Die europäischen Nazis und Putin

Putin schlägt Swoboda

Die Krim-Krise beschäftigt auch die Nazis in ganz Europa. Ihre Sympathie gilt meist Russland.

Müssen die ausländischen »Kameraden« höheren Interessen geopfert werden? Etwa einer außenpolitischen Staatsraison, selbst wenn man den Staat im Augenblick gar nicht regiert? Das sind die Fragen, die sich Rechtsextreme unterschiedlicher Provenienz in Europa derzeit stellen, wenn es um den Umgang mit den Nationalisten in der Ukraine einerseits, mit der Expansionspolitik des stärkeren Nachbarlands Russland andererseits geht.
So würde es zunächst naheliegend erscheinen, dass europäische Rechtsextreme Sympathien für ihre ukrainischen »Kameraden« äußern. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit Kontakte rechtsextremer europäischer Parteien mit Kräften wie der »Allukrainischen Vereinigung Swoboda (Freiheit)«, die 1991 unter dem Namen »Sozialnationalistische Partei der Ukraine« gegründet wurde. Im November 2009 wurde eine Delegation der Swoboda am Sitz des französischen Front National (FN) in Nanterre bei Paris empfangen. Der damalige Parteivorsitzende des FN, Jean-Marie Le Pen, und sein damaliger Vizepräsident Bruno Gollnisch trafen bei dieser Gelegenheit mit dem Vorsitzenden von Swoboda, Oleg Tyahnybok, und seinem »Beauftragten für internationale Angelegenheiten«, Taras Osaulenko, zusammen. Beide Seiten unterzeichneten ein Protokoll für die künftige verstärkte Kooperation. Die Zusammenkunft wurde in den französischen Medien, unter besonderem Hinweis auf die antisemitischen Tendenzen bei Swoboda, scharf kritisiert. Später hörte man allerdings nicht mehr viel von dieser Zusammenarbeit.
Zum Zeitpunkt der Reise nach Frankreich war Swoboda noch eine relativ bedeutungslose Kleinpartei. Ihren Durchbruch feierte sie erst bei den Parlamentswahlen im Oktober 2012, sie erhielt 10,44 Prozent der abgegebenen Stimmen. Nun muss sie jedoch wieder um ihren Platz fürchten, obwohl sie derzeit Minister und den Generalstaatsanwalt stellt. Denn der martialischer auftretende »Rechte Sektor« (Praviy Sektor), dessen Militante am 1. April durch die Behörden aus dem Hotel Dnipro im Zentrum der Hauptstadt Kiew vertrieben wurden, wo sie sich seit Beginn des Umsturzes festgesetzt hatten, droht ihr den Rang abzulaufen. In Umfragen ging die Zustimmung für Swoboda auf vier Prozent zurück. Der »Rechte Sektor« hat die Konkurrenz überholt.
Auch mit ihm haben europäische Rechtsextreme in jüngerer Zeit Kontakt. In einer Presseerklärung der Jugendorganisation der deutschen NPD, der Jungen Nationaldemokraten (JN), zu ihrem »Europakongress« von Ende März heißt es etwa: »Absagen mussten im Vorfeld lediglich der ›Rechte Sektor‹ aus der Ukraine wegen Ausreiseverboten sowie die ›Goldene Morgenröte‹ aus Griechenland, die sich wegen erneuter staatlicher Repression entschuldigte.«
Aber ein Bündnis mit dem »Rechten Sektor« ist unter den Rechtsextremen in den Kernländern der Europäischen Union derzeit eher die Ausnahme. Aus ihrer Sicht gilt es nämlich, auf einen viel interessanteren, tatsächlichen oder erhofften Bündnispartner Rücksicht zu nehmen, schwärmen doch viele von ihnen für Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Dafür gibt es mehrere Gründe: Putin steht für ein autoritäres Regime, für Repression gegen Schwule und Lesben, für eine restriktive Einwanderungspolitik gegenüber Muslimen aus dem Kaukasus und Zentralasien sowie ein hartes militärisches Vorgehen in Tschetschenien.

Marine Le Pen, die im November 2011 bei der Verkündung ihres damaligen Programms für die Präsidentschaftswahl im außenpolitischen Teil ihrer Rede sagte, auch anderswo als in Russland benötige man »einen Putin«, nannte noch einen weiteren Aspekt: den Rohstoffreichtum Russlands. Wegen diesem könne es sich Europa unter Verfolgung einer geeigneten Bündnispolitik leisten, sich stärker von den USA und darüber hinaus auch von Ländern im bisherigen kolonialen oder postkolonialen Einflussbereich Frankreichs abzukoppeln. Es sei nämlich zu erwarten, dass sich die Beziehungen zu diesen Ländern durch die vom FN geforderte drastische Verschärfung der Einwanderungspolitik verschlechtern würden.
Deswegen kommt die ukrainische Rechte derzeit für den FN als Bündnispartner definitiv nicht in Frage. Dessen Vizevorsitzender Florian Philippot sagte jüngst im Radio leicht verdruckst, man dürfe »kein Schwarz-Weiß-Weltbild« haben, »die Russen« seien »nicht immer die Bösen«, während Marine Le Pen gegen die Aussetzung französischer Rüstungslieferungen nach Russland wetterte – dies koste Arbeitsplätze im Flugzeugbau und bei den Werften. Solche Ansichten werden nicht nur vom FN geteilt. Ein Kommuniqué der »Identitären Bewegung« vom 20. März trägt den Titel »Nato go home!« und belehrt seine Leser, die USA versuchten, Europa von Russland abzuspalten, indem sie Unruhe in der Ukraine stifteten. Stattdessen gelte es, »Europa den Europäern« zu überlassen.
Als am 16. März die angeblich freie Volksabstimmung auf der Halbinsel Krim über die Angliederung an Russland stattfand, hatte auch der französische FN einen Beobachter vor Ort. Während die Einreise auf die Krim für neutrale Beobachter unmöglich war und Zufahrtswege kontrolliert wurden, weilte der selbsternannte Geopolitiker Aymeric Chauprade vor Ort. Er ist »Sonderberater« von Marine Le Pen für internationale Angelegenheiten und wird in der Pariser Wahlregion als Spitzenkandidat des FN zu den Europaparlamentswahlen vom 25. Mai antreten. Chauprade wurde zunächst sogar als offizieller Repräsentant und Wahlbeobachter des FN vorgestellt. Doch wegen der Kritik der Medien verzichtete die Parteiführung auf das Vorhaben und stellte Chauprades Mission nunmehr als dessen private Reise »in beruflichen Angelegenheiten, als Experte für Geopolitik« dar.
Von deutschen Rechtsextremen sind bislang keine Reisen bekannt. Auch sie vertreten überwiegend eine prorussische Politik. Trotz der Kontakte ihrer Jugendorganisation JN zum ukrainischen »Rechten Sektor« unterstützt die NPD mehrheitlich Russland. Der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt etwa tönte Ende März, die USA missachteten den Willen der großen Mehrheit der Bewohner der Krim, zu Russland zu gehören, und wollten »die Ukrainer gegen die Russen hetzen«. Er fügte hinzu: »Deutsche müssten doch eigentlich wissen, dass der Volkswille die USA und ihre Helfershelfer noch nie interessiert hat. Zur Erinnerung: Der Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 verfügte unter anderem völkerrechtswidrige Gebietsabtretungen an Polen.« Voigt erweckt in seinen Ausführungen deshalb auch nicht den Eindruck, die Krim sei von der Ukraine abgetrennt worden, sondern suggerierte nostalgische Ähnlichkeiten mit dem »Anschluss« des Saarlands, Österreichs und des »Sudetenlands« an Nazideutschland.

Die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit sieht es ähnlich. Sie insistiert darauf, dass »Beziehungen zu Russland essentiell sind für eine deutsche Außenpolitik mit Handlungsspielraum zur Wahrung eigener Interessen. Im fremden Auftrag in sensiblen Staaten wie der Ukraine herumzupfuschen, ohne Russland auf der Rechnung zu haben, ist fahrlässig und dumm, besonders wenn dieses Russland weiß, wozu Armeen wirklich da sind: nicht zum Brunnenbohren, sondern als Mittel der Politik zur gezielten Durchsetzung nationaler Interessen.«
Heftigen Streit gab es dagegen auf dem jüngsten Parteitag der »Alternative für Deutschland« (AfD) in Erfurt. Befürworter einer härteren Politik eines geschlossenen westlichen Bündnisses gegen Russland standen den Anhängern einer Annäherung gegenüber. Für solche Fälle hat die AfD mittlerweile aber eine Lösung: Auch dieser Richtungsstreit wurde vorläufig durch einen Formelkompromiss überdeckt. Von »weiteren Maßnahmen der Eingliederung der Ukraine oder Teilen davon in die EU oder in die Russische Föderation« bittet die AfD abzusehen.