Eine Montagsdemonstration in Essen

Unter Aluhüten

Die Teilnehmenden der »Montagsdemos« wollen nicht in die rechte Ecke gestellt werden. Als »weder links noch rechts« empfinden sie ihr verschwörungstheoretisches Weltbild und ihre antisemitische Kapitalismuskritik. Die Querfront-Bewegung wächst, aber Linke organisieren immer häufiger Gegenproteste. Ein Bericht aus Essen.

»Wenn sie die Veranstaltung stören, werden wir gegen sie vorgehen!« droht der etwas verwirrt dreinblickende Polizeibeamte der kleinen Gruppe. Offensichtlich irritieren ihn und seine Kollegen die Kopfbedeckungen der etwa zwölf Leute, die sich an diesem Montag auf dem zentralen Kennedy-Platz in Essen an der Ruhr eingefunden haben. Sie tragen das neue Symbol der Kritik gegen die rechtsesoterischen »Montagsdemos«, den Aluhut. Der ist eine satirische Anspielung auf die verschwörungstheoretischen Elemente der »neuen Friedensbewegung«, die immer montags in verschiedenen Städten auf die Straße geht. Die Friedensbewegten beschäftigen sich unter an­derem mit den sogenannten Chemtrails – vermeintlich mit giftigen Chemikalien versetzte Flugzeug-abgase –, werfen der Familie Rothschild vor, insgeheim die Fäden aller möglichen Verschwörungen zu ziehen, und verbreiten die Behauptung, »die Medien« in Deutschland stünden auf der Gehaltsliste der USA. Unter dem Hashtag #Aluhut finden sich mittlerweile allerhand solcher Aussagen im Netz und so werden die Montagsdemonstranten spöttisch »Aluhüte« genannt.
Die neue »Friedensbewegung« macht seit einigen Monaten von sich reden. In vielen Städten Deutschlands kommen seitdem zahlreiche Verschwörungstheoretiker, braune Esoteriker und naive neu Politisierte Montag für Montag zusammen, um »für den Frieden« und »gegen die töd­liche Politik der FED« zu demonstrieren. Wer hinter dieser Bewegung steht, ist kein Geheimnis: Es sind Verschwörungstheoretiker wie Jürgen Elsässer, Moustafa Kashefi alias Ken Jebsen, An­dreas Popp und Lars Märholz.

In Essen formiert sich derweil die Kundgebung der »Friedensaktivisten«. Rund hundert Leute sind gekommen, graue Wolken hängen bedrohlich über dem Platz. Auf den ersten Blick stehen hier ganz normale Leute herum. Doch bei näherem Hinsehen fallen einige bullige Männer mit geschorenen Schädeln auf, die seltsam penetrant die Aluhut tragenden Kritiker der Veranstaltung filmen. Die Abgefilmten sind noch unschlüssig. Distanz halten oder sich annähern und das Wort ergreifen? Schließlich gibt es ein offenes Mikrophon und die Behauptung der Veranstalter, dass jede und jeder reden darf, egal worüber.
Den Anfang macht ein als Moderator fungierender schlacksiger Mittdreißiger, der die Teilnehmer begrüßt. Inzwischen ist die Gruppe der Kritiker näher gekommen. Erst mal hören, was die so zu sagen haben. Dem Mittdreißiger folgt eine junge Frau mit schwarzen Dreadlocks. Mit weit aufgerissenen Augen trägt sie allerlei Vages vor, angereichert mit Phrasen und Feel-Good-Vokabeln: Alle sollten sich doch einfach mal liebhaben. Dann gäbe es auch keinen Krieg.
Bei den Kritikern und Kritikerinnen lösen die Reden lautstarken Spott aus. Eine von ihnen stürmt aufgebracht auf die Bühne und will wissen, wer genau denn diese kleine, weltbeherrschende Elite sei, die auf den Montagsdemos immer wieder für das Übel in der Welt verantwortlich gemacht wird. Eine klare Antwort bekommt sie nicht. Ein weiterer Redner, der sich als IT-Student vorstellt, sagt: »Das ist das erste Mal, dass ich vor so einer Menschenmenge spreche.« Sofort erntet er Widerspruch von einem der Kritiker: »Ist doch Blödsinn! Genau das Gleiche hast du schon letzte Woche gesagt!« Der Student lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Auch er schwadroniert zunächst mit gespielter Naivität von seinem Traum vom Frieden, bevor er zur Sache kommt: zur »freien Energie«. Diese abstruse Theorie geht von einer unerschöpflichen Energiequelle aus, welche die fossilen und erneuerbaren Energien ersetzen könne. Die Politik solle endlich Forschungen dazu zulassen und subventionieren, fordert der Redner.
Unter den Organisatoren der Essener Montagsdemo befindet sich auch Johannes Paul, ein Mitglied der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) in Bochum. Paul kam zwei Tage nach der Essener »Friedensdemo« in die Schlagzeilen. Weil ein Antifaschist ihm beim Plakatieren vor die Füße spuckte, verfolgte Paul den Mann und bedrohte ihn mit einer täuschend echt aussehenden Gaspistole, wie das Blog Ruhrbarone berichtete. Er habe den Mann nur abschrecken wollen, erklärte Paul hinterher. Paul ist inzwischen von allen Parteiämtern zurückgetreten, seine Kandidatur für den Rat der Stadt Bochum erhält er allerdings aufrecht.

Wo denn unter den Demonstranten die Nazis seien, wollen Paul und seine Mitstreiter von den anwesenden Kritikern wissen. Es wird auf zwei Teilnehmer verwiesen, der eine im »Freiwild«-Pull­over, der andere mit einer »White Power«-Mütze. Die Querfrontstrategie gehört zum Konzept der neuen Bewegung: »Rechts, links, scheißegal«, hört man immer wieder. Eine Teilnehmerin stürmt auf die Bühne und sagt: »Mein Kumpel trägt die ›White Power‹-Mütze und der ist hundertprozent kein Nazi!« Eine Studentenzeitung lud das dabei gemachte Video nach der Veranstaltung hoch, eine Woche später hatte es bereits 40 000 Zugriffe.
Johannes Paul wendet sich an die Gruppe mit den Aluhüten. Man sei ja auch gegen Nazis, brauche aber Hilfe, um die Rechten herauszudrängen. Ein durchschaubarer Versuch, auf linke Kritiker einzugehen und sie zu neutralisieren. Während sich inzwischen verschiedene linke Gruppen von den Montagsdemos distanziert haben – von Antideutschen über die MLPD bis hin zur traditionellen Friedensbewegung –, springen andere auf den Zug auf. Der ehemalige Attac-Funktionär Pedram Shahyar hielt am Montag bei der »Mahnwache« in Berlin eine Rede. Ebenfall mit dabei ist die »Antiimperialistische Aktion«, die auf Facebook über 9 200 Likes hat. »Diese Bewegung gründete sich als direkte Reaktion zu der massiven Kriegspropaganda des deutschen Imperialismus und seiner Massenmedien«, schreibt die Gruppe in einer Erklärung. »Die Neofaschisten, die sich diesen Montagsdemonstrationen anschließen, stellen selbst eine Minderheitsposition innerhalb der NPD und anderer neofaschistischer Gruppierungen dar. Es kann deshalb keineswegs davon gesprochen werden, dass diese Leute Ini­tiatoren der Demos sind oder offen agieren können, wenn sich dort antifaschistische Kräfte einbringen und sie bekämpfen.«

Auf dem Essener Kennedy-Platz eskaliert die Situation. Nun wird von allen Seiten mehr geschrien als geredet. Die Kritiker der neuen Volksgemeinschaft werden inbrünstig ausgebuht, diese holzen nicht minder kräftig zurück. Alte Männer zeigen Werbeplakate für Ken Jebsens ­Internet-Plattform KenFM. Die Polizei kaut auf ihren Burger-King-Einkäufen herum. Eingreifen muss sie nicht.
Johannes Paul hatte der Organisatorin der Gegendemonstration im Vorfeld mit juristischen Konsequenzen gedroht. Grund dafür war der im Netz veröffentlichte Aufruf, die Montagsdemo zu stören. Er lasse sich nicht als Nazi bezeichnen, schrieb er. In dem Aufruf zur Gegenkundgebung hatte es geheißen: »Handelt es sich bei einigen der Marschierenden auch mit Sicherheit nur um Leichtgläubige, die gar nicht bemerken, dass sie plötzlich Nazis geworden sind, so ist ein Protest, der von Nazis organisiert wird, noch immer ein Naziaufmarsch.« Die sogenannte Essener Friedensbewegung verbreite »in aller Öffentlichkeit ihre falschen, erfundenen und volksverhetzenden Ansätze«. Der Aufruf zur Blockade endet mit den Worten: »Keine Sympathie für Dummheit! Keinen Fußbreit den Faschisten!«
Immer häufiger werden die Montagsdemos von Gegenprotesten begleitet. In Berlin wurden ebenfalls schon Aktivisten mit Aluhüten gesehen. Auch die Linkspartei hat sich dazu geäußert. In einer Stellungnahme schreibt sie: »Bei diesen Montagsdemonstrationen handelt es sich keineswegs um Aktionen der Friedensbewegung oder um eine sinnvolle Thematisierung sozialen Protests. Stattdessen haben wir es hier mit rechten Organisationen und Personen zu tun, die antisemitische Inhalte verbreiten, gegen Flüchtlinge und Schwule hetzen, nationalistisches Gedankengut verbreiten und verschiedensten Verschwörungstheorien anhängen (z. B. Truther, Chemtrails, Reichsdeutsche).« Davon, mit ihnen die Diskussion zu suchen, rät die Partei ab: »Wir empfehlen, solche Beiträge von Euren Facebook-Seiten zu löschen und die entsprechenden User zu blockieren. Es ist sinnlos, Diskussionen anzufangen, denn ihr stoßt auf Verschwörungstheoretiker mit hermetischem Weltbild. Macht lieber Wahlkampf oder etwas anderes Schönes, statt solchen Leuten eine Plattform zu bieten, und verschwendet nicht Eure Zeit.«
Auch Konstantin Wecker, die graue Eminenz der Friedensbewegung, greift in die Debatte ein. Auf seiner Facebook-Seite stellt er klar: »Ich will mit Nationalisten (›an allem ist Amerika schuld, Deutschland ist das Opfer … ‹) und Antisemiten (›an allem sind die Rothschilds schuld, die neu­erdings Federal Reserve Bank heißen … ‹) keine, auch keine einzige Sache, gemeinsam haben und machen.« Er sei nicht naiv, spätestens seit Edward Snowden wisse man um die Aktivitäten der Geheimdienste: »Aber dieses Geschichtsbild, wonach eine winzige Geheimgesellschaft seit Jahrhunderten alles plant und lenkt, wo es keine Widersprüche mehr gibt, sondern nur noch einen großen, geheimen Masterplan, bei dem am Ende auch noch die Schuld am Hitlerfaschismus plötzlich nicht mehr bei Deutschen, sondern bei amerikanischen und vor allem: jüdischen Illuminaten zu liegen kommt – aber das ist mir alles zu abgedreht und zuwider und das ist Geschichtsklitterung von rechts, egal wie angeblich antika­pitalistisch das daherkommt. (…) Es ist klar: wir müssen auf die Straße, für den Frieden! Aber lasst uns besser genau hinschauen, wer da alles mit welchen Parolen mitrennt. Für eine machtvolle Friedensbewegung ohne Antisemitismus!«

Abseits etablierter linker Kreise aber haben Elsässer, Jebsen, Popp und ihre Mitstreiter Erfolg. Wer erst durch die Montagsdemos politisiert wurde, fühlt sich in der Regel zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt. In Berlin ruft neuerdings ­sogar eine erfolgreiche HipHop-Veranstaltungsreihe zur Teilnahme an den Montagsdemos auf. Titel: »Jetzt erst recht. Ick lass mich nich als Nazi bezeichnen.« Die Volksgemeinschaft rückt zusammen. Und so dankt auch ein Essener Montagsdemonstrant den Antifa-Aktivisten dafür, mit ihrer Kampagne ungewollt Werbung zu machen. Die linke Szene wirkt derzeit etwas ratlos angesichts des beachtlichen Mobilisierungspotentials der Veranstalter. Auch wenn diese zuweilen mit Tricks arbeiten: Da werden schon mal Fotos der Montagsdemos gegen »Stuttgart 21« im Netz verbreitet, von denen behauptet wird, es handele sich um Aufnahmen der neuen »Friedensbewegung«. Das fällt nicht weiter auf, Fakten bedeuten den meisten Teilnehmer nicht viel.
Dennoch, die Bewegung wird größer. Ein wich­tiges Thema sind bei ihr auch die angeblich gleichgeschalteten Medien, deren Ziel es sei, die Bewegung zu spalten, ihre Teilnehmer als Nazis zu diffamieren und den Krieg zu schüren. Manche scheinen derart hoffnungslos in ihren Gedankenkonstrukten gefangen zu sein, dass sie sich als von allen Seiten attackierte, kleine tapfere Kampftruppe für eine bessere Welt sehen, Aluhut-Gallier sozusagen. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass es gerade die neue »Friedensbewegung« ist, die sich manipulieren lässt und sich recht einseitig informiert. Neben der Website KenFM fungiert das Magazin Compact von Jürgen Elsässer als Sprachrohr. Dort wird gegen Roma gehetzt (»Hilfe, die Roma kommen!«) und gegen die »Verschwulung der Familienpolitik«, auch wird die nationalsozialistische Rassenbiologie bemüht: Das »Vermischen« von Völkern sei »absolut tödlich«, liest man dort. Auf den Montags­demos wird einem das Heft immer wieder unter die Nase gehalten. Auf die Idee, als billiges Klatschvieh für den Profilneurotiker Ken Jebsen sowie als Kundschaft für den Herausgeber Elsässer missbraucht zu werden, kommt bei der vermeintlich kritischen Bewegung niemand.
Nach Abschluss der Kundgebung in Essen be­schriften einige Zurückgebliebene den weitläufigen Kennedy-Platz großflächig mit Kreide. »Peace«-Zeichen, Verschwörungssprüche und natürlich Werbung für KenFM sind zu lesen. Es wird bald regnen.