Neue Untersuchungsausschüsse zum NSU

In die Ausschüsse

Die politische Aufarbeitung der Morde und Anschläge des NSU ging bisher schleppend voran. Neue Untersuchungsausschüsse sollen das ändern.

Zwischen den Nebenklägern im NSU-Prozess gibt es Streit. Die Meinungsverschiedenheiten entzünden sich an der Frage, ob das Gerichtsverfahren in München auch die politische Aufarbeitung des NSU-Skandals gewährleisten oder nur die Funktion eines herkömmlichen Strafprozesses erfüllen soll. Die Rechtsanwälte der Opfer diskutieren darüber seit Monaten. Mehrere Anwälte hatten im Mai einen umfangreichen Beweisantrag gestellt. Sie wollten unter anderem den früheren V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes mit dem Decknamen »Piatto« als Zeugen hören. So sollten die Versäumnisse der Verfassungsschutzbehörden vor Gericht zur Sprache gebracht werden. Dagegen wehrten sich jedoch fünf andere Anwälte von Nebenklägern. In einer gemeinsamen Presserklärung regten sie neue Untersuchungsausschüsse zum NSU an, sprachen sich zugleich aber für eine Beschränkung des Strafprozesses auf die juristischen Fragen aus, dieser könne nicht die notwendige politische Aufklärungsarbeit leisten.

Die bisher mangelhafte Aufklärung, gerade was die Rolle von V-Männern im Umfeld des NSU angeht, beschäftigt nun auch das Parlamentarische Kontrollgremium, das mit der Kontrolle der deutschen Geheimdienste betraut ist. Mitte Mai mussten der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, und Generalbundesanwalt Harald Range wegen des Todes des V-Mannes »Corelli« (Jungle World 18/14) ausführlich über mögliche Zusammenhänge mit der Mordserie des NSU berichten. Für die Fortsetzung der Beratungen wurde einstimmig beschlossen, umfangreiche Aktenbestände des BfV zu den V-Leuten »Corelli« und »Tarif« anzufordern. Der Informant mit dem Decknamen »Tarif« hatte dem Verfassungsschutz schon 1998 einen Hinweis zu den untergetauchten Neonazis gegeben, zwei Jahre, bevor die Mordserie begann. Die Akte zu »Tarif« war im Jahr 2011 in einer heftig kritisierten Schredderaktion des Geheimdienstes vernichtet worden.
Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung sind Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) auf einen weiteren ehemaligen V-Mann aufmerksam geworden. »Primus« wurde 1992 angeworben und spähte mindestens ein Jahrzehnt lang die rechtsextreme Szene aus. Im Oktober 2010 vernichtete das BfV seine Akte. »Er kannte viele Leute aus dem Umfeld des NSU«, berichten die beiden Journalisten Hans Leyendecker und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Außerdem habe er in Zwickau gewohnt, wo sich das Trio jahrelang versteckt hielt. Der Polizei gegenüber gab der Spitzel an, die drei mutmaßlichen Mitglieder des NSU nicht gekannt zu haben. Das BfV hält sich in der Sache dezent zurück. Eine erste Erkenntnisanfrage des BKA zu dem ehemaligen V-Mann beantwortete das BfV nicht. Nur altbekannte Details und wenig aussagekräftige Informationen übermittelten die Verfassungsschützer ihren Kollegen. Andere Anfragen wurden mit dem Verweis auf die Löschung der Akte zur Person abgewiesen. Ein Austausch von Informationen kam erst zustande, nachdem Ermittler des BKA »Primus« selbst befragt hatten. Die Verfassungsschützer bestätigten eine Angabe ihrer ehemaligen Quelle und fragten das BKA wenig zurückhaltend nach dem gesamten Vernehmungsprotokoll. »Zu allen Kernfragen dieses Falles hat­ten die Verfassungsschützer nichts beizutragen«, stellen Leyendecker und Schultz in ihrem Artikel fest.

Das skandalöse Vorgehen der Behörden, vor allem der undurchsichtige Umgang des Inlandgeheimdiensts mit seinen V-Leuten, lässt Abgeordnete der SPD, der »Linken« und sogar der CDU mittlerweile darüber nachdenken, ob ein zweiter Untersuchungsausschuss im Bundestag nötig ist, der sich mit den offen gebliebenen Fragen zur Rolle der Geheimdienste im NSU-Komplex befassen soll. »Wir glauben nicht, dass der NSU aus nur drei Personen mit einem kleinen Helferkreis bestand«, sagte die Sozialdemokratin Eva Högl kürz­lich auf einer Podiumsdiskussion in Schwäbisch Hall ausdrücklich auch im Namen von Petra Pau (Linkspartei) und Clemens Binninger (CDU). Sie habe das Gefühl, »viele Hintergründe, Fragen und Zusammenhänge werden nicht weiter ermittelt und auch im Prozess in München nicht ausreichend erörtert«, zitierten Zeitungen die SPD-Politikerin.
In Hessen hat der Landtag auf Antrag der SPD die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Mordserie des NSU beschlossen. Linkspartei und SPD, also die Oppositionsparteien, stimmten geschlossen für den Antrag, für dessen Annahme bereits ein Fünftel der Stimmen im Landtag genügt hätte. Der Untersuchungsausschuss soll vor allem die Rolle des ehemaligen Innenministers und derzeitigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) klären. Als »nicht zielführend« für die weitere Aufklärung kritisierten hingegen Abgeordnete der CDU, der Grünen und der FDP die Einrichtung des Ausschusses. Die hessischen Grünen hätten statt eines Untersuchungsausschusses die Bildung einer »Expertenkommission« bevorzugt.
Der mangelnde Aufklärungswille, wie ihn nicht nur die hessische Landesregierung zeigt, nährt Verschwörungstheorien. Im Münchener NSU-Prozess wurde Mitte Mai zumindest eine solche Theorie entkräftet. Die Aussage eines Rechtsmediziners widerspricht der Vermutung, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien erschossen worden, um eine Verwicklung von Behörden in den Fall zu verschleiern. Seiner Aussage zufolge war an der Herbeiführung des Todes der beiden Männer keine dritte Person beteiligt.

Böhnhardt habe eine »erhebliche Deformierung des ganzen Kopfes«, »Gesichtsaufreißungen« sowie »eine typische Einschussverletzung und eine 20 Zentimeter große Aufreißung des Kopfes« aufgewiesen. »Der Schuss verlief schräg durch den Kopf und wie eine Explosion von innen«, sagte der Rechtsmediziner. Durch den Schuss traten eine »sofortige Handlungsunfähigkeit« und der Tod ein. Bei Mundlos konnten erst beim Öffnen des Mundes Schmauchspuren gefunden werden. Er schob sich der Obduktion zufolge das Gewehr in den Mund und drückte ab. Das Resultat sei »eine sehr starke Zerstörung des Kopfes« gewesen. Auch Mundlos sei sofort tot gewesen. Das Feuer im Wohnmobil der Männer habe schnell gelöscht werden können, so dass beide Leichen nur vereinzelt Brandspuren aufgewiesen hätten. Spuren, die auf die Gegenwart Dritter hindeuten, seien nicht gefunden worden, sagte der Rechtsmediziner. Aussagen wie diese lassen zwar womöglich einige Verschwörungstheorien verpuffen, von einer lückenlosen Aufklärung ist man jedoch immer noch sehr weit entfernt – nach den Untersuchungsausschüssen ist vor den Untersuchungsausschüssen.