Die französische Debatte über die Legalisierung

Cannabis als Seuche

Auch in Frankreich wird die prohibitive Drogenpolitik derzeit in Frage gestellt. Doch die Akademie der Medizin fordert, die »Epidemie der Cannabis-Ausbreitung« zu bekämpfen.

In Deutschland haben 122 Strafrechtsprofessoren eine neue Debatte über eine Legalisierung von Cannabis entfacht. In Frankreich fordert ein Staatsanwalt Ähnliches. Am 17. Januar befand der Strafverfolger Jean-Yves Coquillat anlässlich des Neujahrsempfangs im Gericht von Grenoble, die seit vier Jahrzehnten geltende Gesetzgebung zum Cannabis-Verbot sei »gescheitert«. Zum Missfallen der anwesenden Polizeivertreter führte er aus: »Es ist ein Misserfolg aus Sicht der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, aber auch aus Sicht der Bekämpfung von illegalen ökonomischen Strukturen, denn ein Großteil der Schattenökonomie in unseren Trabantenstädten beruht auf dem Cannabis-Handel.« Er fügte hinzu: »Hüten wir uns vor den einfachen und nie in Frage gestellten Ideen: Das ist böse, also gefährlich, also verboten.«

Coquillat vertritt im französischen Staatsapparat bislang keine mehrheitsfähige Position. Dieser wird noch immer von einem Denken beherrscht, das Repression als Allheilmittel betrachtet. Seit 1970 stehen nicht allein der Verkauf und die Weitergabe von Cannabis und Haschisch, sondern auch ihr Besitz und ihr Konsum unter Strafandrohung. Die Höchststrafe bei Eigenkonsum beträgt 3 750 Euro Geldstrafe und ein Jahr Haft.
Innerhalb der EU fällt Frankreichs Gesetzgebung überdurchschnittlich repressiv aus. Neben Schweden und Finnland ist es allein Frankreich, das gesetzlich nicht zwischen sogenannten harten und weichen Drogen unterscheidet, sondern beide demselben Strafgesetze unterstellt. Nach Angaben der Französischen Beobachtungsstelle für Drogen und Suchtphänomene (OFDT) aus dem Jahr 2012 sollen 39 Prozent der 16jährigen in Frankreich bereits mindestens einmal Cannabis geraucht haben. In den ebenfalls der Prohibition anhängenden skandinavischen Ländern seien es weniger als drei Prozent.
Staatsanwalt Coquillat hat Glück, dass er in Grenoble tätig ist. Die örtliche politische Lage ist besonders günstig dafür, dass er Gehör findet: Grenoble ist seit nunmehr einem Monat die einzige französische Großstadt mit einem grünen Bürgermeister. Dessen Partei, Europe Ecologie – Les Verts (EELV), tritt als einzige unter den bedeutenden politischen Kräften in Frankreich für eine Legalisierungspolitik ein.
Ein weiterer Streitpunkt der Cannabis-Debatte ist die Frage der Zulassung von THC-haltigen Medikamenten. Am 5. Juni 2013 hatte die amtierende Gesundheitsministerin Marisol Touraine den Verkauf solcher Arzneimittel grundsätzlich genehmigt. Ihr neues Dekret erlaubt theoretisch den Vertrieb von Medikamenten, die Cannabis-Extrakte enthalten, wie das Spray Sativex. Dieses stellt eine Erleichterung für Patienten dar, die an Multipler Sklerose leiden, einer schweren Erkrankung des Nervensystems, es soll aber nicht vor 2015 in den Apotheken erhältlich sein.

Der Straßburger Bertrand Rambaud fuhr jahrelang in die Niederlande, um sich Medikamente auf Cannabis-Basis zu besorgen. Er ist seit 30 Jahren mit dem HI-Virus und Hepatitis C infiziert, und allein solche Arzneimittel verschaffen ihm ruhigen Schlaf sowie eine ungestörte Verdauung. In der Vergangenheit erhielt er 15 verschiedene Kombitherapien zur HIV-Behandlung. Sie hinterließen starke körperliche Spuren und schädigten etwa den Magen des Patienten dauerhaft. Bert­rand Rambaud steht der Vereinigung UCFM I Care vor, der bedeutendsten französischen Initiative für die Zulassung von aus Cannabis gewonnenen Arzneimitteln.
Wegen seiner schlechten Gesundheit und seiner Müdigkeit fiel es Rambaud jedoch immer schwerer, regelmäßig in die Niederlande zu fahren. Deswegen begann er mit dem Eigenanbau von Cannabis. Zu rein medizinischen Zwecken, wie er gegenüber der Jungle World betont: »Meine Vereinigung kümmert sich allein um die medizinische Verwendung von Cannabis.« Am 2. April durchsuchte die Polizei dennoch seine Wohnung. Er wurde einen Tag lang in Polizeigewahrsam genommen, wobei ihm seine Therapie vorenthalten wurde, trotz dadurch ausgelösten schweren Erbrechens. Nun droht ihm ein Prozess wegen Besitzes von Cannabis, zu dem er am 16. Juni in Straßburg vorgeladen ist. Rambaud hofft, dass eine Verurteilung in seinem Fall zu einem Skandal führen werde.
Die Schulmedizin streitet sich währenddessen über die Gefährlichkeit von Cannabis. Die vermeintlich altehrwürdige Académie nationale de la médecine widmete am 25. März ihre turnusmäßige Sitzung dem Thema. An ihrem Ende wurde ein Kommuniqué veröffentlicht, das fordert, die Bekämpfung der »Epidemie der Cannabis-Ausbreitung« zur »nationalen Priorität« zu erheben. Die Bevölkerung im Allgemeinen, Jugend und Eltern, solle verstärkt über die Gefahren des Produkts aufgeklärt und zur Prävention angehalten werden. Hinzu kommen absurde Forderungen, wie den Verkauf von Wasserpfeifen, langen Blättchen und ähnlichen Gegenständen an Jugendliche zu untersagen. Der Arzt Didier Jayle höhnte in einer Stellungnahme über den grotesken Charakter der Forderungen. Generell fordert Jayle eine Abkehr von der Prohibitionspolitik, die ihre Unwirksamkeit unter Beweis gestellt habe, zugunsten einer »besseren Information über Konsumweisen« .
Jayles Stellungnahme zog eine wütende Replik des Arztes Jean Costentin nach sich, einer der drei Unterzeichner des akademischen Kommuniqués. Spöttisch forderte der Journalist und Mediziner Jean-Yves Nau daraufhin die Akademie der Medizin dazu auf, nun endlich klar zu sagen: »Ja oder nein, ist Cannabis Teufelswerk?« Eine Antwort auf diese Frage steht bislang noch aus.