In der Debatte um Drogenlegalisierung fehlt die Analyse des Rauschs

Jenseits des Klarkommens

»Legalize it, don’t criticize it«, sang Peter Tosh. Die Legalisierung von Cannabis wird derzeit debattiert, aber auch eine Kritik des Krauts und die Erkundung des Rauschs sind nötig.

Wie es in politischen Kampagnen so vorkommt, wird auch bei den Legalisierungsbestrebungen für Cannabis über die Probleme wenig geredet, sicherlich auch, weil die Ignoranz und Penetranz der Legalisierungsgegner dafür wenig Spielraum lassen. Da sind etwa die möglichen Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen des Langzeitgebrauchs, die in Kauf genommen werden können, die davon aber nicht verschwinden. Da ist der Umstand, dass vieles, was für Cannabis gilt (Rohstoff, Kulturgeschichte, vergleichsweise geringe Risiken), für andere verbotene Heil- und Rauschmittel nicht zutrifft; dass diese Argumente in Hinblick auf die anderen Substanzen also ins Leere laufen oder sogar kontraproduktiv werden. Und schließlich, dass Cannabis, so wie alle anderen Drogen auch, keine magische Substanz ist, die einen immergleichen Gebrauchswert hat.
Cannabis war eine Zutat unter vielen in der Revolutionswelle, die Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre weite Teile der Welt erfasste. Es spielte eine prominente Rolle gerade in seinen über die Gesellschaftsordnung hinausschießenden Aspekten. In diesem Kontext erwies es sich oft als behilflich, die konkreten gesellschaftlichen Anforderungen zu umgehen und ihrer Verinnerlichung entgegenzuwirken.
Seit dem Ende dieser Revolutionswelle durch brutale Niederschlagung, trickreiche Zerstreuung, profitable Vereinnahmung und das Aufgreifen der für die Verwertungsoptimierung nützlichen Anteile der Revolte wurde Cannabis, wie die Che-Ikonen, zum Teil der Revolutionsfolklore und -beschwörung. Sein heutiges Hauptanwendungsgebiet ist der mehr oder weniger erfolgreiche Versuch, innerhalb dieser Gesellschaftsordnung klarzukommen und sich bei verschiedensten Leiden über die erlaubten medizinischen Mittel hinaus selbst zu behandeln.
Mit der fortschreitenden Verinnerlichung der alternativlos scheinenden Gesellschaftsordnung, in der nur noch halbherzig über minimal unterschiedliche Strategien zur Mehrung der nationalen Akkumulation gestritten wird, ist auch der Schutz vor den unheilvollen, überschießenden Elementen des Rauschs immer mehr zur Angelegenheit der einzelnen Menschen geworden. Die klassische Arbeit der Strafverfolgung und Pädagogik wird oftmals schlicht von der Angst übernommen, in der Konkurrenz zurück- und aus der Gesellschaft herauszufallen. Die psychedelischen und revolutionären Anteile des Cannabisrauschs sind unter diesen Umständen fast vollständig hinter die appetitanregenden und spezifisch leistungsfördernden Effekte und die medizinisch-psychotherapeutischen Wirkungen des Stoffs zurückgetreten – eine Entwicklung, die ähnlich auch bei anderen Rausch auslösenden Substanzen und Körpertechniken zu beobachten ist.

Das zeigt einmal mehr, dass der Rausch und auch seine potentiell revolutionären Anteile nicht einfach aus der Substanz, den Drogen (oder der richtigen Atemübung) abgeleitet werden können, sondern dass ihre Entfaltung hauptsächlich davon abhängt, unter welchen Umständen und mit welchem Vorhaben, welcher Erwartung, Grundstimmung und Perspektive der Rausch gesucht wird. Dieser banal klingende Gedanke kann nicht oft genug wiederholt werden, weil er immer wieder am falschen Bewusstsein abzuprallen scheint. In dieser Gesellschaft wird am Rausch vorbei starr auf die Rauschauslöser geschaut, besonders in Wissenschaft und Politik. Dass es eine Fähigkeit zum und ein Bedürfnis nach dem Rausch gibt, dass zahlreiche Rauschformen selbst heilsam sind, das geht schwer in die Köpfe. Auch in dieser Zeitung erklärte Emanuel Bergmann zuletzt nur den klassisch medizinischen Bedarf an Cannabis für substantiell: »Doch die weit über zwei Milliarden Dollar Umsatz, die in Kalifornien jedes Jahr mit Marihuana gemacht werden, lassen sich unmöglich nur mit Patienten erklären, die einen echten Bedarf haben.« (Jungle World 14/2014)
So wünschenswert es ist, dass die aus Cannabis gewonnene, bei einer Vielzahl von Erkrankungen äußerst wirksame Medizin, allen, denen sie helfen kann, ohne das Risiko einer Strafverfolgung zugänglich gemacht wird, und so sinnvoll es ist, die dahingehenden politischen Bestrebungen zu unterstützen, sollte doch nicht vergessen werden, dass es dabei nur darum geht, an den Symptomen dieser Gesellschaft und des von ihr produzierten Elends herumzudoktern.
Wie es um die Erfolgsaussichten einer Legalisierung steht, ist schwer zu sagen. Die Auseinandersetzung um sie ist so alt wie die Prohibition, immer wieder ging es hin und her, gab es Kritik, Studien, Modellversuche und Unterlaufungsstrategien. Selten war all das politisch in guten Händen – auf der Ebene von Parlament und Regierung ging und geht es vor allem um Steuern, die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie einen lukrativen Markt. Noch gelten in weiten Teilen der Welt die Gesetze, die Teil der Niederschlagung der Revolutionswelle waren, mit all ihrer implizierten Dämonisierung von Cannabis und der Leugnung seiner medizinischen Anwendungsmöglichkeiten; auch in den USA stehen die Teil-Legalisierungen gegen das bundesweite Recht.
Bereits um das Jahr 2000 schien es vielen, die Ära der Prohibition sei vorbei. Günter Amendt zog Parallelen zur vermeintlichen Kuriosität vergangener Kaffeeverbote, die aber auch erst mit der Bannung oder dem Sieg der mit ihr assoziierten revolutionären Entwicklungen abgeschafft wurden. Auch die Debatte um Cannabis tobt nicht erst seit der Ausrufung des »War on Drugs« 1971 oder der Single Convention der Uno 1961. Das Kraut war während der Alkoholprohibition in den USA über Klassengrenzen und rassistische Ausgrenzungen hinweg populär geworden, wirkte als working class medicine und verwischte soziale Unterschiede, rief eine umso heftigere rassistische Reaktion hervor und wurde schließlich aus einer illustren Sammlung schlechter Gründe verboten.

Legalisiert wird, was der nationalen Akkumulation legal mehr nützt und weniger schadet als illegal, was eventuell sogar Lasten und Kosten verringert und von dem in der Form, in der es gegenwärtig betrieben wird, keine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung ausgeht.
Nichts ändert sich durch eine Legalisierung daran, dass sich die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärft und der Zwang zum gesellschaftlichen Mitmachen wächst. Umso dringender nötig ist der Versuch, das revolutionäre Potential des Rauschs zu ergründen. Sofern genügend Augenmerk auf möglichst günstige Rahmenbedingungen gelegt wird, kann die Rausch­erkundung dabei helfen, sich das, was sich kaum jemand mehr vorstellen kann und auch gar nicht mehr vorstellen will, dennoch vorzustellen und zu erproben, und auch in anderen die Lust darauf zu wecken. Niemals sollte die Rauscherkundung dabei an die Stelle der politischen Aktion treten; im Gegenteil muss beides, wenn es nicht zu Ersatzhandlung und Selbstzweck verkommen soll, ständig aufeinander zurückwirken können. Welche Rauschformen, welche auslösenden Substanzen oder Übungen dafür am besten geeignet sind, sollte nicht einfach aus Vorbildern abgeleitet werden, die aus teilweise grundverschiedenen Bedingungen stammen, sondern muss immer wieder selbst für jede Einzelne erprobt und erkundet werden.
In vielen Fällen kann Cannabis – gerade wegen seines Wirkungsspektrums und seiner trotz der Illegalität relativ hohen Verfügbarkeit – dazu sicherlich einen direkten oder indirekten Beitrag leisten. Niemals sollte es jedoch, ebenso wenig wie andere Rauschauslöser, mit der Sache selbst verwechselt werden: dem Rausch, den jeder Mensch zuallererst selbst »macht«, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, in der aktuellen Umgebung, mit seinen Absichten und seinem Wissen.
Rauscherkundung hieße, nicht so zu tun, als gäbe es die Zwänge und Ängste nicht, sondern sich mit ihnen auseinanderzusetzen und das Potential des Rauschs zu nutzen, sie zu umgehen, sich ihnen zu entziehen und dadurch womöglich Wege zu finden und Rückzugsräume zu schaffen, um sich gegen die gesellschaftlichen Zwänge zur Wehr setzen zu können. Wichtig bleibt die Sensibilität dafür, wie verletzlich sich Menschen im entfalteten Rausch machen können, wie viel mehr Verantwortung Menschen im Rausch füreinander tragen – die Dialektik des kontrollierten Kontrollverlusts. Also nicht: keine Angst haben zu dürfen, sondern: keine Angst haben zu müssen.
Wo die Entkriminalisierung von Cannabis zur leichteren Schaffung solcher Erkundungskonstellationen beiträgt, weist sie übers bloße Klarkommen hinaus. Wenn es jedoch nur darum geht, gesund und leistungsfähig zu sein oder sich mit der eigenen Überflüssigkeit abzufinden; wenn es nur einfach bequem ist, »die Kiffer alle Rechnungen bezahlen zu lassen«, wie Stefan Frank in Konkret schrieb; wenn Cannabis vor allem zum Ertragen unerträglicher Verhältnisse dient, was es bei vielen Menschen zu tun scheint, ist der Sache der gesellschaftlichen Umwälzung wenig genützt. Sofern die noch jemanden interessiert.