Berlin Beatet Bestes. Folge 243.

Je teurer desto doofer

Berlin Beatet Bestes. Folge 243. Human Abfall: Tanztee von unten (2014).

EDEN VERDAMMTEN SONNTAG!!! TANZTEE VON UNTEN!!!« Groß geschrieben, weil laut. Immer wieder schreit der Sänger der Gruppe Human Abfall diese Zeile im Titelsong des neuen Albums. Und ich fühle mich direkt angesprochen. Seit ich Swing tanze, besuche ich regelmäßig Tanztees. Tiefer in der kulturellen Bedeutungslosigkeit kann man nicht versinken. Allerdings fühle ich mich da ganz wohl. Schließlich sind in unserer alles absorbierenden Kultur trendresistente Nischen nicht leicht zu finden. Kaum hast du es dir irgendwo einigermaßen gemütlich gemacht, wird dir die Subkultur, die du für deine eigene hältst, auch schon wieder unter dem Arsch weggeklaut. Irgendein gewissenloser Subkulturvertreter arbeitet immer in einer Werbeagentur, verkauft sein cooles Musikwissen an Tchibo und du darfst dir deine Bands dann mit lauter Trotteln teilen. Ein anderer wohlmeinender Akademiker zieht derweil deiner Underground-Kultur an der Universität den Stachel. Am Schluss stehst du am Tresen deiner Stammkneipe neben einem bärtigen Bürschchen mit Undercut, der gerade seine Masterarbeit über Egotronic geschrieben hat – während ich beim Tanztee gewesen bin.
Aber sicher ist der Titel des Albums ganz anders gemeint. Es klingt eher so, als wäre der Sänger wütend, weil der Tanztee jeden Sonntag ­direkt unter seiner Wohnung stattfindet.Rhyth­misch vielschichtig, zwischen zähen und treibenden Passagen wechselnd, suchen Human Abfall immer wieder eine schöne Melodie, um dann plötzlich zeternd, wie Sonic Youth begleitet von Jens Rachut, drauflos zu lärmen. Die Aufmachung der Platte steht in Kontrast zum punkigen Bandnamen, zu Proletenlyrik und Krach. Der im Siebdruckverfahren hergestellte Leinenumschlag verleiht der beim Hamburger Label Sounds of Subterrania veröffentlichten LP einen zeitlosen und hochwertigen Charakter. Seit Jahren konkurriert das Hamburger DIY-Label mit Squoodge Records aus Berlin darum, wer kreativer ist. Mit ihren oft in Handarbeit gefertigten Produkten präsentieren sich die Labelmacher als Künstler. Beide könnten mit ihren Puzzles, Boxen und Figuren auch einfach nur Ausstellungen füllen.
Allgemein kann ich auf aufwendige, teure Produkte verzichten. Nicht, weil ich geizig wäre, sondern weil, was teuer ist, fast immer auch doof ist. Teuren Produkten haftet immer eine protzende Wichtigkeit an: »Hier, guck mal, wie toll ich bin! Kauf mich!« Preiswerten Produkten kann ich selbst einen Wert verleihen. Das Album von Human Abfall ist der erste Tonträger, mit dem ich jemals für diese Kolumne bemustert wurde. Sonst wähle ich die Platten immer selbst aus und bezahle sie auch. Ich hätte sie mir allerdings auch im Laden gekauft. Dieses Album wird auch in 50 Jahren noch gut aussehen. Und es wird sicherlich noch sehr lange dauern, bis die Musik von Human Abfall in einer Tchibo-Werbung durchgenudelt wird.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.