gesellschaftlich noch Einfluss behalten wollen.
Warum gelingt es linken Gruppen und Parteien in der Ukraine nicht, bei diesen unpolitischen Menschen anzukommen?
Die Begriffe »links« und »rechts« haben in der Ukraine eine andere Bedeutung als in Deutschland. Die Kommunistische Partei war und bleibt höchst korrupt und diskreditiert nachhaltig linke Ideen. Es gibt nichtparlamentarische Linke, dazu gehöre auch ich. Diese Gruppen sind aber noch sehr klein und schwach und bekommen keine finanzielle Unterstützung. Diese Gruppen haben noch zu wenig Erfahrung, um eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Meistens arbeiten sie auf der akademischen Ebene, da viele junge Wissenschaftler dabei sind. Deswegen sehen viele Menschen ohne Ausbildung und ohne jegliche Chance, die Ukraine zu verlassen, in den Linken Menschen mit Privilegien, und deshalb sind die Linken für sie keine Option.
Gilt das nicht vor allem für die Westukraine und ist es nicht ein Problem, dass die Sorgen vieler Menschen im Osten auch von den Protestierenden am Maidan nicht ernst genommen werden?
Diese Spaltung in Ost- und Westukraine wird überschätzt und von der russischen Propaganda ausgenutzt. Wenn man nur russische Medien sieht und hört, denkt man, in der Ukraine habe ein faschistischer Putsch stattgefunden, es herrsche ein Bürgerkrieg und russischsprachige Menschen würden von ukrainischen Nationalisten getötet. Wenn Menschen unter dem Eindruck dieser Propaganda stehen, ist es verständlich, dass sie wollen, dass Russland sie schützt.
Rührt diese Angst nur von der russischen Propaganda her oder auch von einer ­Regierung, in der Politiker der extremen Rechten vertreten sind und die als eine der ersten Maßnahmen die Zweisprachigkeit aufheben wollte?
Natürlich war diese Maßnahme, die mittlerweile wieder zurück­genommen wurde, ein großer Fehler. Das hat zur Verunsicherung der russischsprachigen Menschen beigetragen. Doch derzeit finden in der Ukraine mehr Debatten über die Zweisprachigkeit statt als früher. Selbst rechte Politiker versuchen, zweisprachig zu kommunizieren.
Müssten nicht die Maidan-Aktivisten, wenn ihnen die behauptete politische Selbstbestimmung wichtig ist, auch den Bewohnern der Krim zugestehen, dass sie sich für Russland entscheiden?
Sicher soll das Prinzip der Selbstbestimmung auch für die Bewohner der Ukraine gelten. Doch ein Referendum unter der Drohung von Militär und russischen Nationalisten, bei dem ein Ergebnis von über 97 Prozent herauskommt, ist gerade kein Beispiel für Selbstbestimmung.
Selbst ohne diese Beeinflussung hätte die Mehrheit vermutlich für den Anschluss an Russland votiert. Ist man in der Ukraine nicht vielmehr aus nationalistischen Gründen dagegen?
Das Problem besteht darin, dass niemand weiß, wie groß der Anteil der Menschen auf der Krim ist, die ohne Druck und Beeinflussung für einen Anschluss an Russland stimmen würden, und wie auf einer russischen Krim die Menschen behandelt werden, die dagegen sind. Wir konnten in den letzten Tagen sehen, dass Menschen von der Krim fliehen, was wenig Hoffnung auf demokratische Zustände macht. Meine Hoffnung ist die, dass Russland reagiert wie schon im Kalten Krieg und die Ukraine zum Vorzeigeprojekt macht. Davon würden die Menschen durch höhere Renten und bessere Sozialleistungen profitieren. Die Alternative wäre, dass die Krim ein politisches und soziales Niemandsland wird, wie es in Osteuropa einige gibt. Die Leidtragenden wären die Bewohner.
Auch für die Westukraine stellen sich diese Fragen. Vor einem möglichen EU-Beitritt müssten Anpassungsprogramme umgesetzt werden, die erhebliche Einschnitte in die Sozialprogramme bedeuten und den Lebensstandard vieler Menschen noch weiter sinken lassen würden. Wird darüber in der Ukraine diskutiert?
Nein, diese Fragen spielen momentan in der Debatte eine viel geringere Rolle, als man es sich wünscht. Derzeit wird nur darüber diskutiert, dass sich die Ukraine an die EU anlehnen soll, damit sie nicht mehr so stark von Russland beeinflusst werden kann.
Werden die Menschen nicht bald merken, dass sie für eine Hinwendung zur EU weitere soziale Opfer bringen müssen, und wie werden sie reagieren?
Es herrscht in der Ukraine die Meinung vor, dass die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes so schlecht ist, dass es nicht mehr abwärts gehen kann. Die Haltung gegenüber der EU und Russland bleibt aber postkolonial; viele hoffen, dass es unter der EU nicht schlimmer läuft als bisher. Das Wichtigste aber ist die Hoffnung, dass mit der EU die Korruption in der Ukraine geringer wird. Ich hoffe, die Ukrainer werden für Ihre Rechte weiter kämpfen, sonst waren alle Proteste umsonst.