Kommunalwahlen in Frankreich

Der lange Marsch nach rechts

Bei den Rathauswahlen in Frankreich konnten Rechte und Rechtsextreme Erfolge feiern. Präsident Hollande tauschte nach der desatrösen Wahlniederlage seiner Sozialistischen Partei den Ministerpräsidenten aus.

Am Busbahnhof der multikulturell geprägten Stadt Villeneuve-Saint-Georges, zehn Kilometer südlich von Paris, prangten am Sonntag zwischen dem Rathaus und der Station für die Vorortzüge zahlreiche Aufkleber und Plakate. »Ich will meine Stadt solidarisch« und »Ich will meine Stadt gastfreundlich«, proklamierte etwa eine Serie gleich aussehender Aufkleber mit unterschiedlichen Überschriften. Die CGT, der stärkste Gewerkschaftsverband in Frankreich, forderte auf einem Plakat dazu auf, »am Sonntag wählen zu gehen, um die extreme Rechte zu verhindern«.
Gelbe Streifbänder auf den Wahlplakaten der Bürgermeisterin Sylvie Altman von der französischen KP fordern dazu auf, »der extremen Rechten den Weg zu versperren«. Jemand hat auf eines ihrer Plakate »halal« gekritzelt, vermutlich, um sie als Freundin der muslimischen Einwanderer zu diffamieren, obwohl der Trennung zwischen Religion und Politik in der Stadt große Bedeutung zugeschrieben wird und in diesem Winter vor dem Rathaus ein »Baum des Laizismus« gepflanzt wurde. »Fick den Front National« steht direkt daneben unter einem Konkurrenzplakat, das für den Herausforderer Philippe Gaudin wirbt.
Gaudin führte bei den französischen Rathauswahlen, deren zweiter Durchgang am Sonntag stattfand, mit der »Vereinigten Rechten« eine der wenigen Koalitionslisten an, auf denen Konservative sich mit der neofaschistischen Partei verbündet hatten. Ansonsten blieben solche Allianzen in Frankreich dieses Mal die Ausnahme. Die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte mit ihren Parteien UMP und UDI hatte im ersten Wahlgang einen derartigen Auftrieb erhalten, dass sie es für besser hielt, erst gar keine politisch heiklen Bündnisdiskussion zu führen.
Ein Ehepaar mit einer etwa siebenjährigen Tochter kommentiert die lokalen Ereignisse vor der Wache der Stadtpolizei: »Die Rathauspolitik muss sich dringend ändern! Die Bürgermeisterin hat versucht, Leute zu bestechen, indem sie ihnen im Wahlkampf Sozialwohnungen versprochen hat. Das ist schlimm. Und dann die ganze Unsicherheit! Es hat zwei Schießereien in unserer Stadt gegeben, wie in Chicago.« Geschah dies im Zusammenhang mit Konflikten unter Dealern? »Keine Ahnung. Aber das muss aufhören. Wenn man Kinder hat, muss man Angst haben.« Das Ehepaar stimmte offenbar für die Liste der vereinigten Rechten. Anders zwei Franzosen tamilischer Herkunft, die aus einem Wahllokal kommen. »Es ist gefährlich, was hier passiert, deswegen gehen heute auch viel mehr Leute wählen als am vergangenen Sonntag. Wir selbst waren auch schon vorige Woche abstimmen, aber viele sind inzwischen aufgewacht.«
Der Versuch Gaudins, im Bündnis mit dem FN das Rathaus der Stadt Villeneuve-Saint-Georges zu übernehmen, die von einem riesigen Stellwerk der französischen Eisenbahn und 40 Prozent sozialem Wohnungsbau geprägt ist, scheiterte. Rechnerisch hätte es klappen müssen, denn seine eigene Liste und jene des Front National hatten zusammen im ersten Wahlgang 58 Prozent erhalten. Doch in der Woche zwischen den beiden Durchgängen distanzierten sich die Parteiführungen von UMP und UDI von ihm und entzogen ihm jegliche offizielle Unterstützung. Am Schluss unterlag er mit 49,8 Prozent sehr knapp der Amtsinhaberin Sylvie Altman.

Andernorts hatten Konservative und Rechtsextreme, die in aller Regel getrennt voneinander antraten, mehr Erfolg. Im Großraum Paris übernahm der Front National erstmals ein Rathaus. Dank einer relativen Mehrheit in einer Stichwahl mit vier Listen und einem gespaltenen Mitte-links-Lager konnte sich der 32jährige Kandidat des FN, Cyril Nauth, in der Stadt Mantes-la-Ville, 50 Kilometer westlich von Paris, durchsetzen.
Der FN regiert künftig auch die frühere Bergarbeiterstadt Hénin-Beaumont unweit der belgischen Grenze, wo seine Kandidaten bereits im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erzielten. Die rechtsextreme Partei übernimmt auch die lothringische frühere Stahlstadt Hayange – der 34jährige Spitzenkandidat und frühere Linke Fabien Engelmann wurde vor drei Jahren wegen rechtsextremer Betätigung aus der CGT ausgeschlossen –, Villers-Cotterêts in der Picardie und die von Armut geprägte Mittelmeerstadt Béziers. Aber auch an der wohlhabenderen Côte d’Azur, wo die extreme Rechte seit langem hohe Wahlergebnisse erzielt, konnte sie Gewinne einstreichen. Der 26jährige FN-Kandidat David Rachline, Facebook-Beauftragter seiner Partei, wird nun Bürgermeister in Fréjus. Auch die Kleinstadt Cogolin an der Côte d’Azur fiel an den FN. Dort fanden am Wahlabend jedoch heftige Proteste von Jugend­lichen im Rathaus statt, wie ein Teilnehmer der Jungle World berichtete.

Konservative und Wirtschaftsliberale nahmen den französischen Sozialdemokraten zahlreiche Städte ab, darunter langjährige Bastionen wie Limoges – die Stadt wurde seit 1912 ununterbrochen sozialdemokratisch regiert –, Maubeuge in Nordostfrankreich und Nevers in Burgund. Insgesamt 155 Rathäuser in den Kommunen mit über 9 000 Einwohnern gingen der Sozialistischen Partei (PS) verloren. Deren Mitglied, der Politologe Pascal Perrineau, kommentierte am Sonntagabend im Fernsehen: »Normalerweise bedeutet eine Wahlniederlage bei Kommunalwahlen, dass 30 oder 35 Rathäuser einen Mehrheitswechsel erleben.« In beiden Wahlgängen erreichte die Stimmenthaltung mit je knapp 37 Prozent eine Höhe, die bislang noch nicht bei Rathauswahlen verzeichnet wurde. Die Wahlabstinenz schadete vor allem den Sozialdemokraten. Deren Wirtschaftspolitik kann in der eigenen Wählerschaft fast niemanden mehr überzeugen.
Präsident François Hollande bekräftigte jedoch diese Politik am Montag Abend, als er den Wechsel seines Ministerpräsidenten ankündigte. In seiner Fernsehansprache verkündete er klipp und klar: »Es sind die Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen.« Deswegen gelte es, sie zu stärken. Als Zeichen »sozialer Gerechtigkeit« kündigte er lediglich an, neben den Sozialabgaben und Steuern der Unternehmen bis 2017 auch jene der Lohnabhängigen zu senken, was die Sozialkassen weiter belasten wird. Als neuen Regierungschef ernannte Hollande den bisherigen Innenminister Manuel Valls, der vor allem für seinen Egozentrismus und seine Präsidentschaftsambitionen bekannt geworden ist. Er hatte sich 2011 als Rechtsaußen der Sozialdemokratie um ihre Präsidentschaftskandidatur beworben, aber bei der Urabstimmung nur fünf Prozent erhalten. Die konservative Zeitung Le Figaro nannte ihn am Montag den »wirtschaftsliberalsten Sozialdemokraten«. Der linke Parteiflügel schrie auf, Emmanuel Maurel sprach etwa von einer »seltsamen Wahl« Hollandes. Der frühere Sozialdemokrat und jetzige Vorsitzende der von ihm gegründeten Linkspartei (PG), Jean-Luc Mélenchon, bezeichnete die Ernennung Valls’ gar als »politischen Selbstmord« seiner früheren Parteifreunde. Valls soll noch diese Woche seine neue Regierung vorstellen. Am Sonntag wollen Oberschüler gegen Valls demonstrieren.
Den Ausgang der Kommunalwahlen vom Sonntag erklärt an erster Stelle die Flucht der sozialdemokratischen Wähler, meist in die Enthaltung. Die hohen Ergebnisse der Rechtsextremen beruhen allerdings nicht nur auf der Stimmenthaltung in den übrigen Lagern, insbesondere in der sozialdemokratischen Wählerschaft. In jenen Städten, in denen die Neofaschisten besonders gut abschnitten, fiel die Wahlbeteiligung oft deutlich höher als der Durchschnitt aus. Die extreme Rechte konnte sich in den Augen vieler Stimmbürger als Alternative profilieren, entsprechend dem Pseudoargument, mit dem sie für sich wirbt: »Die Konservativen habt ihr an der Regierung ausprobiert, die Linke habt ihr ausprobiert. Uns hat man noch nie erprobt.« Seit Gründung der Partei 1972 war der Front National stets in der Opposition. Aber auch der nationalistische Grundgedanke der Partei, wonach man sich in Krisenzeiten zuerst um die eigenen Leute kümmern müsse, getreu dem FN-Motto »Die Franzosen zuerst«, hat sich tief in die Gesellschaft hineingefressen. Valls, der sich in den vergangenen Monaten vor allem durch hohe Abschiebezahlen und Sprüche gegen Roma profilierte, wird wohl versuchen, in seiner Selbstdarstellung auf diese vorgeblich berechtigten Sorgen und Nöte zu antworten.