Eine Ausstellung über David Bowie in Berlin

Heroes mit Henna im Haar

Die internationale Ausstellung »David Bowie« gastiert im Martin-Gropius-Bau in Berlin.

Das Thema Suizid spielt eine gewisse Rolle im Leben von David Bowie. »In unserer Familie haben sich viele umgebracht. Ich hatte immer das Gefühl, dass diese ›Tradition‹ einen Bogen um mich gemacht hat«, kommentiert Bowie einmal seine Biographie. Der Vorstadtjunge David Robert Jones, der sich später David Bowie nennt, findet einen anderen Weg, mit dem Morbiden und Düsteren umzugehen, als seine Tanten und sein Halbruder Terry, die sich das Leben genommen haben. »Meine Todessprünge sind eher metaphysischer Art«, sagt Bowie, der seine Bühnenfigur Ziggy Stardust öffentlich im Juli 1973 sterben lässt. »Rock ’n’ Roll Suicide« nennt er das Spektakel im Londoner Hammersmith Odeon.
Aber vorher muss der Junge erstmal herausfinden, dass es außerhalb der Stansfield Road im Londoner Stadtteil Brixton, wo er in den fünfziger Jahren aufwächst, eine andere, aufregende Szene gibt. Die kommt damals vor allem aus den USA, wird Rock ’n’ Roll genannt und zu ihren von Bowie verehrten Heroen gehören Little Richard und Elvis Presley. Diese beiden Musiker versetzen viele in Begeisterung und bringen nicht wenige auf die Palme. Bowie inspirieren sie dazu, selbst Musiker zu werden. Anfang der sechziger Jahre informiert der 16jährige seine Eltern über seine Absicht, Popstar zu werden.
Es folgen zehn Jahre des wilden, hastigen, unwirschen Herumprobierens. Bowie steigt in Folk- und Blues-Bands ein, um sie nach ein paar Wochen wieder zu verlassen und bei der nächsten mitzumachen. Er lernt, wie viel Arbeit Zusammenarbeit machen kann. In dieser Zeit zehrt er weniger von Geld als von seinem Selbstbewusstsein. Er ist talentiert und angefixt von dem Traum, berühmt zu werden. Manchmal zu beharrlich. Einmal streitet er sich mit einem seiner besten Freunde um ein Mädchen. Es kommt zu einer Prügelei, in deren Verlauf Bowie auch einen Schlag ins Gesicht bekommt und eine Augenverletzung davonträgt. Seine Netzhaut verändert sich, so dass er von nun an zwei verschiedenfarbige Augen hat.
Er schreibt Songs, veröffentlicht erste Singles und ein Album. Bowie überlegt, sich ganz aufs Songschreiben zu verlegen und andere seine Lieder singen zu lassen. Er bekommt den Auftrag, auf Basis der Komposition »Comme d’habitude« einen Text für Frank Sinatra zu verfassen. Bowie liefert, aber Sinatra bevorzugt ein Konkurrenzangebot. Mit Paul Ankas Text »My Way« wird aus dem Song ein Welthit für Sinatra. Bowie entscheidet sich, seine Lieder in Zukunft nur noch für sich selbst zu schrei­ben. Ein paar Tage, bevor Menschen auf dem Mond landen, kommt »Space Oddity« (1969) heraus. Das Stück erzählt von Major Tom, der ganz entspannt und ruhig den Kontakt zur Erde abbricht.
Bowie lernt 1970 seine spätere erste Ehefrau Angela kennen, und zusammen drehen sie richtig auf. Er trägt lange Haare und noch längere Kleider, drapiert sich so auf einem Sofa und lässt sich für ein Plattencover fotografieren. Seine Inszenierungen erinnern an Diven wie Lauren Bacall. Angie bevorzugt dagegen aufgekrempelte Jeans, Stiefel und T-Shirts, also eher toughe, männliche Looks. Wenn das Paar den Kinderwagen mit Sohn Zowie eine Straße herunterschiebt, wissen Passanten nicht, ob sie sich fürchten oder bloß weggucken sollen. Bowie ist einer der ersten Künstler, die sich als bisexuell outen. Seine Androgynität setzt er glamourös in Szene, auch wenn er sein Gaysein später dementieren wird. Mit Angela besucht er die Diskothek, in der er Freddie Burretti kennenlernt. Burretti wird für Bowie in den nächsten Jahren vom Anzug bis zum Phantasie-Prinzenkostüm etliche Bühnenkostüme designen. Dieser will sich revanchieren, indem er seinem neuen Kumpel ein Bühnenprogramm komponiert und textet. Doch Burretti findet Kostümbildnerei interessant genug.
Bowie findet Gefallen daran, exzentrische Kunstfiguren wie Major Tom zu erfinden, maßgeschneiderte Rollen, in die er hineinschlüpft. Eine seiner wichtigsten Figuren wird Ziggy Stardust, der Mann, der Liebe mit seinem Ego macht. Dann ist da Aladdin Sane (lies: a lad insane), der verrückte, tolle Kerl mit dem farbigen Blitz im Gesicht. Die Idee hat Bowie aus einem Modemagazin geklaut, wo er ein grell geschminktes Fotomodell von Yamamoto entdeckt hat. Außerdem gibt es noch den dünnen, weißen Herzog, der Dart-Pfeile in die Augen von Verliebten schießt.
»Star« ist ein Schlüselbegriff im Kosmos von Bowie. In »The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars« (1972) taucht es genauso auf wie in den Songtiteln des Albums. Er steht für mehr als nur für die Sehnsucht nach Hollywood, es geht nicht nur darum, zu glänzen und besonders zu sein. Dieser Star gibt seinen Fans ein Gefühl dafür, was man mit seiner Zeit anfangen kann. Diese Zeit sind die Siebziger. Die aufwühlenden sechziger Jahre sind vorbei, man hat viel gewollt und nicht alles erreicht und will wissen, was man jetzt mit diesen siebziger Jahren anstellen kann.
Der geschminkte Riss im Gesicht des Aladdin Sane wird sich bald durch die ganze Person ziehen. Bowie trennt sich erstmal von seiner Band, den Spiders from Mars, färbt seine Haare von Hennarot auf Blond, tritt als hochnervöser Landadeliger mit Spazierstock auf und gibt verhuschte Interviews. Er macht mit »Young Americans« erst eine prätentiöse, lebensfrohe Platte; bald darauf folgt »Low«, ein bedrohliches, abgründiges Werk, das der Plattenfirma einen solchen Schock versetzt, dass sie zunächst keine Veröffentlichung wagt. Etwa gleichzeitig setzt sich Bowie auf eine Diät aus Paprika und Kokain. Als er für ein Foto den Arm ausstreckt, um jemanden zu grüßen, fotografiert das jemand so, dass es wirkt, als wäre es der Hitlergruß. Bowie wirkt überarbeitet und nimmt zu viele Drogen.
Er geht nach Berlin, nimmt noch mehr Kokain und arbeitet so viel wie nie zuvor. Er geht ins Brücke-Museum und liest Berlin-Romane von Christopher Isherwood. Er entdeckt auf einem Album von Neu!, einer der interessantesten Krautrock-Bands, ein Stück mit dem Titel »Hero«. Das Wort geht ihm und seinem Produzenten Brian Eno nicht mehr aus dem Kopf. »Heroes« wird der Titel des nächsten Albums und des gleichnamigen Songs über ein Paar, das sich an der Berliner Mauer küsst, während die Gewehrkugeln der Grenzsoldaten über sie hinwegpfeifen – auf verlorenem Posten gegen die ganze Welt. Ein sterbensschönes Bild.
1977 erscheinen aber nicht nur »Low« und »Heroes«. Bowie schreibt und produziert außerdem zusammen mit Iggy Pop, der wie Bowie nach Berlin-Schöneberg gezogen ist, »The Idiot« und »Lust for Life«. In nur einem Jahr bringt es Bowie auf vier Veröffentlichungen. Möglich, dass ihm Berlin fast zu gut tut. Denn als er die Stadt wieder verlässt, unruhig wie eh und je, passiert etwas mit ihm. Er erinnert sich an früher, schließt einen Kreis. Dazu legt er bei »Ashes to Ashes«, einem Lied von »Scary Monsters«, noch einmal dem Major Tom die Worte in den Mund. Er habe inzwischen keine Haare mehr, sagt Major Tom, sei aber glücklich und hoffe, dass auch alle anderen glücklich sind. Im Video ist Bowie ein Harlekin, der einer älteren Dame über die Straße hilft. Er wirkt wie eine Figur aus einem Fellini-Film, wie jemand, der sich auf seltsame Sperenzchen einlässt, in der Hoffnung, es könne etwas neues Interessantes dabei entstehen.
Die Ausstellung »David Bowie« konzentriert sich auf die Zeitspanne von 1969 bis 1980. Sie war zuerst im Victoria & Albert Museum in London zu sehen und wird nun in Berlin gezeigt, ergänzt um 60 Exponate, die Bowies Berliner Jahre 1976 bis 1978 berücksichtigen. Natürlich sind auch die Burrettis und Yamamotos dabei. Dazu Kladden mit Entwürfen. Der Audio Guide erkennt, in welcher Sektion sich der Ausstellungsbesucher befindet und gibt die dazu passende Erklärung und Musik zu hören. Es ist ein Spaziergang durch das Labyrinth des David Bowie und seiner Stadt. Es gibt Leute, die behaupten, Berlin sei niemals besser, aufregender und spezieller gewesen als in den Bowie-Jahren, und Bowie sei nie produktiver, größer und charismatischer gewesen als in seiner Berliner Zeit. Es lohnt auf jeden Fall, sich diese Ausstellung anzusehen. Auch wenn in der perfekt gemachten multimedialen Show das Gefühl für die Kaputtheit der Mauerstadt und die Übergeschnapptheit des Künstlers irgendwo zwischen den Set-Designs und Vitrinen verloren geht.

David Bowie. Martin-Gropius-Bau, Berlin. Vom 20.Mai bis 10. August