Gemeinsam feiern!

Die Kunst des Badens in der Masse

Die Fanmeile und der CSD waren und sind Paraden der gemeinsamen Zivilität und des Feierns.

Nein, man liebt sie nicht, wenigstens nicht im deutschen Kontext: die Geselligkeit, zu der sehr viele Menschen zusammenkommen und von außen als Masse wahrgenommen werden. Linke verabscheuen die Zusammenballung von Männern und Frauen, die über Szeneastisches – als Milieu, als Szene, als Soziotop – hinausgeht. Irgendwie spukt in den Köpfen eine vulgäre Mixtur, die sich aus Halbbelesenem oder Aufgeschnapptem ergibt: Hat nicht schon Elias Canetti in seinem Buch »Masse und Macht« analysiert, dass Masse immer Faschistoides in sich trägt – und hat Klaus Theweleit ihm in dieser Hinsicht nicht sekundiert. Alles, was sich rottet, büßt, allermeist willentlich, Eigenheit ein, verliert, wie der Freiburger Kulturwissenschaftler sagen würde, seinen individuellen zugunsten eines faschistischen Körpers.
Kann man so sehen und sich künftig aus allem heraushalten, was mehr ist als eins. Reinhard Mey, der Liedermacher, hat es so beschrieben: »Bevor ich mit den Wölfen heule« – aber das war in den frühen Siebzigern gegen die Volksvermassungsphantasien der Linken gerichtet, gegen die Degenhardts, Waders und Süverkrüps, und war selbstverständlich unter Linken igittigitt. Unterm Strich nämlich, wenn man das mal so allgemein sagen darf, hat die Linke in ihren phantasmatischen Bekundungen nie besonders viel gegen die sogenannte Masse gehabt. Das Volk!, der Aufstand der Massen!, die Revolte, die sich zum revolutionären Flächenbrand ausweitet! – dieser ganze Mist aus christlich-jüdischen Heilsversprechen und seliger Aufjazzung der eigenen Minderheitlichkeit, die es so sehr ist, dass nur das Hoffen bleibt, wobei man ganz zwanglos an Ernst Bloch und sein Prinzip der Hoffnung andocken konnte.

In Italien, in Spanien, in Griechenland – da ist der Linke als solcher gern am Applaudieren, wenn es die Masse ist, die zum Protest schreitet. Nur in Deutschland bleibt die Gesellung über das Einzelne hinaus unter Verdacht – eine Riesengeschichte könnte sich ja leicht zum SA-Marsch entwickeln. Diese Phantasien – die völlig ohne Argumente geäußert werden und obendrein weitgehend empfindungsfrei funktionieren – kommen immer dann zum Vorschein, wo es so etwas gibt wie »Fanmeile« oder »CSD an der Siegessäule«. An letzterem Event wird die Kommerzialisierung kritisiert, wobei stets unerwähnt bleibt, dass der alternative, also der Transgeniale CSD erstens auch immer Umsätze mit Getränken und ähnlichem machte und insofern das schmutzige Geld eine Rolle spielte, und zweitens dass das Meckern auch immer eines war, das sich daraus speiste, als TCSD die minoritärere, also moralisch bessere Veranstaltung der sogenannten Queers zu sein. Demo bleibt Demo – und in Kreuzberg ging es beim TCSD immer auch um Sehen-und-Gesehen-Werden und ums Cruising. Aber mehr als wenige war man auch – wenn auch im Status der Auserwähltheit, weil der gewöhnliche CSD Leute mit anzog, die man nicht einmal mit der Kneifzange ins Bett ziehen würde. Bei der Fanmeile ist es nicht minder simpel: In Deutschland gibt es diese Festivitäten zum gemeinsamen Fußballgucken in organisierter Form seit der WM in der Bundesrepublik selbst, seit 2006.
Was man dort erlebte, war jedem SA-Marsch so fern wie eine andere, böse Galaxie des Gesellschaftlichen nur fern sein konnte. Dort mischte sich, was sich partout nicht entmischt sehen wollte. Multikulti made in Germany! Diese Fanmeilen waren, wenn man so will, das öffentlichste Indiz für das, was der Kulturforscher Michael Rutschky die »Mediterranisierung des Lebens« in der Bundesrepublik nennt. Die Neigung, draußen im Café zu sitzen, sich also auch zu zeigen – der Verzicht auf das Dunkle-Familiäre-Abgeschottete, das noch in den fünfziger Jahren (auch die Angst vor der Gestapo saß noch tief) so gängig war – wurde zur Lebenshaltung.

Die Fanmeile, der CSD im Monstermaßstab an der Siegessäule – das waren und sind auch Paraden der gemeinsamen Zivilität und des Feierns. Man könnte natürlich das Trinken von Bier und Prosecco kritisieren. Warum nicht? Man darf sich dann nur nicht wundern, in die Nähe von Benimmdamen und -herren, von Geschmacks- und Lebensstilpolizei gerückt zu werden.
Im Übrigen, was den vermeintlich nationalistischen Charakter von Fanmeilen anbetrifft, mögen deren Diagnostiker sich mal ins Ausland begeben. Etwa nach Russland, nach Frankreich, nach Italien: Dort kann man Ernstes, Ironieloses, Uncharmantes kennenlernen. Man feiert dort in erster und letzter Linie nur sich und seine Athletinnen und Athleten, die Gäste nur sehr selten. Nationale Gloriosität wird dort für deutsche Gemüter der Postmoderne schamlos ausgestellt. Insofern: Deutschland, Deutschland über alles – auf Fanmeilen? Deutschland, Deutschland unter anderen – könnte der Titel lauten. Gut so! Her mit den Fanmeilen im Juni, lang lebe der CSD als öffentliches Trinkgelage an sich! Schadet niemandem und knabbert an keiner Individualität.