Der Kampf um die Kontrolle des Internet

Mein Netz, dein Netz

Die Netzneutralität ist auf EU-Ebene gesichert, enthält aber noch ein Schlupfloch für die Netzanbieter. Unterdessen streiten Staaten und Konzerne weiterhin um die Kontrolle des Internet, das sich immer weiter vom Ideal eines demokratischen Netzes für alle entfernt.
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Bei den Aktivisten der »Digitalen Gesellschaft« und anderswo müssen die Sektkorken geknallt haben, als das EU-Parlament am 31. März die Netzneutralität festschrieb. Wenn der Beschluss irgendwann in nationales Recht überführt ist, müssen Netzbetreiber alle Daten, die durch ihre Leitungen fließen, gleich behandeln. Sie dürfen Zugänge zwar immer noch ab einem bestimmten Datenverbrauch drosseln, aber nicht mehr bestimmte Dienste von der Drosselung ausnehmen. Für die Netzanbieter ist es ärgerlich: Sie wollen expandieren und müssen dafür neue Einnahmequellen finden. Eine solche Einnahmequelle wäre gewesen, einfach an beiden Enden der Leitung abzukassieren: Einmal von den Anwendern, die den Internetanschluss mieten, und ein weiteres Mal von Facebook, Youtube und anderen, die dafür zahlen, dass ihre Dienste nicht gedrosselt werden.
Das wäre fatal gewesen: Start-ups, Blogs und Medien wie die Jungle World hätten keine Chance mehr auf gleichberechtigten Zugang gehabt, wenn die Netzbetreiber entsprechende Verträge mit großen Konzernen wie Google, Facebook oder Fernsehsendern abgeschlossen hätten. Das Internet würde aufhören, ein Medium zu sein, in dem jeder mit wenig Aufwand auch Sender sein kann. Für Anhänger eines freien Internet ist also das EU-Regulierungspaket für Telekommunikationsanbieter ein wichtiger Sieg. Allerdings enthält die Verordnung eine Lücke: Dienstbetreiber dürfen Spezialdienste anbieten, die nicht näher definiert sind. Die Gefahr eines Zwei-Klassen-Internet besteht also weiter, weil nicht näher definiert ist, was in die Kategorie »Spezialdienst« fällt und unter welchen Bedingungen diese angeboten werden können.
Denkbar wäre ein Aufleben der Online-Dienste des vorigen Jahrhunderts wie AOL, MSN, CompuServe oder Datex J. Das Gedankenspiel geht so: Ein großer Netzanbieter bietet in Zukunft einen Online-Zugang an, der nicht mehr »Internet« heißt und auch keinen Zugang zum freien Internet beinhaltet, sondern ausschließlich zu den eben genannten Spezialdiensten. Diese werden von Facebook, Youtube, großen Zeitungen, Fernsehsendern und anderen Medienhäusern angeboten, die dafür zahlen, während der Endkunde nicht mehr 25 oder 50 Euro im Monat zahlt, sondern nur noch fünf Euro oder gar nichts. Die Angebote könnten allerlei zusätzliche Werbeeinblendungen beinhalten oder nicht filterbare Werbe-Mails.
Geringverdienern, Arbeitslosen, Jugendlichen und Menschen mit wenig Internet-Affinität könnte ein solcher Online-Zugang durchaus reichen, wenn er sehr billig oder sogar kostenlos wäre und sie dort weiterhin ihren Facebook-Account nutzen, chatten und Online-Dating betreiben können. Der Download von Open-Source-Software, Bildungsangebote oder die neuesten NSA-Leaks von Edward Snowden wären nicht möglich. Da ein solcher Zugang frei von nicht altersbeschränkter Pornographie wäre, würde sicherlich nicht nur der eine oder andere Politiker ein solches Modell charmant finden. Die Anbieter begründen diese Spezialdienste damit, auf diesem Wege neue, innovative Dienste anbieten zu können. Dabei würde vor allem Innovation verhindert, wenn kleine Start-ups mit pfiffigen Ideen nicht mehr wie früher zu ihrem Publikum durchdringen könnten.

Ob der Beschluss des EU-Parlaments also wirklich ausreicht, um ein Zwei-Klassen-Netz zu verhindern, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Als Wirtschaftsunternehmen wollen die Netzanbieter expandieren und neue Geldquellen erschließen. Ein logischer Schritt wäre, die Netzversorgung auf dem Land zu verbessern, wo ein großer Teil der Bevölkerung von Breitbandnetz nur träumen kann: Ganze Gewerbegebiete sind Geisterstädte, weil eine hinreichend schnelle Internetanbindung fehlt. Dafür sind aber Milliardeninvestitionen nötig, die sich allenfalls sehr langfristig wieder auszahlen, schließlich zahlen die Menschen auf dem Land heute schon für ihren mageren Internetanschluss ähnlich viel wie in der Stadt für einen mittelmäßig schnellen.
Nach Eurostat-Angaben verfügen in Deutschland 85 Prozent der Haushalte über einen Breitbandanschluss (siehe Seite 5). Fragen wir Webworker und Unternehmen, lachen die über solche Anbindungen. Unter »Breitband« verstehen sie 50 Megabit und mehr – die auch nötig sind, sollen beispielsweise in Zukunft Fernsehbilder in HD-Qualität übers Netz übertragen werden.
Wie es gehen könnte, machen Länder wie Südkorea vor, in denen 70 Prozent der Bevölkerung über zehn Megabit verfügen. Hierzulande sind es nur zehn Prozent. Wer kein schnelles Internet hat, benutzt es auch anders. So entstehen regional unterschiedliche Muster der Mediennutzung, wenn beispielsweise im ländlichen Raum weiterhin Fernsehen geschaut wird wie im vergangenen Jahrhundert, während die Info-Elite in den Großstädten heute oft keinen Fernseher mehr besitzt, sondern gezielt Sendungen in Mediatheken und auf Youtube ansieht.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der auch für das Internet zuständig ist, plant einen sogenannten »Universaldienst«. Das ist vom Telefon bekannt: Die Anbieter sind verpflichtet, auch im hinterletzten Winkel der Republik einen Telefonanschluss zur Verfügung zu stellen. Für das Internet gibt es eine solche Regelung bisher nicht, und sie wäre ein Fortschritt, auch wenn ein solcher Zugang relativ langsam sein sollte. Dobrindt hat ambitionierte Ziele: Bis 2018 – also zufälligerweise erst kurz nach der nächsten Bundestagswahl – sollen in Deutschland flächendeckend 50 Megabit zur Verfügung gestellt werden.
Woher die vielen Milliarden Euro kommen sollen, die dafür nötig sind, weiß noch keiner so genau. Der Bundesverband Breitbandkommunikation vertritt viele kleine Netzanbieter wie zum Beispiel Stadtwerke. Sie befinden sich in der Situation, die etwa die Telekom vermeiden will, weil sie nur Strom anbieten, ohne weiter wachsen zu können. Sie sehen Wachstumschancen darin, eigene Glasfasernetze aufzubauen, haben aber Angst, nicht konkurrenzfähig zu sein, weil auf EU-Ebene eher auf die großen Konzerne gesetzt wird. An einem Runden Tisch der Internetwirtschaft, zu dem Alexander Dobrindt im März eingeladen hatte, haben sie einen symbolischen Scheck über neun Milliarden Euro ausgestellt, um den Glasfaserausbau voranzutreiben – ein Betrag, der bundesweit nicht einmal ansatzweise ausreicht, was den Netzausbau angeht.
Dabei wären kleine Anbieter bis hin zu Genossenschaften, die keinem Wachstumszwang ausgesetzt sind, eine Lösung des Problems. So hat das kleine Löwenstedt in Schleswig-Holstein aufgehört, auf die großen Anbieter zu warten, die allesamt kein kurzfristiges Interesse an Investitionen in der Region hatten, und den Netzausbau selbst in die Hand genommen. 52 000 Haushalte in den Gemeinden nahe der dänischen Grenze bekommen nun schnelles Internet über Glasfaserkabel. Diese kleinen Anbieter hoffen jetzt auf staatliche Fördergelder. Verkehrsminister Dobrindt will diese aus einer Neuversteigerung von Mobilfunkfrequenzen bereitstellen, die demnächst fällig ist. Die Mobilfunkkonzerne hingegen sprechen von Umverteilung: Sie haben naturgemäß wenig Lust, den Festnetzausbau mit diesen Milliarden querzufinanzieren, und drohen mit Klagen gegen die geplante Auktion.
Dobrindt will das »schnellste und intelligenteste Netz der Welt« aufbauen, wobei nicht ganz klar ist, was er mit »intelligent« meint. Schließlich soll ein neutrales Netz gewissermaßen dumm sein und einfach alle Daten gleichberechtigt durchleiten. Ob das Rhetorik ist oder er tatsächlich »intelligente« Netze plant und wie diese aussehen könnten, ist nicht klar. Zu befürchten ist, dass mit »intelligent« die Einrichtung von Netzsperren gemeint ist. Die Debatte war 2009 zunächst beendet worden, nachdem die schwarzgelbe Bundesregierung die Umsetzung des sogenannten »Zugangserschwerungsgesetzes« von Ursula von der Leyen ausgesetzt hatte. Es sollte offiziell dazu dienen, Kinderpornographie im Netz zu sperren, wurde aber als der Versuch wahrgenommen, eine Infrastruktur für Zensur im Internet einzuführen.

In Großbritannien und vielen anderen Ländern gibt es mittlerweile eine solche Netzzensur. Öffentliche Einrichtungen wie Verwaltungen, Schulen und Bibliotheken dürfen nur gefiltertes Internet anbieten, während sich private Haushalte immerhin entscheiden können, ob sie den Filter möchten oder nicht. Auf dem Index steht bei weitem nicht nur Pornographie: Auch Websites, die Urheberrechte verletzten, sowie solche zum Thema Essstörungen, Alkohol, Rauchen, Suizid und mit esoterischem Material werden zensiert – sowie Websites, die Tools zum Download anbieten, mit denen diese Sperren umgangen werden können. Wie erwartet häufen sich die Fälle, in denen Websites gesperrt werden, die offenbar versehentlich auf dem Index gelandet sind oder über diese Themen aufklären wollen und sich an Jugendliche wenden.
In Deutschland droht ähnliches: Die Bundesländer planen einen neuen Jugendmedienstaatsvertrag, der Jugendschutz im Internet durchsetzen soll. Wie das verwirklicht werden könnte, ist noch nicht bekannt. Denkbar wären Altersangaben auf Websites, die von Filtersoftware ausgewertet werden könnte. Auch das für das Internet absurde »Sendezeiten«-Modell ist wieder im ­Gespräch, bei dem bestimmte Websites nur noch nachts erreichbar sein dürfen, wenn die lieben Kleinen – hoffentlich – schlafen.
Beispiele wie das der Türkei zeigen, dass am Ende von einem solchen Filter auch Angebote wie Facebook, Twitter und Youtube betroffen sein könnten, die gar nicht oder nach eigenen Regeln kontrollieren, was ihre Mitglieder verbreiten dürfen. Am Ende stünde dann doch wieder ein nicht neutrales Netz – egal was von der EU beschlossen würde.