Der Umgang der Arbeitsagentur mit Flüchtlingen in Hamburg

Hamburg, keine Perle

Während in einem noblen Hamburger Stadtteil gegen die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft protestiert wird, versucht die örtliche Arbeitsagentur, Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Allerdings nicht aus humanitären Gründen.

Das Tor zur Welt ist nicht für alle offen. Seit Ende vorigen Jahres bekannt wurde, dass im Hamburger Stadtteil Harvestehude das ehemalige Kreiswehrersatzamt zu einer Unterkunft für Flüchtlinge umgebaut werden soll, regt sich gutbürgerlicher Widerstand. Die Stadt Hamburg plant, in dem Gebäude für die kommenden zehn Jahre insgesamt 23 Wohnungen mit zwei bis acht Zimmern für maximal 220 Bewohner einzurichten. Hauptsächlich sollen darin Familien untergebracht werden.

Unterkünfte für Flüchtlinge werden in Hamburg dringend benötigt. Die dortige Innenbehörde rechnet in diesem Jahr mit 4 600 Anträgen auf Asyl, im Vergleich zum Vorjahr wäre das eine Steigerung um 28 Prozent. Angesichts der schon derzeit stark begrenzten Kapazitäten in Hamburg ist das keine leichte Aufgabe. Die Zentrale Erstaufnahme an der Sportallee ist mit 427 Menschen bereits überfüllt, weshalb in der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im mecklenburg-vorpommerischen Nostorf/Horst weitere Plätze für die Hansestadt bereitgehalten werden. In Hamburg planen die Behörden zusätzliche Containerdörfer und Schlafplätze, damit Asylbewerber nicht mehr in Zelten und Schlafsälen leben müssen. So wurden bisher im Stadtteil Bahrenfeld 688 Plätze in Wohncontainern geschaffen, zum Teil auf einem Areal, das in den Sommermonaten von der Roma und Cinti Union e. V. als Durchreiseplatz für ihre Wohnwagen genutzt wurde. Dort sollen nun weitere Container mit 100 Schlafplätzen aufgestellt werden. Für die Roma und Sinti wird in Zukunft auf dem Parkplatz Braun, wo der Hamburger Sportverein (HSV) im Rahmen des Stellplatznachweises für das Stadion Stellplätze vorhalten muss, in den Sommermonaten Platz für ihre Wohnwagen geschaffen. Darüber hinaus ist ein weiteres Containerdorf in Niendorf geplant, zusätzliche Schlafplätze sollen in Harburg geschaffen werden.
Doch nirgendwo ist der Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen derart ausgeprägt wie in Harvestehude. Die hier wohnhafte Oberschicht fühlt sich in ihrer Ruhe gestört. Angeblich um das Wohlergehen der Flüchtlinge besorgt, führen die Gutbetuchten häufig die schlechte beziehungsweise fehlende soziale Infrastruktur an. »Die sind hier eigentlich insofern nicht so gut aufgehoben, weil sie sich hier nicht wohlfühlen werden. Und wo sollen sie einkaufen? Die haben doch nicht so viel Geld, um hier in den Geschäften einzukaufen. Gehe ich mal von aus«, versuchte sich eine besorgte Anwohnerin gegenüber Spiegel TV in gutbürgerlicher Blockadehaltung gegen den baldigen Zuzug von Fremden. Fremde, wohlgemerkt, ohne ein gut gefülltes Bankkonto. Um sich nicht gleich als ordinärer Rassist zu outen, werden die absurdesten Einwände gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in der direkten Nachbarschaft bemüht: »Diese Leute haben einen Nachholbedarf, der wird immer bleiben. Auch noch in Generationen. Und sie wollen versuchen, einen gewissen Standard zu erreichen, und das geht in vielen Dingen nicht auf dem normalen Weg.«
Die verklausulierte Angst vor dem Diebstahl der eigenen Werte entspringt dem Wissen um die eigene Skrupellosigkeit beim Erwerb eben jener. Ähnlich gerieren sich die Verfechter der eigenen kulturellen Überlegenheit: »Ich sage mal, dass die nicht so die Etikette haben. Ein bißchen unachtsam sind«, erläutert ein älterer Herr seine Abneigung. Die Beibehaltung der Segregation bezüglich Bildungs- und Einkommensniveau ist vor allem bei Markus Wegner, der in den neunziger Jahren Gründer der STATT-Partei war und derzeit Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD) ist, das bestimmende Motiv für sein Engagement. »Die gehen raus und sehen, dass ein Stück Torte 6,50 Euro kostet und der Armani-Anzug im Schaufenster mehrere Tausend Euro. Das ist doch absurd«, echauffierte er sich in der Hamburger Morgenpost. Um die Parallelgesellschaft in Harvestehude zu erhalten, spricht sich Wegner für kleinere Unterbringungseinheiten, der nachhaltigen Integration wegen, und »ein normales Umfeld mit Nachbarn« aus. Wenn es nach ihm ginge, soll es den Flüchtlingen an nichts mangeln, überall, nur nicht in seiner direkten Nachbarschaft.

Die Möglichkeit einer negativen Auswirkung auf die Immobilienpreise schließen selbst die Befürworter nicht aus. Doch ausgerechnet ein Luxusimmobilieninvestor, der in unmittelbarer Nachbarschaft mehrere Villen und teure Wohnungen baut, hat sich bereit erklärt, die Flüchtlinge finanziell zu unterstützen und Geld für die Hausaufgabenhilfe bereitzustellen. »Es sollen hier Menschen untergebracht werden, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Diese Familien brauchen unsere Hilfe und deshalb kann ich nicht verstehen, wenn es Nachbarn gibt, die etwas dagegen haben«, sagte Uwe Schmitz von der Frankonia Eurobau dem Hamburger Abendblatt. Darüber hinaus haben sich Anwohner zur Flüchtlingsinitiative Harvestehude zusammengeschlossen, um den Flüchtlingen bei Behördengängen zu helfen, eine Kinderbetreuung zu organisieren und Deutschkurse anzubieten.

Solche Kurse können entscheidend sein für die Zukunft der Flüchtlinge. Nach Recherchen der Taz läuft »ungeachtet der Öffentlichkeit« schon seit Mitte Februar eine »konzertierte und konspirative Operation« der Ausländerbehörden sowie Arbeitsagenturen in mehreren deutschen Großstädten. Dabei handelt es sich um das Projekt »Xenos – Arbeitsmarktliche Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge«. Im Rahmen dieses Vorhabens leitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Daten von Flüchtlingen, die Chancen auf einen Aufenthaltsstatus haben, an die jeweiligen Arbeitsagenturen weiter. Dort soll dann den Flüchtlingen die Integration in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen ermöglicht werden. Bisher wird dieses Projekt in den Städten Augsburg, Bremen, Dresden, Freiburg, Köln und Hamburg erprobt. Damit sich niemand falsche Hoffnungen macht, stellte der Geschäftsführer der Hamburger Arbeitsagentur, Sönke Fock, klar: »Das ist kein humanitäres Projekt.« Vielmehr ist der Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt der Grund für solche Maßnahmen. Allein in Hamburg fehlen nach Angaben der dort ansässigen Wirtschaft weit über 30 000 Fachkräfte. »Es soll erkannt werden, welches Potential und welche Qualifikation in dem Menschen vorhanden ist, damit diese Person auf dem deutschen Arbeitsmarkt verwertet werden kann«, sagte Fock der Taz. In den vergangenen drei Monaten sind in Hamburg 170 Personen aus den Flüchtlingsunterkünften der Arbeitsagentur gemeldet worden. Noch ist die Teilnahme freiwillig.
Derzeit wird in der Großen Koalition diskutiert, ob grundsätzlich alle langjährig Geduldeten eine Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten sollen, sofern sie nachweisen können, dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen können, über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen und keine Straftaten begangen haben. Zugleich sollen die Behörden Asylbewerber jedoch leichter in Haft nehmen können, wenn diese »unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist« sind, ihre Identitätspapiere wie Ausweise vernichtet oder »eindeutig unstimmige oder falsche Angaben gemacht« haben. Die Kriterien würden auf einen bedeutenden Teil der Asylbewerber zutreffen. Pro Asyl spricht deshalb von einem »gigantischen Inhaftierungsprogramm«.