Ermittlungen gegen einen Schweizer Neonazi sollen eingestellt werden

Wenn Eidgenossen Feuerwerk basteln

Vor sieben Jahren ging im autonomen Kulturzentrum von Bern ein Sprengsatz hoch. Akten zeigen nun: Es gibt einen »dringend Tatverdächtigen«, aber die Schweizer Bundesanwaltschaft will das Verfahren gegen den Neonazi einstellen.

Die fremdenfeindliche Schweizerische Volkspartei (SVP) erhielt nach dem Erfolg der von ihr initiierten Volksabstimmung »gegen Masseneinwanderung« (Jungle World 8/2014) ein seltsames Lob. Der Zürcher Tages-Anzeiger schrieb im März, dass, wer sich von der größten Partei ernst genommen fühle und dank direkter Demokratie sogar der Regierung den Kurs vorgeben könne, »weniger zu Extremismus oder gar Gewalttätigkeit« neige. Deswegen gebe es in der Schweiz auch keine »rechtsterroristischen Döner-Morde« wie in Deutschland. Dass weder die Regierungsbeteiligung von Rechtspopulisten noch eine im Vergleich zu Nachbarländern kleine Neonaziszene rechte Gewalttaten ausschließen, zeigt jedoch exemplarisch ein Ermittlungsverfahren der Schweizerischen Bundesanwaltschaft.
Rückblick: Es ist Samstag, der 4. August 2007, spät abends. Im autonomen Kulturzentrum »Reitschule« in der Schweizer Bundesstadt Bern findet ein Antifafestival mit etwa 1 500 Besucherinnen und Besuchern statt. Im Publikum liegt ein nach Benzin riechender herrenloser Rucksack. Ein Sicherheitszuständiger bringt ihn ins Freie, schaut hinein und gewahrt, dass er vermutlich einen Sprengsatz vor sich hat. Wenige Minuten bevor die Bombe hochgeht, bringt er sich in Sicherheit.
Ein Zeitzünder, der aus einem Reisewecker, einer Batterie und einer »selbstgefertigten Elektronik« besteht, zündet eine »klassische Rohrbombe«, eine mit Pulver aus Feuerwerkskörpern gefüllte Plastikröhre. Die Splitter reißen drei mit Benzin gefüllte 1,5-Liter-PET-Flaschen auf, was zu einer »schlagartigen Verteilung des Benzins und einer Verwirbelung mit der sauerstoffhaltigen Umgebungsluft« führt. Dieses Gemisch entzündet sich sofort. So jedenfalls erklären es polizeiwissenschaftliche Berichte später. Augenzeugen sprechen von einem Feuerball von drei bis fünf Metern Höhe und mehreren Metern Durchmesser. Nicht auszudenken, was dieser Feuerball inmitten der Konzertbesucher angerichtet hätte.

Eineinhalb Jahre nach dem Anschlag stellt K. S., ein damals 21jähriger Mann aus dem Kanton Bern, bei der Polizei ein Gesuch auf einen Waffenerwerbsschein. Er ist vorbestraft und bewegt sich laut Akten in »rechtsextremen Kreisen«. Das Gesuch wird daher abgelehnt, stattdessen gibt es eine Hausdurchsuchung. Das Waffenarsenal, das die Polizisten finden, ist beeindruckend: zwei Langgewehre, vier Karabiner, eine Kalaschnikow AK-47, ein Sturmgewehr 57, eine Pump-Action, vier Pistolen, Nahkampfwaffen und Zubehör aller Art. Die Polizei findet zudem »diverse pyrotechnische Sprengkörper«, einen Behälter, der laut Aufschrift Ammoniumnitrat enthält, das zur Herstellung von Sprengstoff dienen kann, sowie »diverses elektronisches Zubehör«.
Von K. S. wird eine DNA-Probe genommen. Sie stimmt mit DNA-Spuren überein, die an drei Stellen der Überreste des detonierten Sprengsatzes gefunden worden waren.
Antifagruppen hatten K. S. schon früh der Tatbeteiligung verdächtigt. Er habe nämlich am Tag nach dem Anschlag und noch bevor die Medien darüber berichteten im Internetforum des in Deutschland verbotenen internationalen Neonazinetzwerks »Blood & Honour« eine Medienmitteilung des Antifafestivals verlinkt und Freude über den Anschlag ausgedrückt. Dort schrieb K. S. als »Eidgenosse88« zahlreiche Beiträge, bis es 2008 von Antifaschisten gehackt wurde. Im Januar 2007 fragte er etwa in Bezug auf die »Anarchietage« im zürcherischen Winterthur: »Wer kommt mit ne Bombe legen?« Auf Fotos inszenierte sich K. S. mit Waffen und rechtsextremen Symbolen. Besonders auffällig ist dabei seine Vorliebe für T-Shirts von »Combat 18«, dem terroristischen Arm von »Blood & Honour«, der in den neunziger Jahren in Großbritannien mit Todeslisten, Bombenattentaten und Morden auf sich aufmerksam machte.
K. S. hat an verschiedenen Neonaziaufmärschen teilgenommen. Vorbestraft ist er wegen Rassendiskriminierung und einer Tätlichkeit. Ein undatiertes Foto zeigt K. S. mit dem Berner Oberländer Jonas Schneeberger. Dieser soll die »Weisse Wölfe Terrorcrew« in Deutschland mitbegründet haben. Gegen deren mutmaßlichen terroristischen Arm namens »Werwolf-Kommando« gab es 2013 europaweite Polizeirazzien – auch in der Schweiz. Schweizer Rechtsextremisten machen in jüngerer Vergangenheit am ehesten noch mit ihren internationalen Kontakten von sich Reden, Mobilisierungen im Inland verlaufen schleppend.

Die Berner Behörden beginnen mit der »Operation Feuerball«, wie sie die Ermittlungen nennen. Das bei den Hausdurchsuchungen beschlagnahmte Material enthalte »alle nötigen Komponenten, welche zur Herstellung einer Unkonventionellen Spreng- und/oder Brandvorrichtung (USBV) nötig sind«. Zudem gebe es »Hinweise auf konkrete materialtechnische Zusammenhänge zum Anschlagsversuch bei der Reitschule«.
Als K. S., der nie in Untersuchungshaft kam, zum ersten Mal gefragt wird, ob er etwas mit dem Anschlag zu tun habe, antwortet er: »Dazu will ich im Moment nichts sagen.«
Dass von mehreren Tätern ausgegangen werden muss, ist schon längere Zeit klar. An einem Klebeband, das den Sprengsatz zusammengehalten hatte, findet sich etwa ein Fragment eines Handballenabdrucks, das nicht von K. S. stammt.
Die Berner Behörden übergaben den Fall im Februar 2012 der für Sprengstoffdelikte zuständigen Bundesanwaltschaft. Sie befragte infolge einer Mobilfunküberwachung zwei Männer und zwei Frauen. Alle verweigerten die Aussage. DNA-Proben wurden zwar genommen, aber nach der ­Intervention eines Anwalts nicht ausgewertet – während sonst in der Schweiz etwa Proben von Menschen, die ohne Fahrschein erwischt wurden, bedenkenlos mit der DNA-Datenbank abgeglichen werden.

Im Januar 2013 verkündete die Bundesanwaltschaft überraschend, das Verfahren einstellen zu wollen. Lediglich für Verstöße gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz soll K. S. eine Geldstrafe zahlen müssen. Erst ein Jahr später legte sei die angekündigte »Einstellungsverfügung« vor. Bezüglich der DNA-Spuren sei nicht geklärt, wann und wie der Kontakt mit den Gegenständen im Rucksack stattgefunden habe, weil K. S. keine Aussage gemacht habe. Bei den Sprengstoffen habe es K. S. nicht nachgewiesen werden können, dass er etwas anderes als Feuerwerksbasteleien im privaten Bereich getätigt habe. Bei den Elektrobauteilen hätten die »materialanalytischen Untersuchungen« im Vergleich zwischen den beim Anschlag benutzten und den beim Verdächtigen beschlagnahmten Leiterplatinen zwar »keine nennenswerten Unterschiede« gezeigt, »es konnte aber auch nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass diese vom selben Ursprung sind«. Und bezüglich der Platzierung des Sprengsatzes heißt es, es habe keine Person ausfindig gemacht werden können, die K. S. mit dem Rucksack bei der Reitschule gesehen habe.
Matthias Zurbrügg, Vertreter der Privatklägerinnen und -kläger, weist in seiner Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung darauf hin, dass in der Voruntersuchung das Prinzip »in dubio pro duriore« gelte, dass es im Zweifel also zu einer Gerichtsverhandlung kommen soll. Erst das Gericht entscheidet dann im Zweifel für den Angeklagten. Alle Indizien zusammen würden jedoch »keinen Zweifel« an der Beteiligung von K. S. am Anschlag zulassen.
Mit einem Entscheid des Bundesstrafgerichts ist in den nächsten Wochen zu rechnen.

Der Autor ist Redakteur der Schweizer Wochenzeitung »WOZ«.