Dina Katsia und Katia Tatsi im Gespräch über die Zustände in den Gefängnissen in Griechenland

»Vielen Gefangenen fehlt das Nötigste«

Die Zustände in griechischen Gefängnissen sind sehr schlecht. Das ist selbst der Europäischen Union bekannt. So wurde der griechische Staat in den vergangenen Jahren mehrfach aufgefordert, die Haftbedingungen zu verbessern. Hungerstreiks und Klagen von Einzelpersonen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) häufen sich. Ungeachtet dessen ist bislang kaum etwas geschehen. Die Anwältinnen Dina Katsia (31) und Katia Tatsi (28) sprachen mit der Jungle World über die geplanten Haftverschärfungen und ihre Arbeit im »Rechtsobservatorium für die Einhaltung der Menschenrechte der Gefangenen«. Beide leben und arbeiten in Thessaloniki.

Warum haben Sie das »Rechtsobservatorium« gegründet?
Katsia: Unsere Initiative soll eine Lücke bei der Gefangenenbetreuung schließen. In Griechenland hatten Gefangene bisher keinen wirklichen Zugang zu einer professionellen Rechtsberatung. Sie kannten keine Rechtsanwälte und wussten nicht, an wen sie sich in Rechtsfragen wenden sollen. Nach der Verurteilung zu einer bestimmten Haftstrafe ist die normale Arbeit des Anwalts getan. Rechtliche Beratungen nach Haftantritt werden meist von den Anwälten abgelehnt. Es ist ja eine ganz andere Welt, wenn man ins Gefängnis kommt: die ganzen Anträge, zum Beispiel auf Revision und Hafturlaub, und auch, dass die Inhaftierten Rechte haben, das wurde noch vor einigen Jahren überhaupt nicht ernst genommen. Das änderte sich alles erst durch die Interaktion mit den Gefangenen. Deswegen haben wir angefangen, in diesem Bereich aktiv zu werden. Wir haben unsere Arbeit öffentlich gemacht, damit auch die Gefangenen mitbekommen, dass es solch eine Beratung gibt. Wir müssen jedoch auch darauf achten, dass manche Anwälte diese Initiative nicht als Jobbörse missbrauchen, um darüber Klienten zu finden. Aus diesem Grund gibt es nur eine Nummer, unter der die Initiative erreichbar ist. Außerdem wollten wir die Kooperation mit anderen Städten und interessierten Anwälten vorantreiben.
Tatsi: Zusätzlich soll bei Fällen, in denen die Menschenrechte verletzt werden, Öffentlichkeit geschaffen und interveniert werden. Durch die Veröffentlichung von Einzelfällen können wir auch die generell sehr schlechten Zustände in den Gefängnissen öffentlich thematisieren.
Wie genau erfahren Gefangene von Ihrer Initiative und wie können sie Sie kontaktieren?
Tatsi: Es gibt diese Nummer eines sogenannten Notfalltelefons. Es gibt ein Rotationsprinzip, jede Woche hat ein anderer Anwalt Telefondienst. Dadurch sollen auch enge persönliche Beziehungen zwischen den Gefangenen und den einzelnen Anwälten vermieden werden. Wir haben außerdem viele Flugblätter in die Gefängnisse geschickt, auf denen unsere Nummer zu finden ist. Die Gefangenen informieren sich auch untereinander und geben den Kontakt weiter.
Könnten Sie genauer erläutern, wie die Zustände in griechischen Haftanstalten sind und welche Menschenrechtsverletzungen es in diesem Zusammenhang gibt?
Katsia: Schon die Existenz von Gefängnissen und der Entzug der Bewegungsfreiheit stellt für mich eine Verletzung der Menschenrechte dar. Aber abgesehen davon gibt es weitere Missstände. Die Ernährung ist zum Beispiel sehr schlecht, viel zu wenig, nicht besonders nahrhaft und nicht mit einem Essen außerhalb des Gefängnisses zu vergleichen. Darum wenden sich viele Häftlinge an die Außenwelt, um Geld für die anstaltsinternen Supermärkte zu bekommen und ihre Lebensmittelrationen aufzustocken. Das ist natürlich bei vielen Gefangenen nicht möglich, meistens fehlt ihnen das Allernötigste, zum Beispiel Klopapier oder Binden. Wenn sie keine finanzielle Unterstützung bekommen, haben sie oft gar keinen Zugang dazu. Besonders Migranten sind davon betroffen. Sie haben oft keine Schuhe, keine Kleidung und keine Decken, weil sie keine Unterstützung von außen haben. In den Gefängnissen gibt es zwar Sozialarbeiter, die dafür zuständig sind, genau solche Menschen zu unterstützen. Doch in der Realität interessieren sich die Sozialarbeiter nicht für dieses Problem. Meistens werden die Migranten durch Mitgefangene unterstützt, die ihnen zum Beispiel etwas zu essen besorgen. Aber es gibt auch Fälle, in denen ihre Notsituation durch Mitgefangene ausgenutzt wird.
Tatsi: Außerdem sind die Gefängnisse in Griechenland überfüllt. Das bedeutet, dass in einer Zelle von 20 Quadratmetern acht bis zehn Leute leben. Im Gefängnis von Ioannina ist die Überbelegung so schlimm, dass die Gefangenen sogar auf den Korridoren schlafen müssen. Noch schlimmer ist es in den Krankenstationen. Im Athener Korydallou-Gefängniskrankenhaus kommen auf 25 Quadratmeter 19 Häftlinge und die medizinische Versorgung ist katastrophal. Grundlegende Forderungen, die die Gefangenen schon seit Jahren stellen, sind: bessere Lebensmittel, besseres Essen, und eben das Allernotwendigste zum Leben. Leider wurde darauf bis heute nicht reagiert und an den Missständen hat sich nichts geändert.
Trotz anhaltender Missstände wird seit Januar über weitere Haftverschärfungen debattiert. Worum geht es dabei und was halten Sie von der gegenwärtigen Diskussion?
Katsia: Momentan gibt es einen Gesetzesentwurf vom Justizministerium und danach wird es eine Entscheidung des Parlaments geben. Es sind vor allem haftinterne Einschränkungen in Bezug auf die Besuchszeiten. Die gesamte Kommunikation der Häftlinge wird eingeschränkt, die Wärter sollen mehr Befugnisse erhalten. Außerdem sollen Gefangene kategorisiert werden. Drei ­Kategorien zur Klassifikation von Gefangenen sollen eingeführt werden: A, B und C. In die Kategorie A fallen diejenigen, die eine Haftstrafe für Verbrechen ohne Gewaltanwendung verbüßen. In die Kategorie B fallen alle weiteren. In die Kategorie C werden Personen eingeordnet, die vom Paragraphen 187a StGB (»terroristische Vereinigung«, S. W.) betroffen sind. Aber auch Menschen, gegen die mittels Paragraph 187 StGB (»kriminelle Vereinigung«, S. W.) in Tateinheit mit Mord, Erpressung, Raub mit Waffen oder Körperverletzungen ermittelt wird, kommen für zehn Jahre in diese Kategorie. Es ist keine Verurteilung nach diesem Paragraphen nötig, allein der Verdacht reicht aus. Danach gibt es alle zwei Jahre eine Haftprüfung, ob der Gefangene aus den Sonderhaftbedingungen entlassen werden kann oder nicht. So ist es theoretisch möglich, dass einige Gefangene ihr ganzes Leben unter den Bedingungen der Kategorie C verbringen müssen.
Dann gibt es noch eine weitere Einstufung, eine Art Unterkategorie. Die betrifft Menschen, die entweder vom Staatsanwalt als gefährlich eingeschätzt werden, eine Haftstrafe von mindestens zehn Jahren verbüßen oder eines Verbrechens innerhalb des Gefängnisses beschuldigt werden. Richter und Staatsanwaltschaft können in diesen Fällen frei entscheiden, wer in die Kategorie C fällt und wer nicht. Die Entscheidung wird letztlich schriftlich, ohne Anhörung des Betroffenen gefällt. Eine Unterbringung unter den Bedingungen der Kategorie C ist hier auf vier Jahre festgelegt. Und genau diese Unterkategorie ist für uns die problematischste, da sie sehr offen gehalten ist.
Tatsi: Ich will auch noch kurz hinzufügen, dass es unter den Bedingungen der Kategorie C keinen Hafturlaub mehr und keine Haftzeitverkürzung durch das Ableisten von Arbeit gibt. Außerdem soll in Domokos ein Hochsicherheitstrakt an das bestehende Gefängnis angebaut und »Typ-C-Isolationszellen« sollen eingeführt werden. Diese Spezialzellen sollen auch in weiteren Gefängnissen eingerichtet werden.
Was kritisieren Sie noch an den neuen Regelungen?
Katsia: Das Paradoxe ist, und das spielt auch in Bezugauf den EGMR eine Rolle, dass die Menschenrechte auch im Gefängnis gewahrt werden sollen. Jeder Mensch muss wissen, welche Strafe ihn erwartet, wenn er eine Straftat begeht. Jemand, der zum Beispiel Bankraub verübt, wusste vor einigen Jahren, dass er eine bestimmte Strafe bekommt. Jetzt sieht das alles anders aus.
Tatsi: Vor der Krise hätten wir an diesem Rechtssystem viel kritisieren können. Wir kritisieren es immer noch, doch jetzt ist es auch wichtig, einige rechtliche Errungenschaften zu verteidigen und sie später auszubauen.
Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um die geplante Novelle zu kippen?
Tatsi: Auf der Demonstration in Domokos waren ca. 500 Menschen anwesend, darunter viele Linke und Familienangehörige, nicht nur anarchistische Gruppen. Aber Kundgebungen vor Gefängnissen allein werden nichts ändern. Eine öffent­liche Diskussion muss entstehen und vor allem etwas von den Gefangenen kommen. Wir leben in einer Zeit, in der unsere Rechte nicht mehr selbstverständlich sind. Wir müssen so agieren, als ob wir uns das erste Mal durchsetzen müssten und unsere Rechte wieder erkämpfen. Das gilt aber auch für andere Bereiche, etwa im Arbeitsrecht.

Eine längere Version des Interviews erscheint auf www.addn.me und https://ausserkontrolle.blogsport.de.