Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg

Die Arbeitskraft als Kriegsbeute

Im Ersten Weltkrieg setzte das Deutsche Reich europäische Zwangsarbeiter ein. Es festigte damit den Ruf der Deutschen, auf barbarische Weise Krieg zu führen.

Der Erste Weltkrieg veränderte die Welt. Das Europa, das 1918 seinen Trümmern entstieg, war ein anderes geworden. Die »Einhegung« des Kriegs, der Traum der Staatsrechtler und Strategen des 19. Jahrhunderts, war an ihr Ende gekommen, die alten Konventionen waren hinfällig.
Der »totale Krieg« verwischte die bekannten Grenzen der Kriegsführung. Handelsblockaden sowie immer weiter reichende Waffensysteme wie Ferngeschütze und Kampfflugzeuge hoben die klassische Trennung zwischen Front und Heimat auf. Die umfassende Mobilisierung der Na­tionalökonomie versetzte nunmehr das ganze Land in den Kriegszustand. Im Krieg der Indust­rienationen zählte die Gesamtleistung von kämpfender Truppe und ihrer Versorgung durch die Heimat.
Doch der Krieg neuen Typs war ein maßloser Konsument. Massenhafte Einberufungen und horrende Verluste, steigender Produktionsbedarf und Materialknappheit verlangten nach neuen Lösungen. Die gesetzliche Grundlage für diese war im Deutschen Reich bezeichnenderweise das preußische »Gesetz über den Belagerungszustand«, die Nation war zur Festung geworden.
Je umfassender die Feldzüge wurden, desto mehr mussten die Planer selbst die Regeln eines freien Marktes ausschalten. Auch in stark dem Liberalismus verpflichteten Ländern wie Großbritannien und den USA sah sich der Staat gezwungen, regulierend in die Wirtschaft einzugreifen. Der Sozialökonom Franz Eulenburg wies noch während des Ersten Weltkriegs in seiner »Theorie der Kriegswirtschaft« auf diese »Störungen« der Normalwirtschaft durch den Krieg hin. Das einzige, was das Ende der destruktiven Einflüsse garantiere, sei die zeitliche Begrenzung der Kriegswirtschaft durch ihre unumgängliche Erschöpfung.

Wer nicht kämpft, soll schuften
Allerdings gaben sich die kriegführenden Mächte jede Mühe, dieses Ende so weit wie möglich hinauszuzögern. Notfalls wurde der Betrieb unter Zwang aufrechterhalten. Die Einschränkung der Freiheitsrechte im Ausnahmezustand betraf auch den Faktor, der jeder Produktion zugrunde liegt: die Arbeit. Aus Mangel an verfügbaren »freien« Arbeitskräften griffen die Staaten auf unmittelbare Gewalt zurück. So brachte der moderne Indus­triekrieg des 20. Jahrhunderts ein Phänomen hervor, das seit Abschaffung von Leibeigenschaft und Sklaverei eigentlich als überwunden galt: Die menschliche Arbeitskraft wurde zur Kriegsbeute. Wer nicht kämpfte, sollte schuften. Dies hatte im Ersten Weltkrieg mehrere Facetten und reichte von der Dienstverpflichtung der eigenen Bevölkerung unter Ausnahmerecht, dem Einsatz von Kriegsgefangenen bis hin zur Heranziehung von Zivilisten in den Kolonien und besetztem Feindesland zur Zwangsarbeit. Vor allem letzteres war äußerst umstritten, denn theoretisch un­terstanden »feindliche Zivilisten« besonderem Schutz und durften nur in einem streng definierten Rahmen für Arbeit herangezogen werden.
In der Forschung ist der Begriff der Zwangsarbeit umstritten. Als zwei wichtige Kriterien gelten der Mangel an Beschwerdemöglichkeiten und einer Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis auf eigenen Wunsch hin zu beenden. In Christian Westerhoffs im Jahr 2012 veröffentlichte Studie über »Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg« wird sie als Arbeit definiert, »die als Folge der Androhung oder Anwendung physischer Gewalt erfolgt. Dies impliziert für die betroffenen Arbeitskräfte, dass sie die Arbeit nicht aus eigenem Willen angenommen haben, dass sie sie nicht freiwillig durchführen oder dass sie selbst nicht über das Ende der Arbeit entscheiden können.« In der Realität waren die Übergänge meist fließend, etwa wenn das Dienstverhältnis freiwillig angeworbener Arbeiter zwangsweise verlängert wurde, sich die vereinbarten Rahmenbedingungen drastisch änderten oder die Heimkehr verweigert wurde.

Die »Leutenot« im Deutschen Reich
Wie man die an der Front kämpfenden Männer in der Wirtschaft zu Hause ersetzen könne, war für alle Nationen bald nach Kriegsausbruch zu einer zentralen Frage geworden. »Grundsätzlich waren alle kriegführenden Staaten mit einem großen Mangel an Arbeitskräften konfrontiert. Die Einberufungen wurden rasch und ohne Rücksicht auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt durchgeführt. In Deutschland wurden während des Krieges insgesamt 13 Millionen Personen eingezogen, das heißt, fast alle Männer im wehrpflichtigen Alter«, umreißt Westerhoff das Problem. Er widmet sich insbesondere der Lage in Polen und Litauen, wo die deutsche Militärverwaltung im großen Stil Zivilisten vor allem für die Land- und Forstwirtschaft rekrutierte. Im Deutschen Reich wurde der Mangel an nahezu allen Rohstoffen, forciert durch die britische Seeblockade, aufgrund der Arbeitskräfteknappheit noch verstärkt. In einem Krieg, der wie noch keiner vor ihm von den Produktionskapazitäten der sich bekämpfenden Nationen bestimmt wurde, war dies ein entscheidender Nachteil. Das zeigte sich, nachdem die Fronten erstarrt waren und sich der Waffengang unerwartet in die Länge zog.
Für die deutsche Seite hätte eigentlich absehbar sein können, dass der hohe Menschenbedarf eines gesamteuropäischen Kriegs die Produktion in eine Krise stürzen würde. Gerade im Deutschen Reich war Arbeitskraft traditionell ein knappes Gut. Der wirtschaftliche Aufschwung hatte bereits in den beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zu einem spürbaren Mangel geführt. Nach den USA war Deutschland der zweitgrößte Importeur von Arbeitskraft. Die »Leutenot« betraf alle Bereiche der Wirtschaft, besonders aber die arbeitsintensiven Sparten wie Landarbeit, Bergbau und Industrieproduktion.
Klassische Anwerbeländer waren Italien und Österreich-Ungarn. Ulrich Herbert, der im Rahmen seiner maßgeblichen »Fremdarbeiterstudie« die Zwangsarbeitsmaßnahmen des Ersten Weltkriegs als »Erfahrungsfeld« für die Kriegswirtschaft der Nationalsozialisten untersucht hat, beziffert allein die Zahl der Industriearbeiter aus Österreich und Italien vor Kriegsbeginn 1914 auf 700 000. Auch aus Belgien kamen hochqualifizierte Industriearbeiter, während in »Russisch-Polen« meist saisonal Erntehelfer geworben wurden. Der Erste Weltkrieg beendete diese Praxis schlagartig und schnitt das Reich von dieser Arbeitskräftezufuhr ab. Entweder waren die ehemaligen Arbeitskräfte nun Angehörige der Feindnationen oder sie wurden von den Verbündeten im eigenen Land gebraucht, da die Aushebung der modernen Massenheere überall große Lücken in die arbeitsfähige Bevölkerung gerissen hatte.

Zivilgefangene statt Saisonarbeiter
Das Dogma der schnellen Offensive hatte den Blick der Planer auf Naheliegendes verbaut. Im Glauben an den Erfolg des Konzepts war das Problem der strategischen Reserven zu wenig bedacht worden. Ulrich Herbert beschreibt, wie die Deutschen gleich 1914 zu einer drastischen Maßnahme griffen: »Wenige Tage nach Beginn des Ersten Weltkriegs wies das preußische Kriegsministerium die stellvertretenden Generalkommandos an, die auf dem Gebiet des Deutschen Reiches befindlichen ausländischen Landarbeiter – in erster Linie russisch- und österreichisch-polnische Saisonarbeiter in der ostelbischen Landwirtschaft – an einer Rückkehr in ihre Heimatländer zu hindern und sie ›soweit irgend möglich zur Einbringung der Ernte und zu anderen dringenden Arbeiten‹ einzusetzen. Mit der Durchsetzung dieses Befehls und seiner Ausweitung auf alle polnischen Arbeiter, also auch auf die in der Industrie beschäftigten, zwei Monate später trat ein qualitativ neues Element in die Arbeitspolitik des Deutschen Reiches ein; fast eine halbe Million polnischer Arbeiter aus Russland und – zum geringeren Teil – aus Österreich-Ungarn waren nunmehr gezwungen, auch gegen ihren Willen an ihren Arbeitsstellen in Deutschland zu bleiben.«
Damit hatte Preußen-Deutschland den repressiven Charakter seiner Arbeitsmarktpolitik einfach umgekehrt. War diese vor 1914 vor allem von der Sorge geleitet, dass sich die Arbeiter nicht dauerhaft auf Reichsgebiet niederließen, so ging es nun darum, ihre Abwanderung zu verhindern. Aus Saisonarbeitern wurden nun Zivilgefangene, die unter noch schlechteren Bedingungen arbeiten mussten als zuvor. Nicht selten fielen selbst die Löhne weg. Aufgrund des hohen Anteils weiblicher Arbeitskräfte in der Landwirtschaft waren die Hälfte von ihnen Frauen.

Rekrutierung in den Kolonien
Mit dieser Praxis stand das Deutsche Reich nicht alleine. Vertragsbrüche, Entrechtungen und Zwangsmaßnahmen wurden von allen Kriegsparteien angewandt.
Großbritannien und Frankreich rekrutierten in ihren Kolonien massenhaft Arbeitskräfte, oft unter Zwang. Hinzu kamen Chinesen, die sich »freiwillig« hatten werben lassen. In Nordfrankreich hielten so 700 000 freiwillige und gepresste Arbeiter aus den Kolonien und China der Entente den Rücken frei – unter erbärmlichen Bedingungen und hohen Verlusten. In Afrika bedienten sich alle europäischen Kriegsherren nicht nur einheimischer Hilfstruppen, ihre Kontingente waren überhaupt nur mit Hilfe von über einer Million »Träger« beweglich. Meist wurden diese zu ihrem Dienst gezwungen, ihre Verluste werden auf über 100 000 Menschenleben geschätzt. Im historischen Gedächtnis der Europäer haben sie keinen Platz, für die Forschung blieb das Thema meist randständig. Auch eine juristische Aufarbeitung fand nicht statt.

Zwangsarbeit für Kriegsgefangene
Völkerrechtliche Sensibilität galt, wenn überhaupt, vor allem den Maßnahmen auf dem europäischen Kontinent. Denn während die Kriegsparteien in den Kolonien kaum Regeln für die Einheimischen anerkannten und entsprechend blutig schalten und walten konnten, war die Situation unter den »zivilisierten Nationen« anders. Nach der Haager Landkriegsordnung von 1907, die für die Hauptkriegsparteien des Ersten Weltkrieges rechtsgültig war, durften einzig kriegsgefangene Soldaten, ausgenommen Offiziersgrade, für Zwangsarbeiten herangezogen werden. Artikel 6 der Haager Landkriegsordnung verbot lediglich Arbeiten, die in »Beziehung zu den Kriegsunternehmungen« standen.
Obwohl das System durch den hohen Aufwand für die Überwachung und die niedrige Motivation der Betroffenen an den Grundproblemen jeder Zwangsarbeit krankte, wurden Kriegsgefangene bei allen Konfliktparteien zu einem unverzichtbaren Wirtschaftsfaktor. Ulrich Herbert urteilt, dass »die Beschäftigung von mehr als einer Million Kriegsgefangener in der deutschen Landwirtschaft und Industrie, zum Teil mit zunehmender Tendenz an qualifizierten Arbeitsplätzen, für das kriegführende Deutsche Reich ein erheblicher und während des Krieges an Bedeutung zunehmender wirtschaftlicher Aktivposten« war.

Zwangsarbeit für Ausländer
Als der Einsatz von Kriegsgefangenen nicht ausreichte, forderte die deutsche Wirtschaft Zivilisten an. Insbesondere die Schwerindustrie hoffte, so den Mangel an qualifizierten Arbeitern ausgleichen zu können. Das betraf besonders Belgien und Nordfrankreich. Die Situation von Belgien als westliches »Menschenbassin« der deutschen Industrie hat der Historiker Jens Thiel in seiner 2007 veröffentlichten Studie über Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit von belgischen Arbeitskräften im Ersten Weltkrieg eingehend untersucht. Nachdem deutsche Unternehmen ein Auge auf die entwickelte belgische Industrie geworfen hatten, beeilte sich die Verwaltung, die belgische Wirtschaft für ihre Zwecke dienstbar zu machen. Beschleunigt wurde dieses Vorgehen von den Maximalforderungen »pangermanisch« orientierter Politiker und Wirtschaftsführer. Sie formulierten die Eingliederung vor allem der flämischen Gebiete in das Reich als Kriegsziel. Anfangs schreckten die deutschen Behörden noch vor Zwangsmaßnahmen zurück und setzten auf freiwillige Werbung. Dann gaben sie dem Druck der Wirtschaft nach.
Vor allem die rheinisch-westfälischen Industriellen forderten neben der Demontage von Produktionsstätten auch die Deportation von Arbeitskräften aus Belgien und Frankreich. 1916 hatte das preußische Kriegsministerium einen Bedarf von 300 000 bis 400 000 Arbeitskräften ermittelt. Wie Westerhoff beschreibt, strebten die Behörden an, in Belgien und Nordfrankreich »die gesamte Bevölkerung für die deutsche Kriegswirtschaft zu mobilisieren«. Dafür deportierten die Deutschen schließlich über 60 000 Belgier ins Reich, um sie zur Arbeit zu zwingen. Kleinere Razzien sollten der Industrie aus Nordfrankreich circa 20 000 Arbeitskräfte zuführen.
Das Unternehmen endete allerdings in einem Desaster. Weder konnten die requirierten Zwangsarbeiter sinnvoll eingesetzt werden, noch ließ sich der Hunger der Industrie nach Arbeitskräften nur annährend decken. Die vereinbarte Quote von 20 000 Arbeitskräften wöchentlich wurde nie erreicht. Dagegen war der außen­politische Schaden immens, die Deutschen hatten ihrem Ruf, auf barbarische Weise Krieg zu führen, vollkommen entsprochen. Es kam zu schar­fen internationalen Protesten, selbst innenpolitisch regte sich Widerstand. Im Februar 1917 wurde die Aktion abgebrochen.
Stattdessen setzte man nun auf erhöhten ökonomischen Druck, um Belgier in die Industrie des Reichs zu holen. Im Osten rekrutierte man unterdessen in einer Mischung aus Zwang und Anwerbung vor allem Land- und Forstarbeiter. Zudem wurde dort die Zivilbevölkerung, darunter auffällig viele Juden, zu harten Arbeiten eingesetzt.
Besonders die Militärverwaltung »Ober-Ost« tat sich dabei hervor, aus ihrem Herrschaftsgebiet das Möglichste herauszuholen. Arnold Zweig hat diesem hartem Vorgehen nach dem Krieg in »Einsetzung eines Königs« ein literarisches Denkmal gesetzt. Als Konsequenz gingen nun jüdische Organisationen, von denen die Deutschen lange als Schutzmacht vor den Massakern der zaristischen Armee gesehen wurden, auf deutliche Distanz. Das hatte Folgen vor allem in den neutralen Staaten und den USA, in denen jüdische Organisationen zuvor sehr wohlwollend gegenüber dem Kaiserreich agiert hatten. Mit dem Kriegsende 1918 verkehrte sich die Situation erneut. Das Reich gab sich nun Mühe, fast eine halbe Million Osteuropäer so schnell wie möglich loszuwerden, die man davor nicht hatte gehen lassen wollen. »Lediglich die jüdischen Arbeitskräfte«, schreibt Westerhoff, »die während des Krieges aus den besetzten Gebieten nach Deutschland gekommen waren, gingen vielfach nicht wieder in ihre Heimat zurück, da die Nachfolgestaaten des Russischen Reiches sie nicht wieder aufnehmen wollten und dort sogar Pogrome stattfanden.«

Arbeitsdienst für Inländer
Gleichsam parallel schritt durch den Krieg die Entrechtung der deutschen Zivilbevölkerung voran. Angeführt von den Industriellen Hugo Stinnes und Carl Duisberg drängte die Wirtschaft außer zur Zwangsarbeit für Ausländer auch auf eine Arbeitsdienstpflicht für Inländer. Ebenfalls 1916, im Schatten der Materialschlachten, wurde das »Hindenburgprogramm« zur Steigerung der Rüstungsproduktion in Gang gesetzt. Jetzt trat ein »Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst« in Kraft, das alle Männer zwischen 17 und 60 Jahren zu kriegswichtigen Arbeiten verpflichtete. Die Mechanismen des freien Arbeitsmarkts mit freier Arbeitsplatzwahl und Lohnkonkurrenz waren damit endgültig ausgehebelt. Die Gewerkschaften beugten sich der »nationa­-len Pflicht« und bekamen im Gegenzug eingeschränkte innerbetriebliche Mitsprache.
Frauen blieben von der Dienstpflicht ausgenommen. In ihrem Fall setzte man auf freiwillige Opferbereitschaft. Heute weitgehend unbekannt ist, dass neben fast 30 000 deutschen Krankenschwestern auch mehr als 20 000 Frauen als »Etappenhelferinnen« einen »zivilen Kriegsdienst« leisteten. Sie ersetzten damit in den letzten bei­den Kriegsjahren Männer, die an die Front geschickt werden konnten – und waren bei der Truppe entsprechend unbeliebt. Neben dem massenhaften Einsatz von Frauen in »Männerberufen« an der »Heimatfront« stellt diese Verwendung weiblichen Militärpersonals im großen Maßstab ein weiteres Beispiel für die Erosionskräfte des Ausnahmezustands dar.
Nach dem Krieg trat das Thema auf deutscher Seite in den Hintergrund. Allerdings wurden im Versailler Vertrag Zwangsarbeit und Deportation ausdrücklich erwähnt. Eine historische Aufarbeitung fand fast nur in den Herkunftsländern der Deportierten statt. Das Reich versuchte, sich der Verantwortung unter Hinweisen auf »kriegsbedingte Härten« zu entziehen. Dafür zog man Konsequenzen für den nächsten Waffengang. Jens Thiel beschreibt, dass die deutschen Besatzer in Belgien während des Zweiten Weltkriegs aufgrund ihrer vorherigen Erfahrungen auf ähnliche Maßnahmen verzichteten. Doch im Osten kam es zu einer radikalen Ausweitung der Zwangsarbeit.

Der deutsche »Tabubruch«
Wie die Proteste zeigten, wurden die deutschen Maßnahmen zur Ausbeutung von Zwangsarbeit international empört zur Kenntnis genommen. Eigene Untertanen zu versklaven, war in den Straf­kolonien einiger westlicher Staaten durchaus üblich. Auch das »Zivilisieren« von »Wilden« durch Arbeitszwang war unter den Kolonialmächten gang und gäbe. Der »Tabubruch« der deutschen Seite bestand darin, die Zwangsmaßnahmen auf Angehörige weißer, europäischer Nationen anzuwenden. Zusammen mit dem Einsatz »farbiger« Regimenter an der Westfront durch die Entente ist dies ein Beispiel dafür, dass in Krisenzeiten selbst rassistisch grundierte Privilegien fallen können. Afrikanischen (und afroamerikanischen) Soldaten war es nun gestattet, in Europa auf die Soldaten einer weißen Indus­trienation zu schießen; Bürger westeuropäischer Staaten konnten plötzlich zur Zwangsarbeit deportiert werden. Der Große Krieg schliff alle Konventionen.