Antisemitismus in sozialen Netzwerken in Spanien

Zweierlei Tweets

Bei Bedrohungen und Hassäußerungen auf Online-Plattformen wird in Spanien mit zweierlei Maß gemessen. Wegen vermeintlicher Verherrlichung von Anschlägen der Eta wurden Ende April 21 Twitter-Nutzer und Blogger bei einer Razzia verhaftet. Nach einer Welle von Hass-Tweets gegen Juden mussten jüdische Organisationen hingegen erst selbst Strafanzeige stellen, damit Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln.

In einer Welle von Hass-Tweets hat sich der in Spanien weit verbreitete Antisemitismus nach einer Niederlage von Real Madrid im Basketballfinale der Final Four Europaliga gegen Maccabi »Electra« Tel Aviv am 18. Mai entladen. Die Spielberichterstattung war wie üblich martialisch, kam aber ohne Diffamierungen aus. Als »gelbe Hölle« beschrieb etwa die Tageszeitung El País die Atmosphäre im Stadion in Anspielung auf die von den zahlreichen lautstarken Fans getragene Vereinsfarbe von Maccabi. Nach Spielende entwickelte sich am 19. Mai der Hashtag #putosjudios (verdammte Juden) zum wichtigen Gesprächsthema in Spanien. 17 692 Tweets wurden mit dem Hashtag gesendet, darunter viele von Usern mit mehr als 1 000 Followern. Während in Tel Aviv der Sieg von Maccabi freudig bejubelt wurde, setzte etwa der User @rdereckless folgenden Tweet ab: »Maccabi sollte nach dem Spiel eine Dusche zukommen … aber hoffentlich in der Gaskammer.« »Jetzt verstehe ich Hitler und seinen Hass auf die Juden«, twitterte ein anderer User. »Juden in die Gaskammer – vorwärts Madrid«, forderte ein weiterer. Eine Userin, die auf ihrem Porträtfoto mit einem Madrid-Fußballtrikot bekleidet zu sehen ist, erklärte: »Die nervigen Juden. Mit Hitler wäre das nicht passiert.« Ein anderer Tweet lautete: »Juden, ihr könnt kommen und wir feiern, dass mein Kollege euch auf eine Liste setzt und gratis in den Ofen schiebt«, dazu gab es ein Foto von einem Offizier der NS-Wehrmacht.
Diese Tweets stammten allesamt von Usern, deren Identität feststellbar ist. Sie konnten deshalb angezeigt werden. Das übernahmen elf jü­dische und israelsolidarische Organisationen aus Katalonien. Vor einer Woche gaben sie ihre Anzeige öffentlichkeitswirksam bei der Staatsanwaltschaft ab. Auf der vorangegangenen Pressekon­ferenz sagte Uriel Benguigui, der Vorsitzende der Israelischen Gemeinschaft von Barcelona, die spanischen Juden hätten zu lange dem »offenkundigen Antisemitismus« zugeschaut, der in der Gesellschaft vorherrsche. Aber nach der Welle antisemitischer Äußerungen sagten jetzt viele: »Es reicht!« Antoni Florido von der Katalanischen Vereinigung der Freunde Israels pflichtete ihm bei: »Gegenüber diesem Diskurs des Hasses muss die Gesellschaft reagieren!« Einige Twitter-User haben, nachdem sie von der Strafanzeige wegen des Hashtags #putosjudios erfuhren, ihre Äußerungen zurückgenommen. Andere bekräftigten dagegen ihre antisemitischen Tweets.

Über die Anzeige wurde in vielen Medien berichtet. Der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz verkündete daraufhin, Ermittlungen würden eingeleitet. Dass die staatlichen Stellen nicht von sich aus tätig wurden, kritisierte der Sprecher der katalanischen Regionalregierung Generalitat, Francesc Homs. Die Exekutive unter Ministerpräsident Mariano Rajoy lege bei Kommentaren in Online-Netzwerken zweierlei Maß an: »Wenn es sie betrifft, nehmen sie es sofort wahr und verschärfen die Strafmaße, wenn nicht, schauen sie weg.« Homs hob die Bedeutung der Meinungsfreiheit hervor, forderte aber: »Wenn es Exzesse gibt, muss gehandelt werden – egal ob es persönlich die Regierenden betrifft oder nicht.«
Ruben Novoa von Atid, der Jüdischen Gemeinschaft Kataloniens, der die Anzeige persönlich verantwortet, betont, ein staatliches Vorgehen sei unerlässlich: »Die Anzeige enthält die Botschaften von fünf Usern, die ihren Hass gegen Juden zeigen, und ihre Namen und Anschriften. Es sind Botschaften, die in einem Rechtsstaat nicht toleriert werden können.« Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce kündigte vor einer Woche an, jetzt werde »mit Nachdruck« ermittelt. Die für Cyberkriminalität zuständige Staatsanwältin Elvira Tejada de la Fuente habe begonnen, Daten zu sammeln.
Diese über Tage hinweg folgenlosen Absichtserklärungen von Innenminister und Staatsanwaltschaft, nun endlich gegen die antisemitischen Tweets vorzugehen, stehen in einem eklatanten Missverhältnis zur Verfolgung von Tweets, in denen Linke angeblich Politiker bedrohen und die Eta verherrlichen. So wird gegen die Schriftstel­lerin Almudena Montero, eine bekannte Bloggerin, ermittelt, die zur Gewalt gegen den Staat aufgerufen haben soll. Einer der Tweets, der ihr zur Last gelegt wird, besteht aus einem Zitat von Antonio Gramsci. Auch gegen die Twitter-Userin Loba Roja (Rote Wölfin) wurde 2013 aus dem gleichen Grund ermittelt. Sie wurde im Februar angeklagt und ging auf einen von den Richtern des für Terror- und Drogendelikte zuständigen nationalen Gerichtshofs vorgeschlagenen Vergleich ein: Ein Jahr Gefängnis statt möglicher zwei Jahre – ohne Prozess. Auch ihr wurden zahlreiche Tweets vorgeworfen, dieden Straftatbestand der Verherrlichung des Terrorismus erfüllen würden. Einer davon bestand aus einem Zitat des uruguayischen Schriftstellers Mario Benedetti. Gegenüber der linken Online-Zeitung Público erklärte Loba Roja, ihre Tweets seien Ausdruck ihres Zorns. Sie beziehe sich wegen deren Ideologie auf die ehemalige Guerilla »Gruppen des antifaschistischen Widerstands des 1. Oktober« (Grapo), sei »Marxistin-Leninistin, Atheistin, Republikanerin und Antifaschistin«. Und so habe sie die Freilassung des noch inhaftierten Grapo-Mitglieds Manuel Pérez Martínez gefordert und auch mal »Viva los Grapo« (»Es leben die Grapo«) getwittert.
Drei Wochen vor der Welle antisemitischer Tweets fand eine in linken Medien auch als »Hexenjagd« bezeichnete Razzia gegen angebliche Cyberkriminelle statt. Dabei verhaftete die paramilitärische Polizeitruppe Guardia Civil in ganz Spanien 21 Menschen zwischen 16 und 53 Jahren. Diese »Operation Spinne« hatte ein Richter des Obersten Strafgerichtshofs in Madrid angeordnet, angeblich zur Bekämpfung des vermeintlich ausufernden Cyberterrorismus. Die Verhafteten sollen auf Twitter und bei Facebook den Terrorismus verherrlicht haben, konkret: die Aktionen der Eta. Sie kannten sich untereinander nicht, höchstens zufällig aus dem Internet. Einer der Verhafteten soll der Guardia Civil zufolge auf Twitter ein Foto des 1973 von der Eta in die Luft gesprengten Admirals und faschistischen Mi­nisterpräsidenten Carrero Blanco mit der Bildunterschrift »Ich will fliegen!« veröffentlicht haben. Andere hätten getwittert: »Schade, dass es die Eta nicht mehr gibt.« Bis zu zwölf Stunden wurden die Verhafteten verhört, am nächsten Tag wieder freigelassen – unter Meldeauflagen. Ihnen drohen bei einer Anklage bis zu zwei Jahre Haft.

Während im Internet die Solidarität mit den 21 Verhafteten groß ist und ihre Kriminalisierung in allen sich radikal links verstehenden Medien entschieden zurückgewiesen wurde, schweigen die selben Linken jetzt bei der Welle antisemitischer Hass-Tweets. Dort, wo #putosjudios doch Thema ist, wie bei Público, tun sich in den Kommentaren der Leserinnen und Leser Abgründe auf: Unter dem ersten Artikel, der über die Hass-Tweets und die Anzeige gegen sie berichtet, finden sich 120 Postings, in 66 davon wird der Antisemitismus bagatellisiert beziehungsweise am häufigsten reflexhaft darauf verwiesen, dass Israel ein rassistischer, völkermordender Fremdkörper im Nahen Osten sei. Diese, gelinde gesagt, Ignoranz gegenüber dem eliminatorischen Anti­semitismus von #putosjudios kommt im klassischen linken Jargon daher. Und verdeutlicht, dass die gegen Antisemitismus kämpfenden Organisationen in Spanien sich auf die Linke genauso wenig verlassen können wie auf den Staat.