Abschiebungen in die Balkan-Länder werden einfacher

Bleibt, wo ihr seid

Das Bundeskabinett hat beschlossen, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als »sichere Herkunftsländer« einzustufen. Damit soll eine schnellere Abschiebung von Asylbewerbern ermöglicht werden.

In einem ostbosnischen Dorf unweit von Tuzla bestreitet Nazif Mujić seinen bescheidenen Lebensunterhalt damit, dass er Schrott sammelt, um darin enthaltenes Metall an Rohstoffhändler zu verkaufen. Senada Alimanović, die Mutter seiner beiden Kinder, hat einen abgestorbenen Fötus im Bauch, aber im Krankenhaus von Tuzla verweigert man ihr die Behandlung, weil kein Geld für die Operation da ist. Erst durch einen Versicherungsbetrug erhält Senada Alimanović die lebensrettende Operation. Das Fazit dieser Geschichte lautet: Auf ehrlichem Weg können Roma in Bosnien nicht überleben.

»Aus dem Leben eines Schrottsammlers« ist ein halbdokumentarischer Film des Regisseurs und Oscar-Preisträgers Danis Tanovič. Senada Ali­manović, Nazif Mujić und ihre beiden Kinder spielen sich selbst. Dafür erhielt Mujić bei der Berlinale 2013 den Silbernen Bären, doch der Ruhm währte kurz. Nach seiner Rückkehr konnte er wegen eines Bandscheibenvorfalls und einer Diabeteserkrankung seiner Arbeit nicht mehr nachgehen. Vergangenen November kamen Ali­manović und Mujić wieder nach Berlin, diesmal als Asylbewerber. Ihr Antrag wurde abgelehnt, wie fast alle Asylanträge aus Bosnien-Herzegowina. Nur weil eines ihrer Kinder unter sechs Jahre alt war, erhielt die Familie ein sogenanntes Winterasyl.
Die Proteste gegen Asylbewerberheime und die Debatte über sogenannte Armutseinwanderung aus Osteuropa wirken sich nun auf das Asylrecht aus. Durch einen von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) eingebrachten Gesetzentwurf sollen Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als »sichere Herkunftsländer« eingestuft werden. Ziel des Gesetzes ist es, Asylanträge aus den drei Balkanstaaten in Zukunft schneller, und somit ohne angemessene Prüfung, ablehnen zu können. Das Bundeskabinett hat dem Entwurf bereits zugestimmt. Für die Antragsteller bedeutet dies, dass sie nach der Ablehnung ihres Asylantrags nur eine Woche Zeit haben, eine Klage dagegen einzureichen, welche jedoch keine aufschiebende Wirkung hat. Im Gesetzentwurf heißt es: »Deutschland wird dadurch als Zielland für Antragsteller, die aus nicht asylrelevanten Motiven Asylanträge stellen, weniger attraktiv.« De Maizière betont: »Die Zahlen rechtfertigen und verlangen nach dieser Lösung.« Im ersten Quartal dieses Jahres wurden 5 289 Asylanträge aus Serbien gestellt, das damit nach Syrien das zweithäufigste Herkunftsland von Antragstellern ist. 2 276 Anträge kamen aus Mazedonien und 1 919 aus Bosnien und Herzegowina, die sich damit auf Rang fünf und sechs der Herkunftsländer befinden.
Die sogenannte Gesamtschutzquote, also die An­erkennungsrate von Asylanträgen, liegt bei Anträgen aus diesen drei Ländern bei unter 0,5 Prozent. Das ist nicht zwangsläufig darauf zurückzuführen, dass die Asylanträge nach deutschem Recht abgelehnt werden müssen, sondern auch darauf, dass die Behörden dazu übergegangen sind, Asylanträge aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien pauschal als unberechtigt abzustempeln. In Belgien und der Schweiz liegt die Schutzquote bei Asylanträgen aus diesen Staaten immerhin bei über zehn Prozent.
Solange sich extreme Armut auf der Kinoleinwand oder in den gefühlt weit entfernten Staaten des Balkans abspielt, zeigt das deutsche Publikum Anteilnahme. »Armutseinwanderung aus Südosteuropa« indes soll möglichst unterbunden werden und als Armutseinwanderer gelten hierzulande vor allem Roma. Die Bundesregierung argumentiert, es gebe in diesen Staaten keine Verfolgung von Minderheiten, Folter, willkürliche Gewalt oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Anträge auf Asyl würden ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen gestellt. Zutreffend ist lediglich, dass die Verfolgung nicht direkt vom Staat ausgeht, eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bleibt den meisten Roma jedoch verwehrt. Mangelnder Zugang zu sauberem Trinkwasser, Bildung, Arbeitsmarkt und medizinischer Versorgung sowie Diskriminierung stellen je für sich noch keine Verfolgung dar, können aber in Kombination durchaus die Kriterien einer Verfolgung nach Artikel 9 der EU-Qualifikationsrichtlinie erfüllen. Schon derzeit wird das bei Anträgen aus den drei Staaten nur unzureichend geprüft, in Zukunft soll es gar nicht mehr geschehen.

Der Verein Pro Asyl kritisiert den Gesetzentwurf, in einem Rechtsgutachten wird darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung die Situation in den einzelnen Staaten nicht ausreichend geprüft habe. Vor allem fehle »eine sachbezogene Prüfung der Situation in den bezeichneten Ländern anhand der verfassungsrechtlichen Kriterien«. Menschenrechtsorganisationen weisen auf die menschenunwürdigen Lebensbedingungen von Roma, Ashkali, Balkan-Ägyptern, aber auch sexuellen und anderen Minderheiten in den drei Balkanländern hin. Erst im November 2013 kam es im Belgrader Stadtteil Zemun zu Ausschreitungen, bei denen etwa 200 Personen Parolen grölend wie »Schlachtet sie ab, bringt sie um, damit kein Zigeuner übrig bleibt«, durch die Straßen zogen. Die serbische Polizei greift oft spät oder überhaupt nicht ein oder sie sympathisiert mit den antiziganistischen Gewalttätern. Serbische Roma-Vertreter betonen zudem, dass Gewalt oft von der Polizei ausgehe.
Unweit des Zentrums der mazedonischen Haupt­stadt Skopje befindet sich das Viertel Šuto Orizari, von den Bewohnern nur Šutka genannt, der wohl größte Roma-Slum der Welt. Die Lebensbedienungen sind auch für mazedonische Verhältnisse erbärmlich, viele Bewohner leben vom Müllsammeln, womit sie etwa 20 Euro in der Woche verdienen können – wenn es gut läuft. Roma haben in Mazedonien eine Lebenserwartung, die zehn Jahre unter der der Gesamtbevölkerung liegt, die Kindersterblichkeit ist bei ihnen doppelt so hoch. In Bosnien-Herzegowina wird Roma und Angehörigen anderer Minderheiten das passive Wahlrecht verwehrt, da die Parlamentssitze nach ethnischem Proporz zwischen Bosniaken, Kroaten und Serben verteilt werden. Eine von der United States Agency for International Development herausgegeben »Karte der Menschenrechte« zeigt, dass nur wenige Kinder der Roma die Schule besuchen. Viele erhalten keine Sozialhilfe oder sonstige Leistungen, weil sie nicht gemeldet sind.
Edita Avdibegović, Anwältin eines Vereins, der in Bosnien und Herzegowina kostenlose Rechtsberatungen anbietet und vor allem Roma unterstützt, sagt: »Die Menschen hier wissen natürlich, dass sie in Deutschland kein Asyl bekommen werden. Sie gehen dorthin, um wenigstens für eine kurze Zeit eine Heizung, ein Dach über dem Kopf und etwas zu Essen zu bekommen. Viele versuchen so, irgendwie über den Winter zu kommen.«

Die EU hatte im Dezember 2009 den Visumzwang für Serbien, Mazedonien und Montenegro aufgehoben, ein Jahr darauf folgten Albanien und Bosnien-Herzegowina. Seitdem dürfen sich Bürger dieser Länder legal bis zu drei Monate in den Staaten des Schengen-Raums aufhalten. Die Balkanstaaten bemühen sich im Zuge der Beitrittsverhandlungen mit der EU, die Anzahl der Asylantragssteller zu verringern. An den Flughäfen der Region kommen täglich Menschen an, die aus der EU abgeschoben wurden. Am Flughafen von Sarajevo pöbelt eine Angestellte der Passkontrolle: »Wenn die weiterhin alle versuchen, illegal in die EU auszuwandern, dann lassen die uns normale Bürger doch auch nicht mehr rein.« Solche Stimmen hört man oft. Stimmen, die sich dafür aussprechen, die Lebenssituation von Roma in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens so zu gestalten, dass sie ein menschenwürdiges Leben führen können, vernimmt man hingegen selten.