Mehr Stress, weniger Geld: Die Hartz-IV-Gesetze sollen reformiert werden

Schlimmer geht immer

Die Bundesregierung plant eine Reform der Hartz-IV-Gesetze. Die Vorschläge, die von einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern vorgelegt wurden, werden als Abbau von Bürokratie gepriesen, dabei sehen sie vor allem härtere Sanktionen und schlechtere Bedingungen für Selbständige und Alleinerziehende vor.

Die gute Nachricht zuerst: Sollten die Pläne der schwarz-roten Bundesregierung für eine Reform der Hartz-IV-Gesetze verwirklicht werden, müssen sich Arbeitslose statt wie bisher alle sechs Monate künftig nur noch einmal im Jahr mit den Weiterbewilligungsformularen herumärgern. Das war es dann aber auch schon so ziemlich mit den Verbesserungen, die die unter dem Schlagwort »Entbürokratisierung« geplanten Änderungen für die Betroffenen mit sich bringen.
Denn bei der Reform, die bereits im November beschlossen werden und im Januar 2015 in Kraft treten soll, geht es offensichtlich in erster Linie darum, den Jobcentern die lästigen »Kunden« möglichst vom Hals zu halten: »Wir neigen in Deutschland dazu, jedem Einzelfall gerecht werden zu wollen«, meint etwa Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), und erklärt kaltschnäuzig: »Wenn wir es einfacher machen wollen, wird es sicher auch wieder etwas ungerechter werden.« Außerdem sähe die Reform »Klarstellungen« in vielen Punkten vor, die bislang immer wieder zu Widersprüchen und Klagen geführt hätten, so eine Sprecherin der BA.

Dieses Ziel ließe sich natürlich auch erreichen, indem man den Beziehern von ALG II weniger Gründe für Klagen gäbe, also vor allem: weniger Sanktionen verhängen oder gar vollständig darauf verzichten würde, aber das ist, wen überrascht es, nicht geplant. So sehen die von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeiteten Neuregelungen unter anderem vor, Hartz-IV-Empfängern, die dreimal in Folge nicht zu einem Termin erscheinen, die Leistungen vollständig zu streichen, statt wie bisher üblich stufenweise zu kürzen. »Wenn jemand den Termin dreimal ohne Grund versäumt, dann muss man davon ausgehen, dass er kein Interesse daran hat, Hilfe zu bekommen«, heißt es dazu Bild-kompatibel von der Bundesagentur.
Wer auch nur den Hauch einer Ahnung von der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat, weiß, dass genau das Gegenteil der Fall sein dürfte. Jemand, der es nicht einmal schafft, sich zu etwas aufzuraffen, von dem abhängt, ob er oder sie beispielsweise die nächste Miete zahlen kann, hat zumeist auch ansonsten größere Probleme, mit dem Alltag klarzukommen, etwa aufgrund von Sucht- oder psychischen Erkrankungen, die nicht selten durch den Druck des Amts verstärkt oder überhaupt erst verursacht werden.

Etwa drei bis fünf Millionen Personen, die Anspruch auf staatliche Unterstützung hätten, verzichten einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge sogar völlig darauf, Hartz IV zu beantragen, oft aus Scham, vor allem aber aus Angst vor der Behördenmaschinerie. Mit der Verschärfung der Schikanen dürften künftig noch mehr Menschen auf diese Weise aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden.
Dabei gäbe es gute Gründe, sich den Weg zum sogenannten Beratungsgespräch zu sparen. Wer sich alle paar Monate um acht Uhr morgens im Halbschlaf zum Jobcenter schleppt, kennt die im Durchschnitt rund zehnminütige Prozedur, die größtenteils darin besteht, dass die Sachbearbeiterin ihr Häkchen hinter dem Punkt »Situation unverändert« macht und damit ihre vorgegebene Quote erfüllt. Ginge es tatsächlich um Bürokratieabbau, läge es nahe, diese Form der »Betreuung« abzuschaffen. Die geplante Neuregelung jedoch macht einmal mehr deutlich, dass das So­zialgesetzbuch II vor allem ein Disziplinierungsinstrument ist; aber auch die Einsparungen, die sich künftig aus den Totalsanktionen ergeben werden, sind dem Gesetzgeber sicherlich nicht unwillkommen.
Weiteres Sparpotential haben die Autoren des Reformkatalogs bei der Übernahme der Wohnkosten entdeckt: Wer in eine teurere, nicht aber größere Wohnung umzieht, soll, so der Gesetzentwurf, vom Amt nur noch die bisherige Miete bezahlt bekommen. Warum das bei Mieterhöhungen offenbar nicht gelten soll, obwohl diese praktisch aufs Gleiche hinauslaufen, war nicht in Erfahrung zu bringen – aber man sollte vielleicht besser auch nicht zu laut fragen, um niemanden auf dumme Ideen zu bringen. Wenn es dann mal wieder vorne und hinten nicht reicht und deshalb das eigentlich für die Miete vorgesehene Geld für so unvernünftige Ausgaben wie Essen verprasst wird, soll es vom Jobcenter zukünftig auch keine Nachzahlungen mehr geben, mit denen bislang immerhin die eine oder andere Kündigung der Wohnung verhindert werden konnte.
Auch für Alleinerziehende bedeuten die geplanten »Vereinfachungen« vor allem mehr Überblick über ihr Konto. Derzeit erhalten sie zusätzlich zum Pro-Kopf-Regelsatz einen kleinen zusätzlichen Betrag, gestaffelt nach Anzahl der Kinder; dieser soll demnächst nur noch an diejenigen gezahlt werden, die einem Mini- oder sonstwie mies bezahlten Job nachgehen und mit Hartz IV aufstocken. Nennenswert weniger Verwaltungsaufwand dürfte das zwar nicht mit sich bringen, dafür aber die Bereitschaft der Betroffenen erhöhen, sich »in den Arbeitsmarkt eingliedern« zu lassen.

Eine andere Gruppe der Aufstocker hingegen darf künftig wohl sehen, wo sie bleibt: Selbständige und Freiberufler, die von ihrer Tätigkeit nicht leben können, sollen maximal zwei Jahre lang Unterstützung vom Staat erhalten. Das betrifft rund 125 000 Menschen – wie viele davon den Schritt in die Selbständigkeit unternommen haben, als die »Ich-AG« noch als das große neue Ding gepriesen wurde, verrät die Statistik leider nicht. »Hartz IV ist nun mal nicht dafür erfunden worden, unrentable Geschäftsmodelle dauerhaft durch die Allgemeinheit zu stützen«, sagt BA-Vorstand Heinrich Alt dazu. Denn sicherlich ist es viel besser, wenn beispielsweise eine hungerleidende Musikerin die Gitarre an den Nagel hängt und stattdessen Hamburger für einen Arbeitgeber verkauft, der zwar auch keinen existenzsichernden Lohn zahlt, sich aber darauf verlassen kann, dass der Staat sein Humankapital schon mitfinanzieren wird.
Dass die geplanten Maßnahmen den Mitarbeitern der Jobcenter nun wirklich die Arbeit erleichtern werden, ist mehr als fragwürdig, Hartz IV ist und bleibt nun einmal ein bürokratisches Monstrum. Dabei gäbe es eine simple Möglichkeit, die staatliche Unterstützung sehr viel einfacher zu regeln. Der Antrag hierfür würde auf ein Din-A-4-Blatt passen: »Hiermit beantrage ich das bedingungslose Grundeinkommen.« Dann noch Name, Adresse, Kontonummer, Datum und Unterschrift – fertig.
Da es dazu aber nicht kommen wird, sei noch angemerkt, dass auch freie Journalisten, zumal linke, üblicherweise nicht gerade zu den Großverdienern gehören. Da nicht wenige daher unter die Neuregelung für Freiberufler fallen werden, könnte Ihre liebgewonnene linke Wochenzeitschrift in Zukunft etwas dünner ausfallen. Tja, schade, war schön mit Ihnen. Aber vielleicht trifft man sich ja gelegentlich mal an der Supermarktkasse.