»Landgrabbing« in Brandenburg

Die Rückkehr der Junker

In Brandenburg sind Agrarbetriebe und Ackerflächen im Zuge der Weltwirtschaftskrise beliebte Investitionsobjekte finanzkräftiger Firmen geworden.

Carlo Horn ist Berater beim Öko-Anbauverband Naturland und deshalb viel auf Brandenburger Bauernhöfen unterwegs. Der 34jährige kommt aus einer Familie mit landwirtschaftlicher Tradition und hilft bei der Rinderzucht auf dem familiären Hof mit. Aufgrund seiner Erfahrungen dort und als Berater in den vergangenen Jahren kam er 2012 gegenüber Deutschlandradio Kultur zu dem Schluss, dass es in Ostdeutschland »die bäuerliche, inhabergeführte Landwirtschaft über kurz oder lang gar nicht mehr geben wird«. Bei der gegenwärtigen Entwicklung würden in einigen Jahren sechs oder sieben Personen darüber entscheiden, was in Brandenburg angebaut werde, sagte Horn damals. Diese Aussage bekräftigt er auch heute im Gespräch mit der Jungle World: »Die Konzentrationsprozesse sind weiterhin im Gange.« Doch hätten die Firmen, die Betriebe aufkaufen, gelernt, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, da es eine negative Außenwahrnehmung gebe. »Bisher haben sich die üblichen Player damit gebrüstet, weiter gewachsen zu sein oder den einen oder anderen geschluckt zu haben. Nun wird das eher unter der Decke gehalten. Zum anderen versucht man, Betriebe zu kaufen, die ein positives Image haben«, so Horn.
Die »üblichen Player« sind Firmen mit viel Fremdkapital, die zum Teil über Gesamtflächen von Zehntausenden Hektar verfügen. Einige der bedeutendsten Firmen sind allerdings keine Agrar­unternehmen, die schon lange aktiv sind und durch den Aufkauf anderer Firmen wachsen, sondern »landwirtschaftsfern«. Diese Investoren bestimmen immer mehr die Brandenburger Landschaft. Es sind Firmen, Firmeneigentümer oder -erben, die in anderen Bereichen viel Geld verdient haben und nun in Ackerland investieren, das auch in Deutschland zu einem begehrten Investitionsobjekt geworden ist.
Weltweit wird für ein gigantisches Kapitalvolumen nach renditeträchtigen Investitionsmöglichkeiten gesucht. Die Industrie gibt aufgrund der allgemeinen Marktsättigung nicht mehr so viel her, umso weniger, seit die vielen Sparprogramme Wirtschaft und Konsum abwürgen. So bleibt ­einerseits die Spekulation, wo allerdings Spekulationsblasen platzen können, wie 2007 auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt; andererseits rücken Bereiche ins Interesse der Investoren, die bisher nicht viel Kapital anzogen, weil sie nicht zu den gewinnträchtigsten gehörten. Infolge dessen ist Ackerland sehr reizvoll geworden. Zum einen ist es etwas Handfestes, das jetzt schon verlässliche Renditen abwirft, die zwar relativ niedrig sind, aber in den heutigen Zeiten gern genommen werden. Zum anderen eignet es sich als Spekulationsobjekt – alleine schon wegen des durch den Klimawandel zu erwartenden weltweiten Flächenschwunds steigt tendenziell sein Wert. Bereits heute werden in Brandenburg Bodenpreise verlangt, die jenseits jeglicher langfristiger landwirtschaftlicher Rentabilität liegen.

Die ostdeutsche Provinz ist mittlerweile ein Schauplatz der Weltwirtschaftskrise. Große Firmen kaufen Land und Betriebe auf und entlassen dann sehr viele Menschen, was früher oder später zu dem überwunden geglaubten Zustand führen kann, dass ganze Gegenden vom regionalen »Großgrundbesitzer« abhängig sind. Zudem investieren sie kaum in die lokale Wirtschaft und beschäftigen zum großen Teil ausländische Arbeitskräfte zu Niedrigstlöhnen. Sie interessieren sich nicht für die langfristige Entwicklung der Bodenfruchtbarkeit und andere ökologische Belange, sondern schaden mit ihren auslaugenden Monokulturen Boden und Ökosystem. In dieselbe Kategorie gehören die riesigen Mastbetriebe, die sich in den vergangenen Jahren zuhauf in Brandenburg angesiedelt haben. Dort haben sie es leichter als in Niedersachsen, wo es bereits erheblichen Widerstand gegen Großbetriebe gibt. Doch mittlerweile gibt es auch in Brandenburg Kritiker, die sich im Bündnis »Bauernhöfe statt Agrarfabriken« zusammengeschlossen haben.

Der große Boom der Brandenburger Flächen begann mit der US-Immobilienkrise. In den vergangenen sechs Jahren haben sich die durchschnittlichen Bodenpreise verdoppelt. Zwei Faktoren haben diese Entwicklung begünstigt: Zum einen das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es wurde mittlerweile modifiziert, war aber vor allem in den ersten Jahren eine staatlich garantierte Renditequelle. Weil es für Biogas festgelegte Abnahmepreise gab, schossen riesige Anlagen aus dem Boden, für deren Betrieb wiederum riesige Maisfelder nötig waren. Es gebe Anlagen, die, alleine um ihre Grundlast zu erreichen, 2 000 Hektar Maisanbaufläche brauchen, sagt Carlo Horn. Idealerweise wird Mais nicht jedes Jahr auf derselben Fläche angebaut, weil das dem Boden schadet, effektiv ist also viel mehr Fläche nötig, um so eine Anlage zu betreiben. In manchen Teilen Brandenburgs dominiert Mais die Landschaft – und solche Monokulturen sind nicht nur schlecht für den Boden, sondern dezimieren auch die Tierwelt, vor allem Insekten. Doch die Monokulturen sind viel einfacher zu verwalten und risikoärmer als ein landwirtschaftlicher Betrieb mit vielen Pflanzenkulturen oder gar Tierhaltung.
Der Faktor, der den Brandenburger Bodenrausch überhaupt erst in diesem Ausmaß ermöglicht hat, ist jedoch die Art der Privatisierung der Flächen in der ehemaligen DDR. Bis heute verkauft die bundeseigene Bodenverwertungs- und Verwaltungs-GmbH (BVVG) staatliche Acker- und Waldflächen, sie strebt dabei vor allem nach kurzfristigen Gewinnen. Bis 2025 will sie alle Flächen in ihrem Brandenburger Bestand verkauft haben, wie im Januar bekannt wurde. Noch bedeutender als die derzeitige Privatisierungspolitik, die aufgrund der Größe der jeweils ausgeschriebenen Flächen kleinen Investoren selten bis nie eine Chance lässt, wirkte aber diejenige in den neunziger Jahren auf die Konzentration der Ackerflächen. Seinerzeit wurden die DDR-Großbetriebe nicht zerschlagen, sondern von jeweils wenigen Gesellschaftern weitergeführt. Dies waren meist Per­sonen, die bereits vorher in der Leitung des Betriebs beschäftigt waren. Seither wollen immer wieder einzelne Gesellschafter ihre nun im Wert stark gestiegenen Anteile verkaufen. Da die Betriebe selbst diese aber meist nicht auszahlen können, muss ein Investor her.

Die Privatisierungspolitik von damals und heute führte also zu Konzentrationsprozessen und enormen Preissteigerungen. Seit Jahren klagen kleine Landwirte, dass sie Flächen verlieren, weil sie sich die nun verlangten Preise nicht leisten können, wenn eine Pacht ausläuft. Das Problem ist auch längst vom Landtag bemerkt worden, wo im vergangenen Herbst eine AG Bodenmarkt gebildet wurde. Das Problem in der Landespolitik ist, dass die seit dem Ende der DDR in Brandenburg dominierende SPD mit dem Bauernverband verbunden ist. So ist mit Udo Folgart ein Spitzenfunktionär des Landes- und Bundes-Bauernverbands Mitglied der SPD-Fraktion. »Der Bauernverband ist der Verband der Großbetriebe«, erklärt Horn. Dieser bestimme die Politik des seit 1990 von der SPD geführten Landwirtschaftsministeriums. Die Familienbetriebe sind mehrheitlich längst aus dem Bauernverband ausgetreten und im Bauernbund organisiert. Da die SPD den Großagrariern und Mastebtrieben so fest verbunden ist – anders als in Bundesländern, wo sie mit den Grünen regiert – setzt sie sich in Brandenburg für einen Erhalt oder eine möglichst geringe Kürzung jener EU-Subventionen ein, die pauschal und ohne Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien pro Hektar ausgeschüttet werden. So kann Agrarberater Carlo Horn jegliche kritisch wirkende Initiative im Landtag wie die AG Bodenmarkt nicht ernst nehmen. Auch die Abgeordneten der mitregierenden Linkspartei wendeten sich nicht gegen die praktizierte Landwirtschaftspolitik.
Für das Aktionsbündnis Agrarwende Berlin-Brandenburg sieht Horn allerdings ebenso wenig Chancen, etwas zu bewegen, auch wenn die Ini­tiative ambitioniert ist. In diesem ungewöhnlich breiten Bündnis, das sich im vergangenen Herbst gründete, haben sich die ökologischen Anbauverbände, der Bio-Handel, die Umweltschutzverbände BUND und Nabu, das erwähnte Bündnis »Bauernhöfe statt Agrarfabriken« und viele Organisationen aus weiteren Bereichen zusammengeschlossen. Sie wollen der herrschenden Landwirtschaftspolitik etwas entgegensetzen, gerade auch im Hinblick auf die Landtagswahl im September.