Diadji Diouf im Gespräch über Homophobie im Senegal

»Das ist ein Prozess, der Zeit braucht«

Im Senegal wird Homosexualität mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. Die Organisation Aides Sénégal wagt es dennoch, sich öffentlich für die Rechte von Homosexuellen im Senegal einzusetzen. Ihre Aktivitäten werden ständig überwacht. Die Jungle World sprach mit Diadji Diouf, dem Präsidenten der Organisation, über die Arbeit von Aides Sénégal und Homophobie im Senegal.

Im Senegal ist Homosexualität strafbar. Wie kann Aides Sénégal in dieser Situation mit Homosexuellen arbeiten?
Im Senegal sind 95 Prozent der Bevölkerung muslimisch, vier Prozent sind christlichen Glaubens. Dennoch ist Homosexualität eine gelebte Realität und viele Homosexuelle sind religiös oder gläubig. Das Leben in der Klandestinität hat dazu geführt, dass die Rate an HIV-Infektionen unter Homosexuellen mit 21 Prozent gegenüber sieben Prozent im Bevölkerungsdurchschnitt sehr hoch ist. Die Betroffenen können nicht einfach medizinischen Rat einholen oder eine entsprechende Behandlung beanspruchen. Selbst in Gesundheits­zentren sind sie Stigmatisierungen ausgesetzt. Also gehen die Betroffenen lieber nicht ins Krankenhaus, nehmen lieber keine Medikamente und sprechen lieber nicht über ihren Status. Viele Homosexuelle sind verheiratet, denn ohne eine eigene Familie wird ein Mann als wertlos betrachtet und ist ständigem sozialen Druck ausgesetzt. Das hat zur Folge, dass die HIV-Rate auch in der übrigen Bevölkerung ansteigt.
Nur vor diesem Hintergrund können wir unser Engagement als Aktivisten der LGBTI-Bewegung begründen: Aides Sénégal propagiert keine Homosexualität, sondern ist in der HIV-Prävention tätig. Einzelne Personen im Gesundheitsministerium und in den Krankenhäusern wissen, dass Aides Sénégal wirkungsvolle Aufklärungsarbeit leistet und so für die Betroffenen den rechtlich garantierten Zugang zu einer antiretroviralen Therapie verbessert.
In den vergangenen Jahren hat die homophobe Propaganda insbesondere von Seiten der Re­ligiösen stark zugenommen. Wie wird sie begründet?
Homosexualität hat immer schon existiert, doch homophobe Prediger, Journalisten, führende Medienleute in Fernsehen und Radio und sogar Ärzte behaupten immer lauter, Homosexualität sei aus dem Westen importiert, Homosexuelle seien keine Afrikaner und Homosexualität sei eine Krankheit. Dabei wurden hiesige Gesetze wie der Paragraph 319, der »widernatürliche sexuelle Handlungen« mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft, während der Kolonialzeit verfasst und bei der Unabhängigkeit in die senegalesische Gesetzgebung aufgenommen. 36 afrikanische Länder haben Gesetze, die Homosexualität verbieten, meistens haben sie diese Gesetze von Europa geerbt. Man könnte also sagen, dass die homophobe Gesetzgebung aus Europa kommt, aber nicht die Homosexualität. Homophobe Haltungen sind nicht neu. Allerdings gab es bis 2005 kaum Festnahmen, das Strafgesetz wurde praktisch nicht angewandt. Das hat sich geändert, und der Einfluss radikaler islamistischer Kräfte aus arabischen Ländern auf die senegalesischen Muslime ist dabei eine treibende Kraft.
Was ist darunter zu verstehen, wenn der senegalesische Präsident Macky Sall zu Barack Obama sagt, die Gesellschaft im Senegal sei nicht homophob?
Ich weiß nicht, wie Macky Sall Homophobie definiert. Homosexuelle sind Opfer physischer und verbaler Gewalt bis hin zu Verhaftungen. Immer häufiger werden Leute auf offener Straße angegriffen. Derzeit sitzen 25 Personen im Gefängnis. Die Polizei führt Verhaftungen in Privaträumen durch und die Medien veröffentlichen diffamierende Artikel und Hassreden von Predigern, die Personen direkter Gefahr und Gewalt aussetzen.
Ich stimme Sall zu, wenn er meint, es sei zu früh, Homosexualität rechtlich anzuerkennen. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Die Gesellschaft ist noch nicht reif dafür. Ich fordere bei unserer Lobbyarbeit mit Parlamentariern Straffreiheit, aber wenn wir als Aktivisten ohne Rücksicht auf die religiöse Überzeugung der Mehrheitsgesellschaft agieren, wird sich der Mob organisieren. Eine Demonstration in Dakar, die die Abschaffung des Paragraphen 319 fordert, würde Homosexuelle großer Gefahr aussetzen. Es würde Gewaltexzesse geben, denn viele warten geradezu auf einen Anlass. Die Überfälle auf offener Straße häufen sich ohnehin. Viele unserer Mitglieder haben eigene Gewalterfahrungen gemacht. Ich selbst kann als gut vernetzter Aktivist schnell Schutz und Asyl finden, doch nicht die vielen tausend anderen, die ohne Kontakte, ohne finanzielle Mittel in extrem prekären Verhältnissen leben.
In Frankreich hat der Kampf für die Legalisierung der Heirat gleichgeschlechtlicher Paare über 30 Jahre gedauert. Eine Veränderung gibt es nur Schritt für Schritt und dabei dürfen wir keine Chance vertun. Das Parlament hat im Masterplan 2011 bis 2015 schriftlich festgehalten, eine Zusammenarbeit mit Homosexuellen anzustreben. Für uns als strafrechtlich Verfolgte ist es ein riesiger Erfolg, als Kooperationspartner erwähnt zu werden. Es gibt Länder, in denen so etwas in weiter Ferne liegt.
Welche Strategie verfolgt Aides Sénégal?
Wichtig ist zu schauen, wo und von wem Homosexualität im Senegal toleriert wird. Als Aktivisten versuchen wir, auf diese Toleranz aufzubauen. Allerdings wäre es nicht angebracht, junge Männer in ihrem Coming-out-Prozess zu unterstützen. Man würde uns als Pädophile bezeichnen oder wegen Verführung Minderjähriger verklagen.
Also sind wir bei Aides Sénégal organisiert, um gegen Aids vorzugehen. Dabei leisten wir zugleich Menschenrechtsarbeit. Workshops bei der Polizei, psychosoziale Arbeit in Krankenhäusern und Präventionsworkshops mit Zielgruppen gehören dazu. Es gibt Krankenpfleger, die einen Aidspatienten nicht anfassen wollen, wenn er schwul ist, und Polizisten, die zur Selbstjustiz greifen und gewalttätig werden. Erst im Dezember vorigen Jahres wurden vier Frauen äußerst gewaltsam festgenommen und auch im Gefängnis misshandelt. Wir intervenieren bei Konflikten und fordern die Wahrung der Menschenrechte – bei der Polizei, im Gefängnis, im Krankenhaus. Rechtsverletzungen werden von uns angezeigt, schließlich leben wir in einem Rechtsstaat. Doch es gibt keine Anwälte, die auf LGBTI-Fälle spezialisiert sind. Diejenigen, die sie aus dem Gefängnis holen konnten, haben auf Anraten der Anwälte ihre sexuelle Orientierung dementiert. Wir berufen uns darauf, dass das Recht auf Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, angemessenes Wohnen, der Schutz der Privatsphäre und die Würde einer Person unteilbare Menschenrechte sind.
Sie sind einer von sehr Wenigen, die sich im Senegal öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennen. Welche Bedeutung hat dieses Coming-out?
Ich spreche in der Öffentlichkeit, weil es wichtig ist, Homosexualität ein Gesicht zu geben, um diejenigen zu diskreditieren, die behaupten, sie komme aus dem Okzident. Daher finde ich es nicht gut, wenn Franzosen oder Deutsche hierher kommen, um über senegalesische Homosexua­lität zu dozieren. Das stärkt nur diejenigen, die behaupten, Homosexualität sei ein Importgut.
Es gibt viele Schwule, die Selbstmord begehen, auf Raten. Viele wissen, dass sie infiziert sind, doch sie nehmen keine Behandlung wahr, obwohl diese kostenfrei ist und jede Person einen Anspruch darauf hat. Die Angst vor dem gesellschaftlichen Ausschluss führt dazu, dass sie bevor­zugen zu sterben, statt ihr Recht in Anspruch zu nehmen. Fast alle, deren Schwulsein auffliegt, werden aus der Familie ausgeschlossen und verlieren ihren Job. Sie messen ihrem eigenen Leben keine Bedeutung mehr zu.
Der Stress und das Leben im Verborgenen gefährden die Gesundheit. Ich habe all das selbst erlebt, wurde verhaftet, verurteilt, mehrmals angegriffen, auch im Gefängnis. Mehrfach musste ich umziehen, trotz pünktlicher Mietzahlung. Meine Familie spricht meinen Namen nicht mehr aus, seit sie 2008 durch Presseberichte über die Verhaftung erfahren haben, dass ich schwul bin. Die Kraft für die Arbeit als Aktivist nehme ich daher, dass ich weiß, es gibt tausendundeine Personen, die das heute und in diesem Moment erleben.
Wie könnte die europäische LGBTI-Bewegung die Arbeit senegalesischer Aktivisten unterstützen?
Indem sie nicht einfach kommen und uns ihre Ideen und Strategien überstülpen. Wir haben unsere eigene gesellschaftliche Realität und eigene Strategien, damit umzugehen, und wir begrüßen diejenigen, die uns dabei zuhören. Die Situation im Senegal lässt sich einfach nicht mit der in einem Land in Europa vergleichen. Wir brauchen internationale Aufmerksamkeit und Beistand, aber nicht in einer Weise, die Homophobie hier eher befördert oder das Leben von Homosexu­ellen noch komplizierter macht. Wir müssen erst einmal ein wohlwollendes Umfeld für Homo­sexuelle schaffen, statt sie zusätzlichen Gefahren auszusetzen.
Nach meiner Festnahme und Verurteilung 2008 hat Human Rights Watch mit Recherchen begonnen. Ich habe selbst daran teilgenommen. Als der Bericht über die Lage von Homosexuellen dann vorgelegt wurde, hieß es in den Medien, er komme aus den USA, das sei nicht senegalesisch. Während die Idee verbreitet wird, Homosexualität sei aus dem Westen importiert, scheinen auch diejenigen, die für die Rechte der Homosexuellen kämpfen, nur aus dem Westen zu kommen. Wichtig ist, dass wir als senegalesische Organisation eine Studie vorlegen können, die klarmacht: Es sind senegalesische Mitbürger, die betroffen sind, es sind senegalesische Aktivisten, die Recherchen, Beweise und Zeugenberichte vorlegen und ihr Recht auf Gleichbehandlung einfordern. Das hat eine größere Wirkung und stärkt zugleich unsere Kapazitäten.
Gleichzeitig ist es riskant, sich im Rahmen der Arbeit öffentlich zu zeigen.
Man hat mehr Feinde als Freunde. Die Frage der Sicherheit spielt eine große Rolle, auch für Familienmitglieder. Seit die Verbindung zu meiner Familie aufgelöst wurde, kann ich überhaupt als Aktivist arbeiten, ohne meine Verwandten zu gefährden oder dem Hass der Nachbarn auszusetzen.
Ständig werden wir vom Sicherheitsdienst überwacht. Allerdings sind auch mehrere Botschaften und Aides France über unsere Aktivitäten informiert; jede ausgehende Mail geht an sie in Kopie. Aides Sénégal hat inzwischen gute internationale Beziehungen, ich kann das Land quasi von heute auf morgen verlassen. Doch ich sage mir, wenn ich ins Exil gehen würde, profitierte ich von dem, was andere Aktivisten erkämpft haben. Ich habe hier eine wichtige Aufgabe.