Das neue Album der Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen

Sommerhits für eine bessere Welt

In ihrem Album »Alle Ampeln auf Gelb!« erzählt die Hamburger Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen von komischen Käuzen, furchtbarer Musik und einem schönen Ort mitten in der Stadt.

Mai 1968 in Hamburg: Zuerst sieht man sie nur an Wänden der Universität, aber schon bald ist die ganze Stadt mit irritierenden Slogans vollgekritzelt. Die Bürger wundern sich über Sprüche wie »Eiffe, der Bär kommt«, »Eiffe fordert Durchblick für alle« und »Eiffe will Bundeskanzler werden. Geht das?«. Ihr Urheber ist der 27jährige Peter-Ernst Eiffe, der sich der Studentenbewegung zugehörig fühlt und manchem heute als Deutschlands erster Graffitikünstler gilt. Sein Leben verläuft tragisch: 1982 flieht Eiffe aus einer psychiatrischen Klinik, drei Monate später wird in einem Moorgebiet seine Leiche gefunden. Ein kleines Denkmal setzt ihm nun die Hamburger Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen (DLDGG). Ihr neues Album hat sie mit einem Eiffe-Slogan betitelt: »Alle Ampeln auf Gelb!« Der gleichnamige Song gehört zu den vielen Höhepunkten des famosen Werks. Die aus den Überbleibseln der Band Superpunk bestehende Liga präsentiert sich in Topform. Wie schon zuvor bei Superpunk und dem DLDGG-Debüt aus dem Jahr 2012 stammen die Texte von Sänger und Gitarrist Carsten Friedrichs – und wie immer sind diese in den allermeisten Fällen großartig. »Alle Ampeln auf Gelb!« ist eine Sammlung von zehn musikalischen Kurzgeschichten, in denen es brillante Formulierungen, Anekdoten und Alltagsbeo­bachtungen zu entdecken gibt. Bislang sang Friedrichs in seinen Liedern vor allem aus der Ich-Perspektive vom Scheitern, vom Weitermachen, von den eigenen Peinlichkeiten, vom Außenseiterdasein und davon, dass man dieses verdammte Leben nicht allzu verbissen sehen sollte – und es ist zu vermuten, dass der Erzähler in den Songs in vielen Fällen mit dem Texter identisch ist. Jetzt sucht Friedrichs nach neuen Verbündeten und Geistesverwandten; in gleich drei Stücken stellt er den Hörern kauzige Typen vor. Neben Eiffe sind das Dr. Fritz Fassbender, ein von Peter Sellers in der Komödie »What’s New, Pussycat?« verkörperter Psychiater, sowie der Schauspieler und Drehbuchautor Werner Enke, der 1968 an der Seite von Uschi Glas in der Komödie »Zur Sache, Schätzchen« zu sehen war.
»Ich interessiere mich für solche schrägen Figuren, aber ein großer Masterplan steckt nicht hinter diesen Songs«, sagt Carsten Friedrichs beim Interview im Hamburger Lokal Aalhaus. »Allerdings gebe ich zu: Es hat ein bisschen was Missionarisches, wenn ich von meinen Lieblingsfilmen singe und von Personen, die mich auf irgendeine Weise faszinieren – aber das ist ja auch ganz gut. Ich möchte niemand sein, der so eine Art Geheimwissen hat. Wenn mehr Leute meinen guten Geschmack teilen würden, wäre die kulturelle Welt doch eine bessere.«
In einer besseren Welt wäre »Kennst du Werner Enke?« jedenfalls der Sommerhit des Jahres. Kinder sängen das fröhliche »Düdüdüdüdü« morgens auf dem Schulweg, abends tanzten sympathische Menschen auf Strandpartys im Sonnenuntergang zu dem treibenden Dance­floor-Filler. Wie fast jeder der zehn Songs ist auch dieser von Spielfreude und einem ansteckenden Optimismus geprägt. Anteil daran hatte die Zusammenarbeit mit Andreas Dorau, mit dem die Band Ende 2013 das Dorau-Album »Aus der Bibliothèque« einspielte. »Motiviert waren wir eh, aber irgendwie kamen wir uns diesmal auch ein bisschen geil vor, weil wir mit dem tollen Dorau die Platte aufgenommen haben«, sagt Friedrichs. »Das hat alles richtig Spaß gemacht und uns einen zusätzlichen Schub für unsere eigenen Sachen gegeben.«
Unter Innovationszwang leiden Friedrichs und seine Mitstreiter Tim Jürgens, Philip Morton Andernach, Gunther Buskies und Zwanie Jonson nicht. Dem Stil der Vorgängerplatte bleibt das gut gekleidete Quintett weitgehend treu. Komponiert haben Friedrichs und Buskies, Einflüsse von Soul, 2Tone, Beat und schraddeligem Gitarren-Pop dominieren. »Warum etwas reparieren, das nicht kaputt ist?« fragt Friedrichs nicht zu Unrecht. Die Gentlemen haben ihren eigenen, unverwechselbaren Stil aus den besten verfügbaren Vorbildern geschaffen, und sie beweisen erneut ein Gespür für wunderbare Melodien und mitreißende Refrains. Die vielfältige Instrumentierung verleiht ihren Stücken eine leicht schrullige Verspieltheit und gleichzeitig einen eindrucksvollen Sound. »Die Musik, die wir spielen, ist das, was wir mögen und was wir gut finden«, sagt Friedrichs. »Und für mich scheinen selbst feine Unterschiede immer ganz groß zu sein. Auf der letzten Platte hatten wir zum Beispiel ein paar Flöten dabei, das war neu. Die hätte ich gern wieder drauf gehabt, aber das hat sich nicht so ergeben. Diesmal haben wir dieses Rock-and-Roll-Trini-Lopez-mäßige weggelassen und ab und zu versucht, unsere Version von Disco zu spielen.«
Der John-Travolta-Anzug kann aber im Schrank gelassen werden, so richtig klingt der Disco-Einschlag eigentlich nur in »Rock-Pop National« durch, einer gut tanzbaren Abrechnung mit dem Musikgeschmack der Deutschen: »Warum tut man sich sowas bloß an/Wenn man sich Hot-Chocolate-Platten kaufen kann/Oder die Beach Boys, Greatest Hits, Volume Zwei/Für vier Euro oder sogar nur für drei« Friedrichs erklärt, was ihn hierzulande nervt: »Das Pathos von Künstlern wie Unheilig kann ich nicht ertragen. Und dann immer dieses Belehrende. Jan Delay zum Beispiel fordert in ›Dicke Kinder‹, dass Eltern auf die Ernährung ihrer Kinder achten sollen. Das finde ich so dermaßen kaputt. So etwas hat sich ja noch nicht mal Klaus Lage getraut. Woher kommt bloß immer dieses Sendungsbewusstsein? Im Vergleich dazu finde ich einen Song wie ›Atemlos‹ von Helene Fischer ganz gut. Ich würde mir die Platte nicht kaufen, aber das ist zeitgenössischer deutscher Bubblegum-Pop, bei dem die Leute gut drauf sind. Das kann ich nachvollziehen, das kann ich mir anhören. Für mich ist Helene Fischer die einäugige Königin im Königreich der Blinden.«
Die Lage am rechten Rand hat er ebenfalls im Blick: »Bands wie Böhse Onkelz oder Freiwild sind natürlich noch grauenvoller als alles andere. Die sind eklig und gefährlich. In einem Land zu leben, in dem so etwas gekauft, gehört und gut gefunden wird, ist kein schönes Gefühl.«
Das Glanzstück des neuen Albums ist der Song »Begrabt mich bei Planten un Blomen«. Carsten Friedrichs besingt in dieser balladesken Komposition seinen Lieblingsplatz, einen mitten in der Hamburger Innenstadt gelegenen Park. Eine Liebeserklärung an einen Ort zu verfassen, diese mit dem Thema Tod zu verknüpfen und dabei ohne Kitsch und Schwulst auszukommen, ist eine große Kunst. Der Song geht direkt ins Herz, und spätestens bei dem traurig-schönen Flügelhornsolo werden die Knie weich: »Weißt du noch, wo wir Cornetto Nuss aßen/Und eng umschlungen auf der Parkbank saßen/Wo die Arbeiterwohlfahrtsbutze langsam verfällt/Für mich der schönste Ort auf der Welt/Und da man ja mal sterben muss/Fasste ich heute einen Entschluss/Begrabt mich bei Planten un Blomen«. Wundervoll. Möge es noch sehr lange dauern, bis sein Wunsch in Erfüllung gehen muss.

»Alle Ampeln auf Gelb!« erscheint am 9. Mai bei Tapete Records.
Bis Ende Mai ist Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen auf Tournee.