Chris Imler im Gespräch über sein erstes Soloalbum »Nervös«

»Man muss Mut aufbringen, um nicht alles mitzumachen«

Chris Imler steht seit Jahrzehnten als Musiker mit verschiedenen Bands auf der Bühne. Nun ist sein erstes Soloalbum erschienen. »Nervös« zählt zum Besten, was die Musikszene hierzulande in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Ein Gespräch über Selbstzweifel, Kompromisse und unproduktive Hibbeligkeit.

Sie sind seit 40 Jahren als Musiker aktiv. Wieso musste die Welt so lange auf Ihr Soloalbum warten?
Es gibt Leute, die in Selbstzufriedenheit schwimmen und begeistert von sich und der Welt sind. Sehen Sie sich die Musiker an auf den Bühnen und in den Fußgängerzonen dieser Welt – es dominiert das Selbstverständnis, sich alles zuzutrauen. Das kann ich von mir nicht behaupten, ich bin grundsätzlich allem gegenüber skeptisch. Mir wurde auch in keiner Waldorfschule eingebläut, wie wahnsinnig kreativ ich bin.
Hat Ihre Schulkarriere nicht eh ein jähes Ende genommen?
Ja, aber ich habe den zweiten Bildungsweg eingeschlagen, was gern verschwiegen wird, weil es sich anders besser liest: Er flog von der Schule, kann weder lesen noch schreiben, überliefert uns mündlich aber großartige Texte! Tatsächlich hat es mich früh aus dem bürgerlichen Leben geworfen. Ich habe in Augsburg angefangen, Rockmusik zu machen. Das war ­damals Teufelszeug, ein Lebensstil, den niemand unterstützen wollte, weil er von der dunklen Seite kam, alle auf Drogen schickte und die Gesellschaft gegen sich aufbrachte. Mittlerweile ist es natürlich anders. Wenn heute ein Jugendlicher sagt, dass er Punk machen will, baut ihm der Vater die Garage zum Proberaum aus. Und weil er den besten Out-of-bed-Look der Schule hat, steht er sogleich auf der nächsten Bühne. Das ist doch etwas anders bei mir. Es ist ja auch so viel Schrottmusik unterwegs, weshalb man sich fragen muss: »Soll ich auf diesen Kackhaufen noch eine Scheibe oben drauf kacken?«
Das heißt, die Selbstzweifel wachsen im Laufe der Jahre?
Vielleicht. Um dieses Album zu machen, brauchte ich Anschub von außen. Eine Mischung aus Zweifel und Bequemlichkeit hielt mich davon ab, schon früher eine Platte zu machen. Außerdem fühle ich mich von den meisten Entscheidungen, die einem so abverlangt werden, belästigt. Und ich dachte auch, es sei durchaus schick, keine Platte veröffentlicht zu haben und trotzdem fast nur im Ausland aufzutreten.
Warum haben Sie in der Vergangenheit nur wenige Konzerte in Deutschland gespielt?
In Frankreich, Belgien und Italien funktioniert es mit dem Publikum besser. Selbst wenn die Leute die Musik nicht kennen, lassen sie sich auf die Energie ein, die von der Bühne kommt. Das eröffnet Freiräume, man kann live sehr spontan sein und es drauf ankommen lassen – Dinge passieren lassen, das kann ich gut. Hierzulande muss Musik auf bestimmte Weise ­angepasst sein, sie muss besonders schlau und konzeptionell durchdacht sein.
Wobei »Nervös« streckenweise schon an die Band DAF erinnert, die durchaus ein Konzept verfolgte.
Aber habe ich jemals probiert, wie DAF zu klingen? Nein. Wenn ich mit Patric Catani zum Beispiel bei Driver & Driver singe: »Hab ich das getan? Ich weiß es nicht«, ist man in Deutschland schlagartig in der Kategorie DAF. Aber drauf geschissen.
Außerdem klingt »Nervös« deutlich schräger als DAF. Der Berliner Tagesspiegel nannte sie kürzlich »Prinz der Subkultur«. Zahlt sich der Adelstitel aus?
Tatsächlich verdiene ich schon seit langem mein Geld mit der Musik. Mal geht es gut, mal muss ich mir Geld leihen oder irgendwelche Jobs machen. Es funktioniert durch das Schlagzeugspielen …
Als Schlagzeuger waren Sie beispielsweise mit Maximilian Hecker und Peaches auf Tour.
Und manchmal bin ich an Plattenproduktionen beteiligt. Ich habe auch schon zusammen mit Patrick Catani eine Soundinstallation am ­Robert-Wilson-Institut gemacht. So schlage ich mich durch. Aber ich lutsche nie den Schwanz des Teufels!
Das heißt, auch als Schlagzeuger sind Sie nicht käuflich?
Geben Sie mir zwei Schnäpse und Sie kriegen mich. Nein, eine Hasstirade: Die Leute gehen ins Kino, nur weil sie dort Futter für ihre bekloppten Kreativjobs bekommen. Wo sind die Leute, die sich aus sinnloser Begeisterung für Dinge verschwenden, die keinen Mehrwert liefern? In der Optimierungshölle sind sie jedenfalls nicht zu finden.
Auch Musiker sind heute in einem hohen Maße optimiert. Die sitzen schon vor dem Interview in der Hotellobby und chatten mit ihren Fans. Ein gewisses Maß an Promotion und solchen Dingen muss ich allerdings auch machen, sonst funktioniert es nicht.
Teilweise müssen Sie also doch mitspielen?
Ja, aber ich habe zum Beispiel keine Website, die ich verwalten muss. Das ist doch das einzige, was man sich rausnehmen kann: Dinge einfach nicht zu tun. Und über eine gewisse Schwelle von Selbstvermarktung gehe ich nicht hinaus, ich erweitere nicht meinen Laden. Heutzutage muss man Mut aufbringen, um nicht alles mitzumachen. Früher war das Nichtstun einfach eine Möglichkeit.
Sie sprechen von einer Zeit, in der Subkulturen noch in der Lage dazu waren, etwas Eigenes zu erschaffen. Inwiefern haben sich die Bedingungen geändert?
Es kann kein Fabrikgebäude in Bottrop mehr geben, in dem sich zehn Bands treffen, die völlig eigenartige Musik machen. Alles spricht sich schnell herum, wird entsprechend vermarktet – wenigstens Hornbach macht ein Werbeangebot. Was nicht nur schlecht wäre, denn es käme ja zumindest Geld zurück.
Leider werden subkulturelle Musikphänomene in den meisten Fällen einfach ausgebeutet. Den Musikern fehlt die Zeit, ihr Material zu verfeinern, und so mancher kann es sich schlicht nicht leisten, Chancen verstreichen zu lassen. Es gibt kein Fass mehr, worin man etwas reifen lassen könnte, es wird bereits im Moststadium abgelassen. Ein wahnsinniges Bild, oder?
Und ein weiterer Grund dafür, dass Ihre Platte erst jetzt erscheint, nehme ich an.
Es braucht eine gewisse Zeit und einen Moment der Muße, sonst bleibt es meist flacher Scheiß. Ich habe auch mal gedacht, Kunst fällt einem einfach aus dem Arsch. Aber das ist natürlich Quatsch, es bedeutet Arbeit, es braucht das Zaudern und eine gewisse Grundausstattung, der Rest sind Interesse und Aneignung.
Als Musiker müssen Sie vieles aus eigenem Antrieb heraus leisten. Ist Ihre Nervosität ein Segen, weil Sie keine Probleme haben, sich zu aktivieren?
Ich bin nervös, aber ich mache nichts. Meine Nervosität zielt ins Leere. Ich bequatsche Sie in der Küche, wasche aber nicht ab. Eigentlich müsste ich ja jetzt schon an der nächsten Platte arbeiten, so macht man das heutzutage. Aber ich tue es nicht. Ich bin kein Workaholic und ich bin kein Macher. Ich hänge mit Leuten rum, wir labern und denken: »Wow, das wäre mal eine wahnsinnige Geschichte, man könnte einen ganzen Fernsehsender damit befeuern.« Aber keiner von uns würde im Traum daran denken, diese Ideen auch umzusetzen. Meine besten Freunde sind Leute, die nichts realisieren. Obwohl ich immer sage: »Macht doch mal, dass tut euch gut, es gibt auch Anerkennung von der richtigen Seite.«
Sie haben bis 2002 bei den Golden Showers gespielt, einer Band, die mittlerweile zur Legende geworden ist. Wieso gibt es so wenig Bildmaterial von Ihren Auftritten?
Die schönsten Momente meines Lebens sind nicht auf Fotos festgehalten worden. Man fand das in der Szene scheiße, natürlich auch, weil Bilder archiviert und im Zweifel gegen einen verwendet werden können. Im Live-Geschäft kann man sich diese Haltung heute nicht mehr erlauben. Ich muss inzwischen sogar dazu übergehen, meine eigenen Konzerte zu filmen, weil es nur veraltete Aufnahmen gibt, die von Zuschauern gemacht wurden. Wenn man keine Videos hat, bekommt man schwieriger ­Bookings. Man muss den Veranstaltern schon zeigen, was sie zu erwarten haben. Und da ist Understatement nicht gefragt.
Wie soll Ihre späte Karriere als Solokünstler zukünftig verlaufen?
Mir ist immer alles zu wenig. Ich habe den Eindruck, es müsste eigentlich noch viel geiler sein! Ich kann mich zwar freuen und tanzen wie der Lump am Stecken, weil es immer wieder Momente im Leben gibt, die es wert sind, abgefeiert zu werden. Aber im Grunde ist doch alles eine riesige Enttäuschung. Okay, eine Revolution wäre schön. Ich befürchte allerdings, sie würde mit 50 Jahren Verwüstung einhergehen und das würde wahrscheinlich meine noch verbleibenden Jahre versauen.

Chris Imler: Nervös (Staatsakt/Rough Trade)