Berlin Beatet Bestes. Folge 239.

An die Liebe

Berlin Beatet Bestes. Folge 239. Radioactivity (LP, 2013).

Zur Abwechslung möchte ich mal wieder über eine Platte schreiben, die einfach nur Spaß macht. Eine LP, die nichts will und auf der es um nichts geht, außer um Liebe. In der Popmusik ist das zwar das profanste Thema, dennoch ein sensibles, denn wer es nicht ernst damit meint, dem kauft es auch niemand ab. Wer hingegen authentisch über Liebe schreibt, hat offensichtlich ein ernstes Problem. Denn wie kann jemand ernsthaft jahrelang Liebeslieder schreiben? Ernsthaft jahrelang liebeskrank Dutzende von Songs machen, die nur von unglücklicher, enttäuschter, nicht erwiderter Liebe handeln? Da stimmt doch was nicht. Entweder lügt diese Person, weil sie in Wahrheit glücklich in einer Beziehung ist und nur auf längst vergangenes Liebesleid zurückblickt, oder sie ist völlig unfähig, eine andere Person zu lieben. In dem Fall wäre Songs zu schreiben sicher genau die falsche Therapie. Der liebesunfähige Mensch krankt ja gerade daran, dass er ständig nur mit sich selbst beschäftigt ist. Das würde durch das Songschreiben nur noch verstärkt. Lieben lernen heißt, nicht an sich zu denken.
Apropos, wer behauptet Liebe gebe es nicht, sie sei nur eine Spiegelung von Bedürfnissen oder sonstwas, ist ein trauriger, hoffnungsloser Tropf. Wer noch nicht mal an die Liebe glaubt, dem ist nicht zu helfen.
Pop-Punk klang in meinen Ohren lange wie ein Schimpfwort. Es war immer die schwächste Art von Punk. Wo es im Punk doch immer um mehr ging, von »God Save the Queen« über »Holiday in Cambodia« bis zu »Bloody Revolutions«. Pop-Punk stand hingegen für die beliebige Rockmusik der Neunziger, Backgroundmusik in Teenagerkomödien. Mit Ausnahme der Ramones und der Descendents, die den Stil begründet haben, könnte man meinetwegen 99 Prozent des Popschrottberges, der sich nach dem Ende dieser beiden Bands aufgetürmt hat, auf den Mond schießen. Nach Hause hole ich mir lieber Platten, die Charakter haben. Ich liebe nun mal absei­tige, schroffe, seltsame und lustige Musik, die nicht nur im Hintergrund durchläuft. Nur gelegentlich mache ich mal eine Ausnahme.
Radioactivity aus Texas sind eine solche Ausnahme. Kunststück, denn ich war auch schon Anhänger der Vorgängerband Marked Men, der vielleicht wichtigsten Pop-Punk-Band der Jahrtausendwende. Genauer gesagt: DIY-Pop-Punk-Band. Noch genauer: Wären die drei Typen der Band jünger und hübscher, wären sie ganz groß. In den Neunzigern wären sie sicher MTV-Punk-Stars gewesen. Vielleicht liegt die Größe von Radioctivity darin, dass sie genau wissen, dass sie keine Pop-Punk-Millionäre mehr werden. Dass sie nichts wollen, nichts neu erfinden, kein neues heißes Modeding verkaufen wollen. Und auch nicht können. Radioactivity schaffen es irgendwie, einfach nur gute, eingängige, authentische Liebeslieder zu schreiben. Ihre im Oktober vergangenen Jahres auf Dirtnap erschienene LP macht jedenfalls einfach Spaß. Und enthält noch dazu mit »Trusted You« einen Song, in dem es nur darum geht, wie toll es ist, eine bestimmte Person zu lieben.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.