Verschwörungstheoretiker und »Anonymous«

Nazis hinter Masken

Die Facebook-Seite »Anonymous.Kollektiv« verbreitet rechtsextreme, antisemitische und rassistische Verschwörungstheorien. Das Hacker-Netzwerk Anonymous bemüht sich nun um eine Abgrenzung.

19 600 Likes, mehr als 31 000 Mal geteilt: Das Video »Anonymous – Nachricht an die deutsche Bevölkerung« gehört derzeit zu den meistbeachteten Veröffentlichungen des deutschsprachigen Facebook-Accounts »Anonymous.Kollektiv«. Der Inhalt des neuneinhalb Minuten langen Machwerks, in dem außer den »Chemtrails« fast keine Verschwörungstheorie, ausgelassen wird, lässt sich so zusammenfassen: Die Hacker-Gruppe »Anonymous« ruft unter anderem zum Kampf gegen »Tabuthemen, Geschichtsfälschung, Gehirnwäsche, Masseneinwanderung« auf, hält Deutschland für »ein besetztes Land« und Feminismus ebenso wie »deutsches Schuldbewusstsein« für das Allerletzte, weil damit das »deutsche Volk« versklavt oder ausgerottet werden soll. Oder so ähnlich.

Das Video ist kein Ausrutscher. Der Account, der gezielt den Eindruck erweckt, die offizielle Facebook-Präsenz der deutschen Anonymous-Bewegung zu sein, verlinkt und empfiehlt täglich Artikel und Filmchen rechtsextremer oder zumindest rechtsoffener Internetportale und antisemitischer Verschwörungstheoretiker. Das ist schon sehr lange der Fall, bereits im September 2013 wurde in einigen Blogs und in einer eigens gegründeten Facebook-Gruppe darüber geklagt, dass »Anonymous.Kollektiv« eine »Fake-Seite von Nazis« zu sein scheine und dort regelmäßig kritische Kommentare gelöscht würden. Auch eine gewisse Nähe zur rechtspopulistischen »Alternative für Deutschland« wurde festgestellt. Aber wie so oft ebbte die Empörung rasch wieder ab. Und so kommt es, dass mittlerweile mehr als 349 000 deutschsprachige Facebook-User voller Begeisterung glauben, dass die Gruppe Anonymous ihre antisemitische und rassistische Weltsicht teilt, und sich vor Freude darüber kaum halten können, dass die Macher der Seite offiziell zur Teilnahme an einer bevorstehenden Revolution aufrufen. Diese findet derzeit bereits in vielen großen Städten statt, allerdings lediglich in Form von Friedenskundgebungen, auf denen hauptsächlich Verschwörungstheoretiker für Russlands Anspruch auf die Krim demonstrieren. In Berlin gehören Ken Jebsen, ein wegen antisemitischer Äußerungen vom Rundfunksender RBB gefeuerter Moderator, und der Blogger Jürgen Elsässer zu denjenigen, die zu den Montagsdemonstrationen aufrufen. Die Anhänger von »Anonymous.Kollektiv« setzen große Hoffnungen auf die Demonstrationen, die ihnen als Vorboten eines kommenden Aufstands erscheinen, in dem »die da oben« von den Massen hinweggefegt werden. Die Regierung, alle Politiker und fast alle Parteien haben nach ihrer Ansicht nämlich »das Volk« verkauft und verraten, und zwar an »die Zionisten« und die USA, denen es darum gehe, »die Deutschen« auszurotten. In den Kommentarspalten der Facebook-Seite wimmelt es entsprechend von Statements wie dem eines gewissen »Bazzty von Sleaze« aus Gummersbach: »Ich rufe hier nicht zu Aufständen auf. Aber man sollte sich mal ein Beispiel an den Franzosen nehmen, die gehen auf die Straße und fackeln alles ab! Denen wird zugehört.«

Dass dem international agierenden Hacker-Netzwerk Anonymous eine solche Videonachricht an die Deutschen ohne weiteres zugetraut wird, hat sich die Gruppe allerdings durchaus selbst zuzuschreiben. Bereits im Jahr 2012 hatte sie gezeigt, dass sie kaum Berührungsängste mit rechten Splitterparteien hat und wie weit sie den Zensurbegriff fasst. Anonymous war im Juni 2012 in mehreren Städten gemeinsam mit der Piratenpartei als offizieller Veranstalter der bundesweiten Demonstrationen gegen das Überwachungsprogramm »Indect« aufgetreten. Zusätzlich hatte sich mancherorts die »Partei der Vernunft« (PdV) als Veranstalter aufgedrängt, was prompt zu heftigem Streit mit viel Zensurgeschrei zwischen linken Mitgliedern der Piratenpartei und Anonymous führte, aber auch die verschiedenen Flügel der Piratenpartei gegeneinander aufbrachte. In München durfte die PdV schließlich sogar offizieller Veranstalter bleiben, was ein Mitglied von Anonymous auf Facebook mit dieser Begründung rechtfertigte: »Unserer Meinung nach, und nach diesem Statement, ist die PdV in keinster Weise rechtspopulistisch.« Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations-, und Archivstelle München, die den Vorwurf des Rechtspopulismus aufgebracht habe, sei im Übrigen »eine vom Verfassungsschutz beobachtete dubiose Website«. In Dortmund, wo der Text für die Werbeflyer für die Demonstration nach Angaben der örtlichen Piratenpartei »kollaborativ beim Piratenstammtisch in Zusammenarbeit mit Anonymous, Occupy und PdV erstellt« worden war, sollte mit Igor Ryvkin ein prominentes Mitglied der PdV als Veranstalter firmieren. Dass nun das neue Buch des ehemaligen PdV-Vorsitzenden Oliver Janich – Untertitel: »Geheimdokumente enthüllen: Die dunklen Pläne der Elite« – auf der Facebook-Page von »Anonymous.Kollektiv« empfohlen wird, erscheint nicht so abwegig, wie die Leute hinter den Guy-Fawkes-Masken das offensichtlich gern hätten. Eine mittlerweile gelöschte Erklärung mit dem Titel »Warum die Seite ›Anonymous.Kollektiv‹ nichts mit uns zu tun hat«, die in der vergangenen Woche auf Pastebin veröffentlicht wurde, begann mit dem schlichten Satz: »Die Seite ›Anonymous.Kollektiv‹ bzw. ›Anonymous‹ von Mario Rönsch hat nichts mit Anonymous zu tun.« Um das festzustellen, müsse man nur »fast jede beliebige Anonymous-Zelle in Deutschland« befragen, hieß es in dem langen Text weiter, bevor die Verfasser zu einer wirren Erklärung der angeblichen Machenschaften des Inhabers der Facebook-Page ansetzten.

Die Erklärung, warum jemand ausgerechnet bei Anonymous, also der größten Mitmach-Bewegung des Internet, nicht mitmachen und dazugehören dürfen soll, bleibt ziemlich unübersichtlich. Umso einfacher ist es aber zu verstehen, warum Anonymous die Facebook-Seite nicht gehört. »Der Grund liegt nicht etwa in einer Unterwanderung durch Geheimdienste.« Es verhalte sich viel einfacher: »Die Admins dieser Seite haben der falschen Person getraut. Wenn jemand Admin (Manager) einer Seite ist, kann er alle anderen Admins einer Seite degradieren bzw. rauswerfen. Der jetzige Admin hat genau das mit all unseren Admins getan. Er ist momentan also alleiniger Admin dieser Seite und das schon seit 2012.« Das ist selbstverständlich traurig. Unbeantwortet bleibt allerdings eine Frage, die sich förmlich aufdrängt: Wie kann es sein, dass sich die selbst­ernannten Superhacker und coolen Internet-Auskenner von Anonymous von der eigenen Facebook-Seite aussperren lassen?