Die Rehabilitation des Faschismus in Ungarn

Geschichte wird mit Macht gemacht

Die Regierung Ungarns betreibt trotz der Verkündung des Holocaust-Gedenkjahrs die Rehabilitation des Horthy-Regimes.

Eigentlich hatte Viktor Orbán den jüdischen Gemeinden sein Wort gegeben, nach den Osterferien mit ihnen einen Dialog über das umstrittene Denkmal zur Erinnerung an die deutsche Besatzung (Jungle World 11/2014) zu beginnen, das gegenüber dem Denkmal für die sowjetischen Befreier von Budapest errichtet werden soll. Doch nur zwei Tage nach der Parlamentswahl begannen die Bauarbeiten. Seither protestieren dort unga­rische Demokraten, täglich reißen sie seit dem Baubeginn den Bauzaun nieder.
Das Denkmal, mit dem Ungarn als Opfer der deutschen Besatzung verklärt werden soll, ist Teil der Mission der Regierung Orbáns, die Geschichte umzuschreiben, um das Regime des Reichverwesers Miklós Horthy von jeglicher Verantwortung für den Holocaust freizusprechen und Ungarn zum ewigen Opfer zu stilisieren. Im Ausland will die Regierung hingegen den Eindruck erwecken, 70 Jahre nach dem Massenmord die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen. So sagte Csaba Körösi, Botschafter Ungarns bei der Uno, im Januar: »Wir sind den Opfern eine Entschuldigung schuldig. Der ungarische Staat lud während des Holocausts eine große Schuld auf sich. Erstens deshalb, weil er seine eigenen Staatsbürger nicht vor dem Verderben beschützte, und zweitens deshalb, weil er den Völkermord tatkräftig unterstützte.« Doch den Namen Horthy nahm Körösi nicht in den Mund. Ministerpräsident Orbán hütet sich, zur Verantwortung des ungarischen Staates unter Horthy überhaupt etwas zu sagen.

Bereits 2012 hatte die nazistische Partei Jobbik ein Horthy-Gedenkjahr gefordert, um »die nationale Geschichtswahrnehmung endlich ins rechte Gleis zu bringen«, und die Tugenden Horthys betont, der die Revision der Grenzen des Vertrags von Trianon auf friedlichem Weg erreicht habe. Damit glauben ihre Vertreter, das Achsenbündnis rechtfertigen zu können. Eine besonders üble Rolle spielt bei der Wiederbelebung des Horthy-Kults der ehemalige ungarische Ministerpräsident Péter Boross. Er fungiert als inoffizieller Ratgeber Orbáns. Unlängst meinte er, die Regierung solle »die Deutung der Vergangenheit« in die Hand nehmen und müsse gegen die »geistige Diktatur eines kleinen Kreises von Intellektuellen« Partei ergreifen. Boross entlastete Horthy mit dem Hinweis, dass der Massenmord an den Juden erst mit dem Verlust der staatlichen Souveränität Ungarns nach dem deutschen Einmarsch am 19. März 1944 verübt worden sei. Verschwiegen wird, dass die ungarische Armee bis zum Schluss als treuer Verbündeter an der Seite der Achsenmächte kämpfte. Ohne aktive Beteiligung des ungarischen Staates wäre der Massenmord an den ungarischen Juden nicht in so kurzer Zeit möglich gewesen. Die getroffenen Maßnahmen zwecks Kennzeichnung und Enteignung waren von langer Hand vorbereitet; nur dadurch konnten mit aller bürokratischer Präzision in kürzester Frist 835 000 Personen ghettoisiert, enteignet und zum erheblichen Teil deportiert werden.
Die auf Deportation spezialisierte Gruppe Eichmann hatte höchstens 150 Mitglieder. Ihr zur Seite standen ungefähr 200 000 ungarische Beamte, Polizisten, Gendarmen und »patriotische« Freiwillige, die die Deportationen durchführten. Dies geschah schneller als von der Leitung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau erwünscht. Denn für die ungarische Führung hatte die Ermordung von Juden absolute Priorität, auch wenn die Krematorien mit dem Verbrennen der Leichen nicht nachkamen.

Schon während der ersten Orbán-Regierung von 1998 bis 2002 begann die Wiederbelebung der »christlich-nationalen« Werte der Horthy-Ära, deren Symbole wieder eingeführt wurden. Besondere Aufmerksamkeit wurde der ungarischen Gendarmerie gewidmet, die bei der Deportation der Juden 1941 und 1944 eine führende Rolle gespielt hatte. Bereits Anfang Dezember 1998 zeigte das ungarische Fernsehen eine »Dokumentation« mit dem Titel »Treu, ehrenhaft, tapfer«, die mit Hilfe von »Experten« wie dem Militärhistoriker Sándor Szakály nicht nur die Gendarmerie entlastete, sondern in der bei Rechtsextremisten üblichen Täter-Opfer-Umkehr auch die »die Gesetze einhaltenden Juden« mitverantwortlich machte. Da gleichzeitig die Errichtung eines Holocaust-Museums in Budapest beschlossen wurde, erfuhr diese Geschichtsklitterung kaum Beachtung. Doch seit Beginn der zweiten Fidesz-Regierung hat sie sich zu einem handfesten Skandal entwickelt. Denn während die Regierung versucht, ihr schlechtes Image im Ausland durch ein Holocaust-Gedenkjahr zu verbessern, ist sie sich mit Jobbik bezüglich des Horthy-Kults einig.
Szakály wurde im Januar auch zum Direktor des neuen »Geschichtsforschungsinstituts Veritas« ernannt, das laut Regierungsdekret die Aufgabe hat, »die ungarischen Regierungstraditionen in würdiger Art und Weise darzustellen« und die Ereignisse der letzten 150 Jahre »glaubwürdig und multidisziplinär zu erforschen, zu analysieren und der Öffentlichkeit zu präsentieren«, um »das Nationalbewusstsein zu stärken«. Szakály, ein gern gesehener Gast bei Veranstaltungen von Jobbik, hat sich einen Namen als Relativierer der Verbrechen des Horthy-Regimes an den Arbeitsdienstlern gemacht, deren Mehrheit waren Juden. Seine Verharmlosung der 1941 erfolgten Deportation von Juden aus Ungarn fügt sich in die Gedenkpolitik von Orbán genauso wie die Wür­digung von nazistischen Schriftstellern wie József Nyirö und Albert Wass. Ausgerechnet im Gedenkjahr ist eines von drei empfohlenen Büchern für den Geschichtsunterricht der 8. Klasse das von Ferenc Bánhegyi, der beim seit kurzem in Staatsbesitz befindlichen Verlag Apáczai seit 1996 Schulbücher mit unverhohlen nationaler Ausrichtung publiziert. Adolf Hitlers Münchner Putsch wird darin als »kühner Plan« bezeichnet, die Formulierung »Radikale Lösung der Judenfrage« ohne Anführungszeichen verwendet.