Die Ergebnisse der Europawahl

Ein Schritt zurück

Der Erfolg extrem rechter Parteien bei den Europawahlen lässt für ein »anderes Europa« nichts Gutes hoffen.

Niemand kann sagen, der Erfolg des französischen Front National (FN) bei den Europawahlen käme überraschend. »Ich bin sozial gesehen links, wirtschaftlich gesehen rechts und national gesehen aus Frankreich«, hatte schon Jean-Marie Le Pen erklärt. Seine Tochter Marine Le Pen führt seinen Kurs fort, allerdings mit einer markanten Veränderung. Der alte Vorsitzende des FN gab sich noch gerne als Bürgerschreck mit martialischen Parolen und grobschlächtigem Verhalten. Marine hingegen ist mehrheitsfähig, sie versteht den bürgerlichen Habitus. Die Eliten stürzen, ohne das System zu ändern, könnte ihr Motto lauten. Sie artikuliert die Ängste der bürgerlichen Schicht, die den sozialen Abstieg fürchtet und die Ursachen dafür in einer kulturellen Dekadenz sieht: die Auflösung familiärer Bindung, tradierter Geschlechterrollen, nationalstaatlicher Grenzen und ethnischer Homogenität. Einen »Sieg gegen das System« nennt Le Pen nun ihren Erfolg, gegen »Europas Herrschaft über Frankreich« sowie das nationale Parteiensystem.
Der Triumph Le Pens mag besonders spektakulär erscheinen, außergewöhnlich ist er bei diesen Wahlen nicht. Auch in anderen Ländern waren Parteien mit einer ähnlichen Ideologie erfolgreich. So wurde die Dansk Folkeparti in Dänemark stärkste Kraft, in Österreich konnte die FPÖ deutlich zulegen. Die Wahren Finnen und die Schwedendemokraten gewannen Stimmen hinzu. In Großbritannien konnten die Europa-Gegner der UKIP einen historischen Sieg erringen. Zum ersten Mal seit 100 Jahren habe in Großbritannien damit keine der beiden etablierten Parteien eine nationale Wahl gewonnen, sagte ihr Vorsitzender Nigel Farage begeistert.
Mit den Vertretern der Alternative für Deutschland (AfD) gewinnt die Fraktion der Euroskeptiker und Rechtspopulisten im Europaparlament einen weiteren Bündnispartner hinzu. Die AfD profitierte auch von der gescheiterten Taktik der deutschen Konservativen, die mit Stammtischparolen versuchten, die Konkurrenz von rechts klein zu halten – und sie dadurch nur bestätigten. Zahlreiche Stimmen gewann die AfD zudem von der SPD. Deren Spitzenkandidat Martin Schulz hatte zuvor mit dem Argument für sich geworben, dass nur mit ihm die Wahl eines deutschen Kommissionspräsidenten möglich sei.
Dabei ist mehr deutscher Einfluss in Europa kaum noch vorstellbar. Zumindest in jenen Ländern, die unter der Sparpolitik, wie sie von der Bundesregierung vertreten wird, besonders leiden, liegen linke Parteien vorn. In Griechenland wurde Syriza mit ihrem Vorsitzenden Alexis Tsipras stärkste Partei, in Portugal und Italien schnitten die Sozialdemokraten relativ gut ab. Tsipras verlangt nun Neuwahlen, für die regierenden Konservativen kann es ungemütlich werden.
Dennoch stellt auch für die erfolgreichen linken Parteien in Südeuropa die Wahl eine Zäsur dar. Ihre Chance auf einen Politikwechsel in Europa war stets mit den Machtverhältnissen in Frankreich verbunden. Doch ohne eine linke Mehrheit in Frankreich ist in Europa eine Politik gegen Angela Merkel kaum denkbar. Dass die Sozialistische Partei unter François Hollande vor allem daran gescheitert ist, dass sie die deutsche Sparpolitik adaptiert hat, ist eine bittere Ironie. Nun werden Rechtsextreme in den nächsten Jahren die Debatten darüber bestimmen, ob ein anderes Europa möglich ist.