Wolfgang Schäubles ausgeglichener Haushalt

Der Preis der schwarzen Null

Der Bund will vom kommenden Jahr an keine neuen Schulden mehr machen – auf Kosten der Sozialkassen.

Respektbekundungen hat Wolfgang Schäuble (CDU) genügend erhalten. Angesichts des ersten ausgeglichenen Bundeshaushalts seit 1969, den der Bundesfinanzminister nun für das kommende Jahr vorgelegt hat, wurde mit Lob nicht gespart. Vor allem seine Amtsvorgänger zeigten sich parteiübergreifend begeistert. Hans Eichel (SPD), Finanzminister unter der rot-grünen Bundesregierung, beglückwünschte Schäuble in der Süddeutschen Zeitung zu diesem »Traum jedes Finanzministers«. Peer Steinbrück (SPD), der während der ersten Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Posten innehatte, sagte, jeder Finanzminister sei auf günstige Rahmenbedingungen angewiesen: »Ich wünsche Herrn Schäuble – und damit auch uns –,dass er darauf weiter bauen kann.« Nur Theo Waigel (CSU) wollte sich nicht gänzlich hinter seinem schwäbischen Nachfolger verstecken. »Ich hätte 1990 und 1991 einen ausgeglichenen Haushalt geschafft – habe mich dann aber doch dagegen entschieden, dafür die Wiedervereinigung abzusagen«, sagte Waigel süffisant im Gespräch mit der Zeit. Als Relativierung der »historischen Leistung« (Merkel) der derzeitigen Bundesregierung sollte dies natürlich nicht verstanden werden.

Was 2014 entgegen den Ankündigungen noch nicht gelingen wird – die Neuverschuldung beträgt derzeit etwa 6,5 Milliarden Euro, das ist immerhin weniger als ein Drittel des Haushaltsdefizits von 2012 –, soll 2015 nach dem Willen der Großen Koalition endlich Wirklichkeit werden. Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungsparteien darauf verständigt, die »schwarze Null« eines ausgeglichenen Haushalts unbedingt erreichen zu wollen. Steuererhöhungen wurden vor allem von der CDU strikt ausgeschlossen, entsprechend wird der Finanzminister bei den Ausgaben sparen, wenn die eingeplanten Mehreinnahmen geringer ausfallen als erwartet. Die Mehrausgaben für Infrastrukturmaßnahmen sind in Schäubles Entwurf prozentual verringert worden, die geplante Kindergelderhöhung wurde auf 2016 verschoben und die fünf Milliarden Euro, die den Kommunen zugesagt wurden, sollen erst 2018 kommen. Selbst der stellvertretende Vorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, der schon aufgrund seiner Parteizugehörigkeit ein großer Anhänger von Haushaltseinsparungen ist, kritisierte das Offensichtliche: »Der Gedanke der Nachhaltigkeit endet bei der kurzfristig erreichten Null im Ein-Jahres-Haushalt.« Wenig erfreulich dürfte das Streben nach der »schwarzen Null« vor allem für die abhängig Beschäftigten werden. Sie werden weniger Kindergeld erhalten als erwartet und für öffentliche Dienstleistungen in den klammen Kommunen mehr bezahlen müssen. Die langfristig bedeutsamste Maßnahme, mit der Kosten eingespart werden sollen, ist jedoch der Abzug von Mitteln aus den Sozialversicherungssystemen. So soll der Bundeszuschuss zu den gesetzlichen Krankenkassen 2014 um 3,5 Milliarden Euro und im kommenden Jahr um 2,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Statt der vorgesehenen 14 werden derzeit nur 11,5 und 2015 nur 12,5 Milliarden Euro für Leistungen wie die gesetzlich verankerten und entsprechend staatlich zu finanzierenden, kostenlosen Mitversicherungen von Ehepartnern und Kindern überwiesen werden. Künftige Beitragserhöhungen oder im besseren Fall die Aussetzung von Beitragssenkungen werden die Versicherten von ihren Löhnen und Gehältern zu erbringen haben.

Noch teurer werden den Beschäftigten aber die nicht im historischen »Nuller-Haushalt« vorgesehenen Zusatzmittel für die gesetzliche Rentenversicherung zu stehen kommen. Die Kosten, die durch die Gesetze zur Mütterrente und der Rente mit 63 für Beschäftigte mit 45 Beitragsjahren entstehen, werden sich nach Berechnungen von Heinz Gebhardt, Experte für öffentliche Finanzen am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, bis zum Ende der Legislaturperiode auf rund 40 Milliarden Euro summieren. »Den Sozialversicherungen werden dauerhafte Zusatzbelastungen aufgebürdet«, schreibt Gebhardt – und die Versicherten werden diese dauerhaft zu bezahlen haben. Die für das laufende Jahr anstehende Minderung des Rentenbeitragssatzes um 0,6 Prozentpunkte wurde bereits für den ausgeglichenen Haushalt kassiert, zusätzlich sollen die Beiträge zur Pflegeversicherung im kommenden Jahr um 0,5 Prozentpunkte steigen. Beides hatten die Steuerexperten von Union und SPD bereits im November bei einer Tagung in Bremerhaven vereinbart.

»Froh und dankbar« angesichts dieses Haushalts ist nicht nur Wolfgang Schäuble selbst. Auch aus den Reihen der SPD war bisher fast ausschließlich Lob zu vernehmen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verteidigte die Einsparungen bei der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung in einem Interview mit dem Spiegel, die Haushaltspolitik der Regierung sei »solide finanziert«. Angesichts dessen, dass der Beitrag der Gutverdienenden zu den Sozialversicherungen – einer Studie des RWI zufolge steuern Haushalte mit einem Jahreseinkommen von mehr als 200 000 Euro zu ihnen nur etwa ein Prozent bei, während sie für immer noch vergleichsweise geringe 14 Prozent der Steuereinnahmen aufkommen – zu vernachlässigen ist, tragen zu dieser »soliden Finanzierung« nur die abhängig Beschäftigten mit einem Monatseinkommen von weniger als 4 050 Euro bei. Selbständige, Gutverdienende und Beamte können damit rechnen, von den Einsparungen verschont zu bleiben. Aber das war ja auch das Ziel.