Spaß an der Normcore-Debatte

Eine nützliche Begriffsschöpfung

Normcore ist die blödeste Jugendbewegung, die je erfunden wurde. Aber das ist nicht weiter schlimm, denn Normcore wird eine Kopfgeburt bleiben. Als Denunziation aller gegenwärtigen Formen von sich als Protestbewegung gerierendem Hyperkonformismus werden wir mit dem Begriff aber noch viel Spaß haben.

Mit der Erfindung von Normcore ist der Trend­spot­ter-Gruppe K-Hole aus New York ein Geniestreich gelungen, wenn auch die Absicht da­hinter fragwürdig ist. Auf die Frage, was für eine Jugendbewegung die Hipster ablösen solle, haben sie deren perfekte Gegenbewegung erfunden, deren politisches Programm im Kern reaktionär ist.
Die Hipster-Bewegung war vor allem eine ästhetische: Sie entstand mehr oder weniger spontan im Brooklyner Stadtteil Williamsburg, von wo aus sie sich zu den Klängen von Neo-Folk oder Elektroswing in allen Großstädten der Welt, ganz besonders aber in Berlin-Neukölln breitmachte, und sie kreuzte eine Reihe von Indie-Moden vergangener Jahrzehnte mit Hitler-Schnauzern und Hosenträgern. Allem voran hatte die Bewegung kein erkennbares politisches Programm, abgesehen von einem diffusen alternativen Habitus und einem eher sympathischen Hang zum Antipolitischen (Jungle World 17/2012).

Normcore ist genau das Gegenteil. Die Grundsätze der Bewegung hat K-Hole in dem Manifest, »Youth Mode: A Report on Freedom« zusammengefasst, aufgemacht im Stil einer Werbebroschüre. Das Papier ist durchzogen von allerlei in jugendsprachlichem Idiom ausgedrückten lebensweisheitlichen Platitüden. Scharf wird sogenannter »Mass Indie« (sprich: Hipster) als konformistischer Nonkonformismus denunziert. Statt den als Anachronismus gescholtenen Stilen »Acting Basic«, »Alternativ« und »Mass Indie« wird same­ness (Gleichsein) und sogar blandness (Fad-/Farblossein) empfohlen. Ausdrücken soll sich das in Kleidung, wie man sie typischerweise bei Woolworth, J. C. Penney oder hierzulande vielleicht bei Zeeman bekommt, am besten noch ohne jeden Stil kombiniert, Socken mit Sandalen zum Beispiel.
Nun könnte man sagen: »Wem’s Spaß macht.« Aber Normcore wird auch als möglichst vollständige Affirmation einer Norm begriffen, von der die Autoren klagen, dass sie ja leider keine mehr sei. Aus der Zeit nämlich, in der möglichst anders und individuell zu sein noch kein »gesellschaft­licher Zwang« und Vollbeschäftigung die Norm war – während des verflossenen Fordismus also. Hier entpuppt sich Normcore als das Fashion-Pendant zur Tea-Party-Bewegung, wie bereits Thomas Frank, Autor von »What’s the Matter with Kansas« und einer der scharfsinnigsten Beobachter amerikanischer Gegenwartskultur, angemerkt hat.

Diese Überidentifikation mit dem middle American, die amerikanische Version von Spießertum, die nun als Normcore von einer Mode-Avantgarde zum Inbegriff des wahren Individualismus erklärt wird, betreibt, so Frank, seit einigen Jahren der »Republican normcore« einer Sarah Palin, eines Sean Hannity oder eines Glenn Beck. Faktische Elitenangehörige geben sich dabei als Vorkämpfer der kleinen Leute gegen ein angeblich durch und durch liberales und den Sorgen der einfachen Leute entrücktes Establishment aus. Auch im Kleidungsstil haben diese Personen Normcore längst vorweggenommen – mit Ausnahme von Sarah Palin, deren teure Designerkleider im Wahlkampf durchaus zu einem Imageproblem gegenüber der anvisierten Wählerschaft wurden.
Daraus lässt sich folgern, dass sich angesichts des widerlichen politischen Programms der Bewegung jedwede affirmative Aneignung verbietet. Ob sich überhaupt jemand dieser Idee erbarmen wird oder dass Normcore gar zu einer mit der Popularität des Hipster-Trends vergleichbaren ­Bewegung wird, ist äußerst zweifelhaft. Dem Erscheinungsbild nach wahrnehmbar wird die Bewegung ohnehin nicht sein, da ihre Anhänger sich ja so perfekt in den Mainstream einfügen würden. Wahrscheinlich bleibt Normcore eine Kopfgeburt und eine Lachnummer dazu.
Dagegen ist das polemisch gewendete Potential des Begriffs enorm – er ist griffig, idiomatisch und ironisch. Pejorativ verwendet denunziert er die Identifikation mit der falschen Norm: die Ehe gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften verteidigen? Nicht originell, sondern einfach nur Normcore. Wenn Claus Peymann seine Einladung Sarrazins zur Verteidigung der Meinungsfreiheit stilisiert und die Proteste dagegen mit den Pogromen von Hoyerswerda vergleicht, ist das nicht besonders mutig, sondern … extrem Normcore. K-Hole kann man für diese nützliche Begriffsschöpfung daher nur dankbar sein.