Streit um ein Gemälde in Berlin zur Totalitarismustheorie

Angriff der totalen Theoretiker

Die Berliner Posse um ein Gemälde zeigt, wie einflussreich die Totalitarismustheorie ist.

»Konfliktstoff« – bei dem Label des Textilkünstlers Jan Bejšovec ist der Name Programm. Insofern ist die Empörung, die seine jüngste Ausstellung ausgelöst hat, auch ein Erfolg für ihn. Im März hatte ein Café in der Berliner Karl-Marx-Allee unter anderem sein Werk »Totaler Theoretiker« gezeigt. Darauf ist der Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, mit Heiligenschein, geballter Faust und zum Hitlergruß erhobener Hand zu sehen. Die Bildunterschrift verweist auf die von Knabe vertretene Totalitarismustheorie und deren Gleichsetzung aller totalitären Systeme.
Das Bild war Anlass genug für Rainer Wagner, Anzeige wegen Volksverhetzung zu erstatten. Wagner ist nicht nur Beiratsvorsitzender der Stiftung Hohenschönhausen, sondern auch Bundesvorsitzender der »Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft« (UOKG). In einer Pressemeldung spricht er von »Verunglimpfung«, die nicht nur Knabe, sondern »alle Opfer der SED-Diktatur« beleidige.

Nach Meinung von Jan Bejšovec stehen Vereinigungen wie die UOKG für revisionistische Bestrebungen, die bezwecken, Einfluss auf das gesellschaftliche Geschichtsbild zu gewinnen. Das umstrittene Kunstwerk hat Bejšovec schon häufiger ausgestellt, so hing es 2011 im ARD-Fernsehstudio. Dass die Kritik gerade jetzt laut wird, erklärt er sich auch mit einer europaweiten Tendenz zur Gleichsetzung der totalitären Systeme. Damit verbunden sei eine Verharmlosung des Nationalsozialismus. »Wenn jemand wie der Nationalist und Nazikollaborateur Stepan Bandera in der Ukraine wieder zum Volkshelden gemacht wird, wie lange dauert es dann wohl, bis auch Göring wieder diese Rolle bekommt?« fragt Bejšovec.
Der Einfluss der Totalitarismustheorie lässt sich nicht von der Hand weisen. Auf ihr beruhte die Entscheidung der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder (CDU), von geförderten Projektträgern eine »Demokratieerklärung« zu verlangen. Zwar hatte Schröders Nachfolgerin Manuela Schwesig (SPD) angekündigt, die sogenannte Extremismusklausel wieder abzuschaffen. Geändert wurde jedoch nur die Form. »Die Extremismusklausel heißt jetzt Begleitschreiben«, titelte die Zeit im Januar 2014 treffend. Demnach verpflichten sich Projektträger weiterhin zu überprüfen, »ob im Hinblick auf den Inhalt der beabsichtigten Maßnahme mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass sich bei deren Durchführung eine Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ergeben kann«.
Obwohl das Deutsche Jugendinstitut in der offiziellen Evaluation des Bundesprogramms »Ini­tiative Demokratie stärken« bemerkt, dass »kein Bedarf für einen das gesamte Bundesgebiet abdeckenden Programmbereich zum Thema ›pädagogische Prävention von Linksextremismus im Jugendalter‹« festzustellen sei, standen für Projekte gegen »Linksextremismus und Islamismus« in den Jahren 2011 bis 2014 Fördermittel in Höhe von 4,7 Millionen Euro zur Verfügung. Das nicht eben als linksradikal verschriene Jugendinstitut stellt zudem den Seminaren der Gedenkstätte Hohenschönhausen keine guten Noten aus: Die Auseinandersetzung mit »Linksextremismus« sei »stark durch die emotionale Dramaturgie des Ortes gerahmt: Was hier historisch geschah, darf sich nicht wiederholen. Diese Weichenstellung führt aber (…) dazu, dass die einzelnen und sehr heterogenen Ausprägungen von ›Linksextremismus‹ nicht differenziert erschlossen werden, sondern unter einem ausgesprochenen wie unausgesprochenen Totalitarismusverdacht stehen.«

Das ist nicht überraschend bei einer Einrichtung, die auch NS-Täter wie Walter Linse ausschließlich als Opfer des Kommunismus darstellt. Das NSDAP-Mitglied Linse war in Chemnitz für die »Bearbeitung von Entjudungsvorgängen« verantwortlich und koordinierte unter anderem den Einsatz jüdischer Zwangsarbeiter. Im Personenverzeichnis der Gedenkstätte findet das keine Erwähnung.