Der Autor findet ein Buch über die Fußball-WM 1974 teils irritierend

Fußballfeldforschung: Vom Kaiser zum Zuckerhut

Bücher vor der WM in Brasilien: Kai Schiller über die WM 1974 und die Erfindung des modernen Fußballs.

Was die Fußball-WM 1974 – die erste in Deutschland und die zweite, bei der Deutschland den Titel gewann – mit der Gegenwart zu tun hat, erklärt Kay Schiller in seinem jüngsten Buch gleich zu Beginn: Die WM habe dazu beigetragen, so seine These, dass Fußball fortan als Welt­ereignis gesehen werden sollte. Zahlreiche Fakten wie der Verkaufserfolg des WM-Songs der DFB-Elf, »Fußball ist unser Leben«, der Umstand, dass 1974 mit dem Brasilianer João Havelange ein Mann das Amt des Fifa-Präsidenten antrat, der für die Kommerzialisierung des Fußballs stand (er war Sepp Blatters Vorgänger), belegen die Plausibilität dieser Einschätzung. Wie auch der Umstand, dass mit der überwiegend staatsfinanzierten Veranstaltung Gewinne gemacht wurden: 70 Millionen
D-Mark an Einnahmen standen damals 17 Millionen an Ausgaben gegenüber. Hinzu kommen kulturelle Phänomene, etwa dass Franz Beckenbauer als Kapitän der WM-Elf zur Ikone avancierte. Das geschah, ohne dass die WM – anders als die Olympischen Spiele 1972 in München – zur politischen Präsentation Deutschlands benutzt worden wäre. Schiller erhellt zudem sportpolitische Hintergründe. Etwa die Weigerung der sowjetischen Mannschaft, zum WM-Qualifikationsspiel nach Chile zu fahren und in dem Stadion anzutreten, in welchem das Regime Gegner foltern ließ. Bei der WM 1974 spielte dann Chile ausgerechnet gegen die DDR, und zwar – wieder: ausgerechnet – in West-Berlin. Oder die Information, dass Paul Breitner 1973 ein Konzert von Ton Steine Scherben ­besuchte, sich aber weigerte, der Band 10 000 D-Mark zu leihen. Ansonsten ist die Lektüre allerdings manchmal irritierend: Warum kommen, außer dem Weltmeister Niederlande, andere Nationalteams nicht vor? Obwohl doch etwa Polen ein grandioses Turnier gespielt und Haiti den Favoriten Italien ziemlich gefordert hatte? Vollends eigenartig wird es, wenn Schiller schlecht (eigentlich: gar nicht) begründet, warum der damalige Organisationschef und spätere DFB-Präsident Hermann Neuberger nicht als »rechtskonservativ« gelten könne – Neubergers offenes Paktieren mit Rechtsextremen bezeichnet er als ungeschickt.

Kay Schiller: Fußball-WM 1974. Rotbuch-Verlag, Berlin 2014, 192 Seiten, 14,95 Euro