Die »Alternative für Deutschland« nach der Europawahl

Die Krawallbürger fahren nach Brüssel

Die »Alternative für Deutschland« ist mit ihrem Ergebnis bei der Europawahl zwar nicht, wie von ihrem Vorsitzenden behauptet, zur »neuen Volkspartei« geworden. Mit ihrem schnellen Verschwinden ist jedoch auch nicht zu rechnen.

Immerhin: Die Europawahlen begannen in einem Nachbarstaat Deutschlands mit einer erfreulichen Überraschung. Nachwahlbefragungen zufolge bescherten die Niederländer ihrem Rechtsaußen Geert Wilders und seiner PVV nicht etwa den erwarteten Triumph, sondern Verluste von fast fünf Prozentpunkten. Damit erzielte die PVV allerdings noch immer fast 13 Prozent der Stimmen, deutlich mehr als ihr deutsches Pendant, die AfD, die sieben Prozent erreichte.
Was immer noch sieben Prozent zu viel sind. Bei einer Wahlbeteiligung von 48 Prozent sind das mehr als zwei Millionen Deutsche, die offensichtlich kein Problem damit haben, eine Partei zu wählen, die ihre Plakate schon mal von Naziskins im Neunziger-Revival-Look aufhängen ließ und im Wahlkampf auch durch ihren Umgang mit politischen Gegnern Schlagzeilen machte: In Bochum bedrohte ein Funktionär der AfD einen Antifaschisten mit einer Schreckschusspistole. Die Kölnerin Daniela Warndorf berichtet in ihrem Blog »Einsneunsiebenzwei« von einem älteren Herrn, der ihr an einem Stand der Populisten Schläge androhte. In Schwerin griffen Wahlkämpfer der Partei eine Gruppe von Protestierenden mit Pfefferspray an, die es gewagt hatten, sie mit Konfetti zu bewerfen.

Dass es für ein solches Sammelbecken des wohlstandschauvinistischen Krawallbürgertums ein nicht unerhebliches Wählerpotential gibt, ist nicht neu, die AfD hat dieses bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Erinnert sei an Ronald Schill, der mit seiner »Partei Rechtsstaatlicher Offensive«, später besser bekannt als »Schill-Partei«, bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2001, der ersten Wahl, an der die Partei teilnahm, ein Ergebnis von knapp 20 Prozent erzielte.
Einen Größenwahn fast schon vom Ausmaß eines Ronald Schill legte am Wahlabend der Spitzenkandidat der AfD, Bernd Lucke, an den Tag, der in dem doch immerhin deutlich einstelligen Ergebnis die Geburt einer »neuen Volkspartei in Deutschland« sehen wollte. So weit ist es zwar noch nicht, aber ebenso wenig ist damit zu rechnen, dass die AfD so schnell wieder in der Versenkung verschwindet wie die Partei des Hamburger Richters mit der mangelnden Drogenkompetenz.
Die etablierten Parteien reagierten auf die neue Konkurrenz mit dem üblichen Reflex: dem Versuch, sie rechts zu überholen. Während die CDU sich als Bollwerk gegen den angeblich massenhaften Sozialmissbrauch durch EU-Einwanderer präsentierte, schaltete die SPD in Bild und ähnlichen Blättern in der Woche vor der Wahl rasch noch eine Anzeige, die für die Leserschaft wohl so etwas wie ein Argument darstellt: »Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden.«

Bei einem solchen Angebot wundert es auch nicht, dass in Deutschland ein Sieg des rechten – oder besser: noch rechteren – Lagers ausblieb, wie er sich in zahlreichen anderen europäischen Ländern ereignete (und der, was man nicht vergessen sollte, in einigen Ländern als Reaktion auf die deutsche EU-Politik mittelbar ein Produkt made in Germany ist). Einer, der eine solche Entwicklung schon vor fast 100 Jahren vorhersah, war übrigens ein gewisser Wladimir Iljitsch Lenin: »Die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen (sind) entweder unmöglich oder reaktionär.« Mit Dialektik hatte Lenin es nicht so, sonst hätte er ahnen können, dass man beides zugleich haben kann.