Talmi

Runtastisch

Der totalen Erosion des bürgerlichen Selbstbewusstseins ist es zu verdanken, dass alle ununterbrochen für alles gelobt werden wollen, weil sie den Wert des eigenen Handelns selbst nicht mehr spüren. Egal ob man erfolgreich eine Pfanne Frosta aufgetaut oder einen Roman geschrieben hat – das soziale Netzwerk soll die entsprechenden Fotos und Texte nach Kräften bejubeln. Jetzt, wo auch der Sport das Web 2.0 erobert, dokumentieren die Leute jede verbrannte Kalorie, jeden zurückgelegten Kilometer als »runtastischen« Lauf und erwarten entsprechend viele »Likes« – wie Kinder, die nach dem erfolgreichen Lauf zum Abort erst mal tüchtig geknuddelt werden wollen.
Ins gänzlich Virtuelle führt dies die Firma Gymondo, die den Sport vollständig aus der Sphäre der Öffentlichkeit entfernt und per Lehrvideo in die Wohnzimmer und Büros streamt. Für nur 15 Piepen im Monat kann man sich vormachen, dem eigenen maroden Leib etwas Gutes zu tun, vor dem Bildschirm herumturnen und sich von virtuellen Trainern dafür feiern lassen. Der Vorteil ist, dass man dabei noch weniger sozialem Leistungsstress ausgesetzt wird als im Fitnessstudio oder beim Joggen im Park, wo man eventuell wirkliche Menschen kennenlernen könnte, die die eigenen Trainingserfolge etwas skeptischer sehen als die eigene Like-Posse oder die Gymondo-Trainer »Steven«, »Patricio« und »Danny«.
»Nach 4 Wochen Xtreme fühlte ich mich wie ein neuer Mensch«, weint auf der Gymondo-Seite eine »Ulrike aus Potsdam« ihr Glück ins Netz, und es bedarf vielleicht wirklich eines neuen Menschen, um die Vorspultaste bei Videos als sportwissenschaftliche Innovation zu feiern: »Wir bieten dir die Möglichkeit, beispielsweise beim Start eines Trainingsvideos die Aufwärmphase oder einzelne Übungen zu überspringen.«